angemessen

Auf dem Schild ist zu lesen, dass man sein Schuhwerk 100 Fuß vom Rand des (heiligen) Sees fernhalten muss.

Es gibt diese Orte, von denen man weiß, dass sie immer wieder etwas Neues aus sich herausblühen lassen werden, auch wenn Geschichten und Gebäude und Zivilisationen kommen und gehen, oder gar eine gewaltige Vernichtung stattgefunden hat wie zum Beispiel in Lanzarote, wo sich aus der riesigen Lavamasse wieder eine neue Lebensfläche gebildet hat. Bei aller geologischen oder kosmologischen Grundstimmung kommt es immer auch auf die Menschen an, und wie sie die Kräfte nutzen, die an einem Ort jeweils verfügbar sind. Während es in Lanzarote vor allem e i n Mann war, der durch eigenen Schöpfergeist das kreative Potential zu voller Blüte, das heißt auch in Einklang mit dem Vorhandenen, gebracht hat, lebt der Ort hier in Indien von einer zeitlich unbestimmbaren Saga. Von Anfang an wurde er als ein Kreis gesehen, von einer unterirdischen Quelle ausgehend, die heilende Wirkung gezeigt und vor allem einen König von der Lepra geheilt hatte, der zufällig auf das dazwischen auch einmal vergessene Wasser stieß. Der Kreis vergrößerte sich nach Möglichkeiten und beherbergte viele verschiedene Manifestationen, die kamen und gingen; Krokodile und Leguane im See, Lotosblumen und Libellen und Vögel, die nie wiederkamen, und Fledermäuse mit menschlichen Gesichtern. Und natürlich die vielen Fremden, die die Hinweise oft nicht verstehen oder achten, mit denen versucht wird, die Würde des Rundgangs trotz aller Bedrohung durch die Zeit selbst aufrecht zu erhalten. Das hat Wirkung, kein Zweifel, wenn täglich Hunderte von Menschen in ihrer besten Verfassung eine Runde drehen, eine Runde des Spendens, der Besinnung, der Ritendurchführung, der Mantren, und all die Hilfsmittel, die sie erfunden haben, um aus dem Menschen einen „besseren“ Menschen zu machen, ja, ihn mit sich selbst in Kontakt zu führen, allerdings immer mit der Auflage, dass ohne die Angebundenheit  mit dem Höheren oder Höchsten nichts gelingen kann. Das mag teilweise stimmen, denn ein vertikales Aufrichten ist ganz sicher eine Garantie, wenn auch nur ein Anfang, für ein besseres Durchatmen. Auch hier wird die Struktur oft mit dem Inhalt verwechselt, oder ganz ohne Inhalt angeboten. Die Form ist aber nur eine Stütze, ein Rahmen, in dem stattfinden kann, um was es geht. Solch einen „geheiligten“ Ort kann man gut nutzen, um eigene Klarheit zu erlangen über das, mit was man in Berührung kommt, und wo man sich gefahrlos einlassen kann auf ein inneres Feld, das auch als „Kosmische Hängematte“ bekannt ist, jetzt nicht in bereitwilliger Schläfrigkeit, sondern eher in entspannter Wachheit, die es ermöglicht, dem jeweils Seienden die angemessene Resonanz zu geben. Das kann und soll auch durchaus unterhaltsam sein, vielleicht genauso unterhaltsam wie Träume, wenn man sie versteht. Freischwebende Aufmerksamkeit…so oft und viel das einem gelingen mag.
Während ich die letzten Zeilen geschrieben habe, ging draußen so ein Geschrei los, dass ich ans Fenster bin. Man kann das schwer einschätzen bei den Brahmanen, ob sie die Pilger gerade zurechtstutzen, weil die was falsch machen, oder ob sie miteinander streiten. Ja, nicht nur Streit heute, sondern der Mann, den ich morgens immer zuerst freundlich grüße, denn er öffnet, wenn ich hinausgehe, gerade seinen Laden mit den Puja-Sachen, und der wirft vor meinen Augen gerade einen anderen Brahmanen auf die Treppe und kickt ihn dann noch hinterher. Da ist erstmal Sense mit der freischwebenden Aufmerksamkeit, und man muss mit der Verstörung umgehen. Was auch immer der Eine getan hat, das rechtfertigt nicht so ein Verhalten. Es ist der Tropfen Tinte im Wasserglas, der es erschwert, das klare Wasser zu sehen.

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