von Acht nach Neun

Noch ein paar Stunden, dann wird sich mal wieder die Zahl, automatischer als das Bewusstsein, verändern, denn die Bewegung ist in ein System eingebaut, das sich gewissen Ordnungen verpflichtet. Im Moment hat hier die christliche Mitternacht Vorrang, bei den Muslimen fängt das Neue Jahr im Juli an, der Hindukalender kommt später und wird das Jahr 2076 einläuten, scheint aber bei der Bevölkerung in Vergessenheit geraten zu sein. Da es auf dem Planeten eine große Übereinstimmung darüber gibt, dass der Übergang in eine neue Zahl gefeiert werden muss mit allem, was das Zeug hält, kann und muss man sich auf irgendeine Weise darauf einstellen. Die Times  berichtet, dass die Regierung zu nächtlicher Anwesenheit aller verfügbaren Polizisten aufgerufen hat, die vor Bars und Hotels Betrunkene davon abhalten sollen, in ihre Autos zu steigen, damit vielleicht ein paar Menschen weniger zu Schaden kommen. Der Schaden ist ja oft gar nicht das Sichtbare. Es ist das, was innen schon da war, bevor die Hände zu den Flaschen greifen. Eine junge Inderin, die mich gestern besucht hat, hat mir erzählt, dass bei ihren Freunden für Neujahr Koks angeschafft wird. Mein Staunen hängt mit keinem Haar an der Moralschiene. Jeder tue, was er muss, solange das eigene System die verpflichtenden Ordnungen einhält, die ein gemeinsames Dasein ermöglichen. Und weil die Unbelehrbarkeit des Menschen so berühmt ist, werden auch heute Nacht Menschen durch die Süchte Anderer zu Schaden kommen, man weiß nur noch nicht wer, und wie, und warum. Und es wurde berichtet, dass es spezielle Help-lines gibt in der Nacht, wo Einsame, die sich ausgeschlossen fühlen vom großen Tohuwabohu, anrufen können und mit einem Menschen reden. Ausgeschlossen von was? Wie kam’s, dass das Gefühl sich breit machte? Warum keine Freude und kein Genuss bei sich selbst zuhause? Schöne Musik, Kerzenlicht. Man kann sich bedanken bei sich, was man so alles hinbekommen hat. ja, warum nicht den Jahresfilm ablaufen lassen undsoweiter. Wir erleben alle so unendlich viel. Das kann  leicht zum Stau führen, zur Verstopfung der Gehirnareale. Daher finde ich diese Stunden, bevor der orgasmo mundo ausbricht, eigentlich ganz geeignet….ja, für was denn? Also ich ganz persönlich nehme mir überhaupt nichts vor, daher ist alles offen. Der Freund und Betreuer des Sadhu-Mönches, denen ich morgens immer begegne, hat mir heute eine Tüte gefüllten, grünen Pfeffer und ein Glas mit selbstgemachten Ajar (eingelegtes Gemüse) mitgebracht, zwei Köstlichkeiten, die mein Mittagessen auf eine höhere Ebene heben werden. Bevor der unvermeidliche Techno-Stress einsetzt, gilt es, etwas vorzuruhen, damit man, falls man auf Schlaf verzichten muss, dennoch fit bleibt. Und obwohl direkt um uns herum Raketen abgefeuert werden, ist meine Erfahrung der letzten Jahre, dass sehr viele Familien an der Flatscreen verbringen. Die Welt ist zu ihnen gekommen, ohne sie in die Welt zu holen. Wenn man auf mediale Weise zu viel in die Welt schaut, denkt man, man sieht sie. Aber man bekommt ja gar nicht mehr mit, wie man sie selbst sieht. Beziehungsweise sich selbst sieht. Wer einmal spielt, muss kein Gambler werden, aber die Stunden des Lebens wegzuspielen ist sicher keine Alternative zum Lebendigsein. Dann wiederum ist man frei, zu denken, was man möchte, und vor allem, was einem gut tut. Ja, natürlich kann man das entscheiden. Das Innen hat immer Spiel-Raum. Ich wünsche allen möglichst viel Spiel-Raum, und gute Gespräche mit sich und den Anderen.

ursprünglich

  

Man muss bedenken, dass, wann auch immer in der Zeitspanne der uns bekannten Menschheitsgeschichte ein Mensch etwas wissen wollte, ein Andrer da sein musste, der dieses Wissen hatte oder zumindest zu haben schien. Durch die Kindheit hindurch sind es die meisten Menschen ja gewohnt, dass einem erklärt wird, wie die Sachen funktionieren, und so werden hier die Einstellungen schon ziemlich gut festgelegt. Sie sind immer an die Gesellschaften bzw. die Kulturen gebunden und an die Art und Weise, wie die jeweilige Familie mit dem umgeht, was vor ihnen passiert. Ein indischer Wissens-Halter erzählte mal, dass die Buddhisten einen hohen Lama wohl missverstanden hätten, der vor seinem Tod lehrte, man solle beim Meditieren an die Nasenspitze schauen. Millionen schauten daraufhin auf die Nasenspitze und gründeten Schulen mit Nasenschauknowledge, und wirklich gemeint war wohl nur, man solle hinschauen, wo und wer man da ist. Schlicht, wie sowas immer klingen kann, führt es doch zur Urfrage zurück. Hält man die Erkundung der eigenen Person für einen wesentlichen Teil des Abenteuers, biegt man irgendwann mal an der Seite der Bazaarstraße ab. Jetzt ist man auch sehr beschäftigt, obwohl Tärigkeitsausführungen hier nicht das Ziel sind, sondern können das Resultat sein, müssen aber nicht. Vieles tut sich selbst, man muss sich nur lassen. Würde man Kinder mehr in Ruhe lassen, könnten sie sich auch schon ziemlich früh erkennen. Es gibt niemanden außer sich selbst, den oder die man erkennen kann. Das Gute an dem Interesse, sich bewusst erfassen zu wollen ist, dass man, kennt man sich ein bisschen besser und weiß, wie man tickt, auch selbst besser in Ruhe lassen kann. Das geht nur, wenn man ein gewisses Vertrauen in sich selbst gewonnen hat. Meine Güte, was kann einem nicht alles über den Weg laufen. Die Gefahren, trällernd auf schwankenden Planken über den brodelnden Sumpf zu balancieren, sind groß. Echt, ja!? Durch taubstummähnliche Finsternis, hineinlauschend in das vielstimmig Mordbereite, ja? Mutterseelenallein und vor der Ankunft in den abtreibungsbereiten Phantasien der ausgeblendetet Mütterlichkeit undsoweiter…ja,  liegt das in der Blutbahn der Generationen? Oder schafft sich einfach jeder und jede sein und ihr Heldenepos, unausweichlich dem Schicksal begegnend, das ihm oder ihr zugemutet wurde und wird. Und manchmal die Augen schließen und bei sich sein. Erkennen, wie ungeheuerlich frei es ist, dieses Spiel, und nur dadurch erschreckend. Bis man die Angst verliert, weil alles, was man gesucht hat, schon immer da war. (!) (?)

So…

So, jetzt kann man mal wieder über etwas anderes nachdenken (nicht, dass man vorher nicht konnte), als die einleuchtende Synthese zwischen Christus und Krishna, und es gab in Ost und West erstaunlich viel positives Feedback auf das Bild, auf dem  Krishna im Santa Claus Kostüm mitten im Schnee steht in seinem üblichen Charme. Nur ein Mann aus der Jain Gemeinde riet mir ernsthaft ab, das Bild auf keinen Fall weiterzusenden, ich könnte sonst in Schwierigkeiten geraten. Aber hallo, wenn zwei Götter der Liebe zusammenschmelzen oder geschmolzen werden, wird mich doch keiner verhaften, soweit mein unstabiles Vertrauen. Aber da gehe ich doch gestern Abend bei dem kleinen, enorm gut ausgestatteten Buchladen vorbei, in dem ich über die Jahre schon vieles gefunden und getauscht habe, aber das schon länger nicht mehr, da sehe ich doch in einer Neuausgabe ein Buch stehen über den Aufenthalt von Jesus in Indien. Der Buchhändler kommt auch gleich in Fahrt und erklärt mir, dass Jesus v o r  seiner Mission schon in Indien war, nämlich in den Jahren, wo er mal ein paar Jahre von zuhause verschwunden ist, und dass er hier sein heiliges Handwerk gelernt hat. Auf der zugeplastikten Rückseite des Buches entziffere ich, dass es hier darum geht, dass er am Kreuz eben n i c h t verendet ist, sondern in Indien auftauchte und auch dort bzw hier starb. Meine Finger zucken nach dem Besitz des Buches hin, dann lege ich es wieder zurück, denn eigentlich habe ich genug an meinen eigenen Vermutungen und muss sie nicht mit den Vermutungen Anderer zementieren. Außerdem hatte ich mich bereits über eine andere Götterweltnachricht geärgert aus der sogenannten Wissenschaft, die, während ihre neu auftauchenden Inhalte für real gehalten werden, einem den Mund stopfen ob der unwiderruflichen Beweisführungen, die sich bei allem Respekt oft genug als Blasen erwiesen haben. Aber ich persönlich will zum Beispiel auch nicht in erwarteter Tiefgläubigkeit vor mich hinnicken, wenn mir, wie gestern auf der Global page der Times, erzählt wird (über und von einem Wissenschaftler aus Oxford), unser Universum existiere wahrscheinlich gar nicht, und dazu gibt es schon eine Zeichnung. Das ist beeindruckend,  dass wir (vielleicht, unter Umständen, wahrscheinlich) nicht existieren, weiter so, Herr, wie hieß er doch gleich. Und der Gedanke hat seine geistige Attraktivität!, denn was könnte einem nicht alles einfallen von Shunyata (der Leere) bis zu der Anekdote über den Mönch, der sich leidenschaftlich ein Nichts nennt und sich dann empört über den kehrenden Tempeldiener, der auch ein Nichts sein will, und dem Novizen zuzischt „schau mal, wer sich da einbildet, ein Nichts zu sein“. Ich habe jedenfalls vor, weiterhin im Strom des universellen Vorgangs zu existieren, das stört ja auch keinen. Schön fand ich in derselben Ausgabe, dass der Planet Uranus bei mir im Blog nicht seitwärts liegen muss, sondern an die einzige Göttin erinnert im Hindupantheon, der es erlaubt ist, die Zunge herauszustrecken, was wiederum an Einstein erinnert, und bei mir eben an den Planeten, dem es auch ganz gut steht. Heute früh am See habe ich den Priester gefragt, an was er denn so glaubt, und er sagte, sein Gott wäre die Sonne, denn ohne Sonne wären wir alle verloren. Recht hat er, denn manchmal sieht man ganz einfach, wie die Zusammenhänge entstehen.

 

 

 

 

befindlich

So, die heiligen Tage, schwer beladen mit Deutungen, sind vorüber, und es geht nun darum, die paar Tage bis zur nächsten Kollektivsause gut hinzubekommen. Nicht, dass irgend jemand sausen muss, nein, nur sich einstellen auf das, was man vorfindet, da führt kein Weg drumherum. Für Inder übersetzen sich Feste aus anderen Kulturen, die sie meist nur von Reisenden kennen, oft in Technopartys, da sie auch nicht wissen, wie gerne die Fremden fern bleiben von ihren eigenen Kulturprogrammen, oder ihren Familien, oder sich selbst. Wenn dann die Lautsprecher angeschleppt werden, weiß man, dass Widerstand zwecklos ist. Daher muss man überlegen, was am besten zu tun ist, und was zu lassen. Gestern, noch in der Trauer um einen Freund, der sich von der Erde verabschiedet hatte, ließ ich mich in einem motorisierten Ungeheuer, das „tuc-tuc“ genannt wird, zu einem jungen Ehepaar fahren, das ich letztes Jahr kennen gelernt hatte mit einem guten, anregenden Gespräch. Die junge Frau kommt aus Bombay und hat die klassische indische Schönheit, gekoppelt mit frischer Intelligenz und enormer Sprachfähigkeit, die einen in Staunen versetzen kann, so, als müsste man auf einmal alle angesammelten Vorurteile über die Versklavung der weiblichen Psyche über Bord werfen. Sie reist regelmäßig an aus Bombay, das ja jetzt Mumbai heißt, um den deutschen jungen Mann zu treffen, mit dem sie sich durch eine immer komplizierter werdende Beziehung rangelt. Ihre Mutter weiß von der Beziehung, hilft aber mit, dass sie regelmäßig junge, indische Männer treffen muss, von denen sie hofft, dass einer davon sie den Fremden vergessen lässt. Der Fremde kommt aus einem kleinen, deutschen Dorf und hat dort gerade ein Haus geerbt, weil seine Mutter gestorben ist. Er hat da, wo wir Tee trinken, ein Hotel aufgebaut mit Bungalows und fühlt sich nun gefangen in seiner Schöpfung, und will ins Zuhause zurück. Gehst du mit?, frage ich sie. Sie weiß es nicht, weil er sie noch nicht gefragt hat. Er spricht gerade nicht viel mit ihr, sie möchte ganz viel mit ihm reden. Er weiß gar nicht, was er gerade will, sagt er, und ob er eine Beziehung haben kann. Die Szene, in der ich nach beiden Seiten ein Mundrohr spiele, erinnert stark an den wunderbaren Film „Rendevous im Jenseits“, wo der Mann durch reges Drehen und Winden dabei ist, sein einzigartiges Schicksal. zu vermasseln. Er weiß nicht, was mit ihm los ist, und da ist sie, immer noch bereit, über jedes Wort, dass aus ihm herauskommt, glücklich zu sein. Nach einer Weile spürt man, dass das Rad anfängt, sich zu drehen, der circolo vizioso kommt in Fahrt, und er ist schwer zu durchbrechen. Wie genial diese schlichte Idee von Freud doch war, jemanden auf dieser Couch liegen und ins Reden  kommen zu lassen, während der Meister am Kopfende saß und seine Menschenstudien ins Praktische umsetzte und vorantrieb. Blieb einer der Liegenden stumm, gut, dann war die Stunde vorüber. Und wie oft ist es doch das Reden und die Bereitschaft und Offenheit für Begegnung, die die Dinge durch den Strom bewegen und Klärungspotential haben. Man klärt ja, wer man selbst ist, und nicht , wer ein Anderer ist. Wie soll ich wissen, was in dir vorgeht, wenn du es nicht weißt und es mir nicht mitteilen kannst oder willst. Und es gibt auch Momente, von denen man behaupten kann, dass so ziemlich jede/r sie mag. Man sitzt zusammen und trinkt was Wohlbekömmliches, und die Atmosphäre wärmt auf, und Entspannung breitet sich aus im Seinsraum, dem mysteriösen Archiv aller Befindlichkeiten. Bin ich frei, zu wählen?

26.12.

 

Um mit den festlichen Varianten der Weltgemeinde etwas mitzuschwingen, hatte ich mir ein kleines Programm für jeden Tag entworfen, das meiner Idee von Festlichkeit entspricht. Gestern war es ein Essen mit Lali (vom Feinsten, das die indische Küche zu bieten hat, und das ist viel), da brachen die Ideen eigentlich schon alle zusammen. Vor mir saß Karthik, das Kind oben im Bild, den ich kaum zu Gesicht bekommen hatte, weil seine Mutter ihn meistens in einem dunklen Raum hält mit seinem 5 Jahre älteren Bruder, der ein nervliches Wrack ist und nur mit Mühe sprechen kann. Der Vater ist groß und schwer, Lalis Neffe, und nicht nur er weiß, sondern alle wissen, dass diese, seine Frau, wahnsinnig ist und man Angst haben muss, dass sie ihre Kinder umbringt. Keiner rührt einen Finger. Vor ein paar Tagen hat sie sich mit einem Messer in den Arm geschnitten, die Wunde wurde mit 9 Stichen genäht. Das größere der Kinder, erzählte Lali mir, wollte danach auch seinen Arm mit einem Messer schneiden. Gestern habe ich dieses Photo von dem Kleinen gemacht, was schon einiges davon erzählt, was vor seinen Augen und mit ihm geschehen ist, da er auch häufig von ihr geschlagen wird. Wieder ein Kind am Anfang seines Lebens, für das man nichts tun kann, obwohl es direkt vor einem sitzt. Sagt man etwas, nicken alle ermüdet. Keiner will noch mehr Bürde auf den eigenen Schultern. Und hilflos, ja, das hat man gemeinsam, das Hilflose, das keine guten Lösungen hervorbringen kann, weil keinem eine brauchbare einfällt. Das Essen war köstlich, aber es hatte diesen Schatten. Und heute ging’s grad so weiter, der Himmel, oben rechts im Bild, spielte mit (und hatte Augen). Die erste Nachricht an mich, die ich gelesen habe, war von der Frau eines Freundes, der sich vor ein paar Tage auf seine Weise aus dem Leben verabschiedet hat. Manchmal kann man es wirklich nicht fassen, einmal, was Menschen angetan wird, und dann, was sie anderen antun, und dann, was sie sich selbst antun. Das Antun, das in die Trauer führt, in das nicht mehr Heilbare, in das so Schmerzvolle, dass es nicht mehr gut werden kann….das dauert lange, bis etwas wirklich nicht mehr gut werden kann. Ich habe den ersten Schock über diesen Tod mit dem Priester geteilt, der mich manchmal am Ufer des Sees, wo ich morgens sitze, besucht. Sofort erklärte er mir, wie eben alles in Gottes Händen liegt. Nein, sage ich, das sehe ich nicht so, sondern ich finde, dass  Menschen ein tieferes Bewusstsein über die Kostbarkeit dieses Lebens vermittelt werden sollte, damit sie die Verantwortung eben nicht auf Gottes Schultern legen, sondern die Kraft haben, sie auf die eigenen zu legen. Wie um Himmels Willen sollte die Welt sich verändern wenn nicht durch den oder die Einzelne/n. Nein, auch nicht um‘ Hmmels Willen‘. Und wer alles w a s sollte, wird auch nichts nützen. Ein kleiner Junge und ein toter Freund: Schmerzbegleiter meiner Feiertage.

25.12.

Dieses Bild wurde mir aus Deutschland zugespielt und löst hier in Indien in mir die Heiterkeit aus, die auch an Feiertagen erwünscht ist. Man sollte nie denken, man sei allein mit den Kontemplationen, nein, die kritische Masse, in die man ein gewisses Vertrauen legen kann, ist auch unterwegs, und man findet ihre Gedanken und Handlungen eher selten in Zeitungen, sondern muss selbst mit einem Abenteuergeist unterwegs sein, damit man auf d a s trifft, was die Welt eben auch ist: schön, unterhaltsam, reich und voller Angebote an eigene Möglichkeiten des schöpferischen Daseins, wenn man die Mühen eines solchen Weges auf sich nehmen möchte. Am See treffe ich auf den Sohn von Alfo, an den ich mich gerne erinnere, weil er den ersten Teeshop hatte, das ist lange her. In der Zwischenzeit kann man sie nicht mehr zählen, denn bald gibt es auf jedem Hausdach Tee. Alfo’s Sohn schiebt seit seiner Kindheit schwerste Ladungen durch die Gegend auf einem dieser Holzflächen mit Rädern, und oft sind es Zementsäcke, und ich kann kaum hinschauen. Er grüßt immer freundlich, und heute, als ich ihn zu meiner Verwunderung am See sehe, sieht man es seinem Gang an, wie der Körper sich voranrangelt, aber da läuft er vor mir und singt laut vor sich hin. Mehr Wunder an Weihnachten brauche ich eigentlich nicht. Es gibt Berufe, die sollte kein Mensch ausüben müssen, das ist hier leider immer noch kastenmäßig gesteuert, obwohl es auch da Bewegungen gibt, aber nicht genug. Ich erinnere mich auch noch daran, als türkische Männer bei uns in Deutschland die Drecksarbeiten verrichten durften. Das hatte sicher viel mit Sprachkenntnissen zu tun, aber nicht nur. Da ist dann so ein Kind geboren worden, von dem man viel erwartet hat, weil er die Zeichen eines wachen Geistes an sich trug. Das möchte ich mal sehen, wie einer hier durch die Tempel fegt und die Händler hinausschleudert, am besten noch die ganze Brahmanenbande, mit ein paar wenigen Ausnahmen. Aber wer könnte die Spreu vom Weizen trennen? Das sind auch nicht die Zeiten, wo man mit Trennen beschäftigt ist, eher mit Üben, wie Zusammenhalt geht unter den Vielbeschäftigten. Auf meinem Weg sehe ich ein Plakat mit einem Bild von Steve Jobs, der mit dem Satz zitiert wird „Deine Zeit ist begrenzt, lebe deshalb nicht das Leben eines Anderen.“ Obwohl man versteht, was gemeint ist, denke ich, es ist kaum möglich, das Leben eines Anderen zu leben, denn immer bleibt etwas von dem übrig, was jemand war und weiterhin bleiben wird, auch wenn manchmal der Strom versickern kann. Das Herzstück des Menschseins  ist zweifellos seine Innenwelt, in der vieles erlebt werden kann, was nicht nach außen dringt. Je größer und weiter diese Welt, desto besser fühlt man sich doch. Vielleicht kann Alfo’s Sohn deshalb lächeln, weil er innen reicher ist als seine Arbeit. In einer der guten Stunden des Lebens habe ich mit einer vertrauten Person einen Satz geprägt, der sich in die universelle Neigung dieser Tage zu den Lichtern hin gut einfügt…“fürchte dich nicht, denn ich bin bei mir“. Ein Stückchen Gold aus der Schatztruhe.

X-man

Diese Statue, oder ‚murti‘, wie es hier heißt, habe ich vor ein paar Tagen entdeckt und gerätselt, wen das darstellen könnte, denn die Szene erinnert doch stark an Maria mit dem Jesuskind. Die Mutter sieht entrückt aus vor lauter Seligkeit, an den Sohn musste ich mich heimlich ranpirschen, auch weil ich entschieden habe, in der Öffentlichkeit so wenig wie möglich mit dem Smartphone herum zu hantieren, um Fragen zu vermeiden, die ich nicht beantworten möchte. Nirgendwo an den Figuren waren erkennbare Zeichen zu sehen, keine Pfauenfeder, die auf Krishna hindeutet, oder den kleinen Shiva, oder seinen Sohn, Ganesh, den Elefantengott, den man ja an seinem kleinen Rüssel erkennen würde, undsoweiter. So habe ich das Bild bei meiner Freundin Lali in ihrem Familienkreis herumgezeigt und nach Aufklärung gesucht. Aber sie wussten es auch nicht, sondern fügten nur die Vermutung hinzu, dass es der kleine Hanuman sein könnte, das finde ich nun wiederum nicht, da tut man dem Kleinen unrecht, weil es, soweit ich weiß, keine Informationen gibt über seine Mutter. Was auffällt ist, dass der Junge sehr groß ist. Das hat mich auch schon so manches Mal an den Jesuskinddarstellungen irritiert, dass der Körper schon aussieht, als würde er bald in die Pubertät kommen, dabei liegt er auf dem Schoß der Mutter herum, meistens weht ein Tuch über das Unsagbare. Noch nie habe ich so ein Bild mit einem kleinen Mädchen gesehen, und d a s in dieser Größenordnung, man kann es sich gar nicht vorstellen, es berührt etwas Peinliches in einem, so ein großes Mädchen auf dem Schoß der Mutter, was macht sie da. Der Sohn darf da herumliegen, das ist eher natürlich, vor allem, wenn ein Gottmensch aus ihm werden soll und die Mutter ihn durch unirdische Vorgänge empfangen hat. Nein, nein, nicht durch die sonst üblichen Vorgänge unter den großen Decken, wo sich Hände und Gebeine leicht verirren können in Räumen mit sehr vielen Anwesenden. Nein, auf dem vertikalen Weg empfangen, und glücklich, dass alles richtig läuft, während die Tochter schon weiß, wie man Gemüse und Brotfladen anfertigt und sich heimlich sorgt, ob wohl aus ihr eines Tages so ein Junge hervorkommen wird, oder nicht. Ich finde, der Junge sieht auch extrem besorgt aus. Weiß er schon, was ihm blüht? Solche Gedanken kommen mir nur um die Weihnachtszeit herum, wo man darauf achten muss, dass man bei Laune bleibt, auch wenn das Fest  spurlos an einem vorüberzieht. Außer, dass ich mich immer für alle hart Arbeitenden freue, wenn sie ein bisschen ausschnaufen können inmitten der oft die Seele erschöpfenden Lebensweisen.

Jaques Prévert

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DER SCHUBKARREN
ODER DIE GROSSEN ERFINDUNGEN

Der Pfau liefert das Rad
der Zufall besorgt den Rest
Gott nimmt Platz darin
und der Mensch schiebt ihn

Himmel und Hölle

 

Auch um für Menschen wichtige Festtage herum kann man sehen, dass Himmel und Hölle immer sehr nahe beieinander sind. Da fällt mir doch gerade das Spiel ein, dass so beliebt war unter uns Kindern und das man mit Kreide auf den Pflasterstein zeichnete und hin- und herhüpfte, an die Spielregeln kann ich mich nicht mehr erinnern. Das Spiel hatte auf jeden Fall erfasst, dass Himmel und Hölle eine gleichermaßen wesentliche Präsenz haben in der lebendigen Wirklichkeit, auch wenn sie nicht immer leicht zu erkennen sind. Es kommt auch auf die jeweiligen Empfindungen an, die auf der Skala zwischen den beiden Feldern stark schwanken können. Für manche kann der Druck der Weihnachtseinkaufspflicht z.B. ein höllischer Trip sein trotz der aufwendigen Lichtergaukeleien, unter denen man sich entscheiden muss, wer was außer all dem, was er oder sie schon hat, noch wollen könnte, oder in das Garnichtsmehrwollen noch eins drauf geben, weil es ja ums Geben gehen soll und ums mit Freude empfangen. In dieser Hinsicht könnte man sich ein tägliches x-mas wünschen, der Faktor x als menschliche Vorstellungsvariante, wie man sich selbst als Mensch so wünscht, und wie weit mit dem Auspacken der Geschenke an sich selbst man damit gekommen ist. Aber da die meisten Feste ja religiöse Hintergründe haben, ist der Schritt von der Leere in die Fülle und wieder zurück schon vorprogrammiert. Schön ist, wenn man sich aussuchen kann, mit wem man feiern möchte, und letztendlich auch wann und wie, sodass keiner belastet wird von obskuren Vorstellungen, die zu bedienen sind. Mami, ich möchte das neue Samsungsmartphone haben mit dem xxxL-display, oder das neue Game aus Südkorea, wo Kim mit einem gekonnten Wurf Donald Trump erledigen kann. Ich bin aber sicher, es gibt noch Orte, wo ein schöner, aufrechter Tannenbaum  geschenkt wurde, an den man süße Kringel hängen kann und allerlei buntes Zeug, und macht ein schönes Essen für die Freunde, die froh sind, eingeladen zu sein in ein Haus, wo es sowas Stressfreies gibt, und  Musik und gute Gespräche. Ich hab‘ gut reden, sehe ich hier doch nicht einmal mehr diese roten Weihnachtsmannsmützen, die vor allem bei Inderinnen so beliebt waren und vielleicht in Bombay und Delhi gekauft werden. Alle haben ja gerade Weihnachtsferien, und viele denken schon, das sei der Hindukalender, dabei ist es der Christenkalender noch aus der Engländerzeit, der vermutlich seiner klaren Struktur wegen bevorzugt blieb. Vielleicht auch wegen dem Sonntag, wo die Bürokratie mal eine dringende Pause hat und zuhause weiterschlafen kann. Sonst wird die Zeit genutzt, im noch vom letzten Fest schmutzstrotzenden Wasser ein heiliges Bad zu nehmen, obwohl die Zeitungen ständig wegen dem umherschleichenden Denguefieber, übertragen von der ägyptischen Fliege, warnen vor der Kälte, da sie sich auch im Winter behaupten konnte und seit ihrer Ankunft reichlich Leichen hinterlassen hat. Ich habe heute den kleinen Holzweihnachtsmann, der praktischerweise schon einen winzigen Tannenbaum in den Händen hält, und den Papierstern oben vom Regal (wo die  Sachen das ganze Jahr rumliegen) heruntergeholt und entstaubt, und die vierte Minikerze des Adventsblechdöschens angezündet, damit das, was ich vom Christentum noch mitkriege, aufleuchten kann. Im Hindukalender läuft die Zeit ja kreisförmig ab, in genau vier Zeitaltern. Ein kluger Kopf hat mir mal erklärt, dass alle vier Zeitalter immer gleichzeitig stattfinden, und dass jeder Mensch frei ist, geistig d e n Raum zu beleben und zu bewohnen, der ihm oder ihr entspricht. Das sehe ich auch so, denn auch wenn man nicht weiß und nie wissen wird, wie die Gebeine der drei Könige ausgerechnet im Kölner Dom landeten, so kann man es doch schön finden, dass sie den Kleinen dann doch noch gefunden haben, weil ein Stern ihnen den Weg wies.

verwandeln

Das ist Sakshi, die mich gestern besucht hat, u.a., um mir ihre Hochzeitsbilder zu zeigen, da ich die Hochzeit aus verschiedenen Gründen verpasst habe. Man sieht hier, was man alles hervorzaubern kann. Es könnte Shalabal aus Zen-La sein, eine Marvel Comics Frau und Geliebte des Silver Surfers. Oder eine historische Figur aus der Zeit vor der Kameraerfindung, obwohl der Schriftzug des Photographen mitten im Meisterwerk das Bild verschandelt. Aber es ist Sakshi, die ich seit ihrer Geburt kenne, hier aber nicht wiedererkenne. Auf keinem der Bilder kenne ich diese Frau, so verwandelt ist sie vom Beauty Parlour. Wow, sage ich, sogar falsche Wimpern. ‚Alles war artificial‘, sagt sie. Sobald ein Bewusstsein über etwas existiert, kann man mit unnötigem Wundern aufhören. Die Summen, die auf dieser Hochzeit gezahlt wurden, werden geflüstert. Das Geld und das damit verbundene Wahrgenommensein als Geldbesitzer sind die Hauptanliegen. Das Gold, das weitergereicht und erhalten wurde in Kilos, die Schwiegerelternpaare nach dem Schmieden des Kuhhandels ihren Fähigkeiten entsprechend zufrieden und mit ein paar ordentlichen Schlückchen Whisky zelebriert. Sakshis Vater war einmal ein geschätzter Chirurg, jetzt siecht er in der letzten Phase des Alkoholismus dahin. Er kann nicht mehr arbeiten, erzählt mir Sakshi, die auch Ärztin ist und in einem Krankenhaus arbeitet, vorzugsweise im O.P.-Saal, denn sie liebt es, mit Blut umzugehen, sagt sie. Sie studiert weiter, um selbst Chirurgin zu werden. Ihr neuer Ehemann unterstützt sie und steht nachts mit ihr auf, um für das nächste Examen zu lernen. Sie sieht erschöpft aus in liebenswerter Schlichtheit. Die ersten Wochen solcher Hochzeiten sind extrem anstrengend, vor allem, weil die Braut bei den Schwiegereltern einzieht und sich dort im Zusammenleben bewähren muss. Sie hat kaum Gelegenheit, mit ihrem Mann ein Gespräch zu führen,  weil alles sich mittendrin abspielt, klagt sie. Um zu mir zu kommen, muss sie ihren Mann um Erlaubnis fragen, zum Glück kennt er mich und wir hatten eine heitere Begegnung letztes Jahr bei Chai, dem Landesgetränk. (Im Süden wird mehr Kaffee getrunken). Deswegen werden sehr teure, hochqualifizierte Alben hergestellt, die jedes Jahr aufwendiger sind, und neue Königsberufe entstehen: Hairdresser, Manikürer, Gesichtsgestalter, und natürlich alles mit /Innen, Personenverwandlerinnen, die Magie entstehen lassen können unter ihren Händen und wissen, wie man aus einer Frau alles herausholen kann von jemandem, der sie nicht ist und auch nie sein wird. Sakshi, obwohl bereits hochbezahlt in ihrem Beruf, stöhnt unter der Last der Zurückzahlungen, die sie allein für ihre Kleider leisten muss. Nie wieder anziehen können, die teuren Dinger. Mottenpulver. Vor und nach dem Hospitaldienst helfen in der Susral (Schwiegereltern)-Küche. Zeigen, ob man geeignet ist, da, wo es gelingen soll mit allen und allem Drumherum. Ich ermüde schnell über Hochzeitsbildern und verliere nach 2000 shots den Zusammenhang. Bei Sakshis Bildern hat mich fasziniert, dass ich keine der Frauen, die ich kannte, erkennen konnte. Alle für ein paar Stunden verwandelt, damit später gerätselt werden kann, ob man das wirklich war, die da saß in der bedeutsamen Rolle und dem mysteriösen, historischen Raum, in dem Menschen erzeugt werden, die dann in der Welt unterwegs sind.

unvollkommen

 

Das waren Zeiten, als die Götter noch haufenweise, wenn auch angeschlagen, hier an den Ufern herumlagen und man, vom eigenen Geschmack her, vollendete Schönheit sehen und manchmal auch mitnehmen konnte, oder einen himmlisch geformten Kopf, oder eine Götterhand. Für den Hindu hat das Angeschlagene seine Göttlichkeit eingebüßt, es floss oft über Junkies zu den Foreigners hin oder in die kleinen, illegalen Läden auf dem Boden des Bazaars. Im gängigen Widerspruch dazu gibt es die Geschichten, dass, wenn einmal ein Mensch etwas so Göttliches schuf, das sich der vollkommenen Empfindung näherte, der Erzeuger (Künstler) dann z.B. den kleinen Finger abschlug, um nicht vermessen zu erscheinen. Und doch gibt es , soweit ich weiß, kein Land, in dem Gottheitensein so locker angeboten wird wie in Indien. Wer es in Anspruch nimmt, muss natürlich ganz schön schuften, denn einen vollkommen für den Job Ungeeigneten würde man dann doch nicht gerne vor sich haben, aber das sind heikle Themen. Wer ist geeignet, und für was, und wer traut sich ein Augenmaß zu. Es kann sehr wohl sein, dass die Lust an der Idee erreichbarer Göttlichkeit im Menschen angelegt ist, und nicht nur Hindus sind offen für diese Art von Darbietungen. Da es nicht nur Jesus, sondern auch Krishna und Shiva als kleine Götterknaben gibt, wird auch in die Mutter die Sehnsucht nach der Gottgeburtgebung (GGG) gepflanzt. Oh alles gewährender (oft auch als unkörperlich beschriebener) Herr Gott, schenk mir den Göttersohn. Es gibt Göttinnen, ja, und vielen Männern sind sie auch lieber als die Frauen zuhause, die sich für ihn abrackern, und viele auch trotz Gebeten den herbeigesehnten Sohn nicht bekommen. Ist er aber da, wird der Mann der Frau als Gott an den Herd gelegt und bestimmt auch durch die Phase der Selfie-Trance viele Haushalte. Und man kann mal wieder kurz hinschauen, wie der düstere Same in das deutsche Volk gesät wurde, und wie er dort hochkeimte und blühte, und wie viele Blonde und Blauäugige es gegeben haben musste, um gemeinsam so einen Alptraum in die Welt zu setzen. Die große Ernüchterung ist auch eine Medizin, kann aber durch das von sich selbst verratene Gefühl in einen Mangel führen, wo das Menschsein sich nicht mehr genügt und an den Eingeweiden nagt. Manche gehen noch in die Tempel und die Kirchen, aber kein Gott antwortet mehr. Die interessante Frage bleibt, ob der Mensche die göttliche Instanz braucht, um über sich hinaus zu wachsen. Wohin? Um den Pfad zu sich selbst zu finden und den Agenten braucht, um einen aus der Ich-Verhaftung auf eine neue Bühne zu hieven? Ich selbst vertraue in den Funken und spreche aus Erfahrung, wenn ich sage, dass der Funke noch in der Asche glühen kann, sodass ein einziges, braunes Haar einer Kokosnussschale ihn wieder entflammen kann. Wenn die Nähe eines Gottes in bestimmten Zeiten behilflich sein kann und einen weiterbringt, warum nicht. Doch ist es auch hilfreich zu wissen, wer so ein Gott für einen ist: ein Abladeplatz, eine Beruhigungspille, ein Erlösungsschein, ein Verantwortungsträger, ein niegehabter Papa, eine liebesschwangere Mama, ein Freizeitvertreib für missachtete Töchter usw.? Oder auch ein erotisches Lächeln, eine abenteuerliche Liebe, eine elegante Herausforderung an das Lebendige im eigenen Schöpfergarten, wo die Erde spielerisch umgeht mit dem liebenden Geist. Man suche die Grenze und finde erfreut, dass es auch sie nicht gibt.

Küche

Vielleicht wird man der Welt gegenüber gerechter, wenn man sie ab und zu mal neu wahrnimmt oder bezeichnet, damit ihr Volumen und ihre darin enthaltene Vielfältigkeit nicht so vom eigenen Blick eingeschränkt werden, so, als wäre sie nur ein Ding. Dabei ist sie für jede/n der WeltpilgerInnen etwas anderes, und sie selbst erfährt sich auch ständig als Neues (und Altes) (und Uraltes). Was aus dieser kosmischen Suppe hervortritt ist das, in was wir sitzen, auch wenn wir den Überblick vom eigenen Platz aus nicht haben. Das Bild oben von Krishna, dem viel beanspruchten Gott, zeigt ihn hier in einer relaxten Pose, und ich habe es mir von Smartphone zu Smartphone schicken lassen (digitale Transzendenz),  weil diese Darstellungen eine gewisse harmlose Heiterkeit in mir auslösen können. Ein Sindhi Freund hat es neulich in Somnath aufgenommen, wo einer der 12 Yoti Lingums steht (lingum: phallische Skulptur), die von einem Licht umgeben sein sollen, das mysteriöse Phallus-Licht also, das viele gesehen haben wollen wie des Kaisers neue Kleider, oder auch wirklich, who knows. Dann war Bhojraj, der Sindhi Traveller,  noch an einem Ort, erzählt er, wo Krishna gestorben sein soll. Ach echt, gestorben?, wundere ich mich. War mir nicht klar, dass er hier auf Erden mal lebendig herumlief?: Krishna, der Gott der Liebe. Da denkt man doch unwillkürlich einmal, wie ähnlich die Namen ‚Krishna‘ und ‚Christus‘ klingen. Es gibt ja ein Gerücht (aus der großen Küche), dass Jesus (Christus), wahrscheinlich für eine ordentliche Bakschisch-Summe, gerade noch rechtzeitig vom Kreuz abgehängt und nach Kaschmir geschleust wurde, wo niemand ihn suchte, weil wenige wussten, wo es war. Dort in Srinigar kann man noch heute sein Totentuch mit dem berühmten Abdruck sehen.  Lief er dort rum?, und wurde langsam kraft seiner Schönheit zu dem, dem 16 000 junge Frauen  freiwillig gefolgt sein sollen, die immer um ihn herumtanzten, während er Flöte spielte. Doch wie kam dann das Tuch von Gujarat nach Kashmir, und wer ist nun wer und wo und warum, wir wissen es nicht. Wichtig für viele Menschen ist, dass es Orte gibt, wo sie hinkommen können, um das Unvorstellbare und seine Gerüchte-Küche zu genießen. Hocherfreulich fand ich auch das Gerücht, dass es zwischen hinduistischer und ägypticsher Symbolik einen eindeutigen Zusammenhang gibt, bis hin zu dem Gedanken, dass die Quelle des vedischen Wissens von ägyptischem Papyrus stammt. Die Dinge müssen nicht immer den Sinn machen, den wir von ihnen erwarten oder den man uns darüber beigebracht hat. Es gibt tatsächlich ein Verstehen, ausgelöst durch eine innere App., das ohne Worte auskommt und oft schneller ist als ein Nu. Darin liegt seine Eingebungskraft. Nun bin ich persönlich nicht das, was man eine hervorragende Köchin nennen würde in einem regulären Haushalt. Durch diese Tatsache war ich gezwungen, eine eigene Kochart entstehen zu lassen, die sich dadurch zu erkennen gibt, dass ich erst weiß, was das werden kann, wenn ich aufmerksam dabeistehe. Das kann zweifellos schmackhaft werden, auch wenn es nicht im Kochbuch oder dem Koran oder der Bhagawad Gita steht. Dort stand allerdings auch vieles, das mir beim Kochen geholfen hat, zum Beispiel: ‚ Es ist besser, das eigene Werk unvollkommen, als das Werk eines Anderen vollkommen zu verrichten. Das leuchtet doch ein.

medial

Auf eine Nachfrage hin, wie denn nun die Wahlen hier ausgegangen sind (die am selben Tag wie die deutsche Wahl der Parteivorsitzenden stattfanden), hole ich gern nochmal kurz aus, denn in allem menschlich Geformten gibt es in den dadurch entstehenden Geschichten einige wertvolle Körner, von denen man etwas lernen kann. Nun haben wir schon von Donald Trump lernen dürfen, wann die eigene Emotionalität in Schach zu halten ist, um nicht selber zu einer Person zu werden, die den schillerneden See des Narzissmus eigenhändig entleeren möchte, ohne dazu in der Lage zu sein, weil in einem anderen Lager beschäftigt, wo geübt werden kann, sein zu lassen, was ist. Und nicht immer, wie in der Stirnrunzelphase des Epenlesens, nur zu fragen, ob z.B. Ram, der König von Ayodya, wirklich lebte, sondern vielmehr entlang der Story zu erkunden, ob Ram nun wirklich der makellose Volksführer war, als den man ihn hier gerne sehen möchte. Im aktuellen Drama ging es also um Rahul Gandhi, den verbal seit Jahren in den Boden gestampften Milchsohn seiner Mutter, die Narendra Modi tatsächlich wagte, „Pasta-Behen“ (weil aus Italien) zu nennen, also „Pasta-Schwester“, da können sich Modi und Trump wahrlich an Niveauhöhe das Wasser reichen. Auf dieser Ebene fand also die Schlacht statt mit der Kernfrage, die auch das deutsche Volk in die Knie zwang: hast du das reine, arische Blut, oder eine Mischung, oder gar nichts davon, „aryan kun nahi hai“ (hast kein arisches Blut), und vernichtet bist du ohne den korrekten Blutnachweis. Auf diese Weise wetterte nun Narendra auf Rahul zu, weil er sich gar nicht vorstellen konnte, dass er den Kampf nicht gewinnen würde. Als sich aber herausstellte, dass Gandhi ziemlich hartnäckig kämpfte und es letztendlich auch für angebracht hielt, seine religiösen Vorstellungen kund zu tun, da regte sich im Volk, vor allem im jungen, eine Sympathie für den ewig ans Kreuz Geschlagenen, ohne dass zuvor jemand seine persönliche Welt mal recherchieren wollte. Es waren die Medien, Halbgötter der Weltmechanik, die den verachteten Spross des Königs mit zu Boden brachten. Aber siehe da, was ist geschehen? Man ärgerte sich auf einmal, zu einer Entscheidung gedrängt, über die krude Rhetorik des Führers, dann folgten Bilder aus den Archiven, die ihn ohne Lächeln zeigten. Es wurde bekannt, dass er jedweden Kratzer an seiner Persona unerträglich fand, und die bereit stehenden Gehirne wankten in neue Ordnungen, oder warteten sie (nur) auf neue Befehle? Klar ist, dass Rahul Gandhi die Wahl gewann. Nun hörte ich aber am Wahlabend, dass in dem Dorf in dem ich lebe, alle BJP gewählt hatten, also Modis Partei (und religiös fanatische Sekte). Ich kenne nur einen einzigen Mann aus der Congress Partei, den ich fragen konnte: wie kam’s? Es war so, dass ein Gerücht die Runde machte, von dem man nicht genau wusste, ob es gepflanzt war, dass nämlich Muslime den Plan hegten, im Ort eine (zweite) Moschee zu bauen, da kippte der Zeiger ins Eindeutige. So ist es, die Dinge sind manchmal auf eine erschreckende Weise simpel. So zwingt es einen bei aller Unterhaltungskunst der medialen Mitteilungen immer wieder zurück in die eigene Wahrnehmung, wo der Gehalt des Erfassten in die Waagschale geworfen werden kann, oder auch die Waagschale über den Tellerrand. Dort kann nichts mehr zerschellen, denn das Wagnis besteht nur noch aus existentieller Anwesenheit im Raum. Auge, mein Auge, mein Paradiesapfel.

ausdehnen

Nein, das sind nicht Ram und Sita,  oder Shiva und Parvati (kosmische Paare des hinduistischen Glaubens) in zeitgemäßen, ultraneopren Outfits, sondern zwei Namenlose, die vorüberziehen wie alles andere. Was gibt es denn so, was nicht als Staubkorn im All vorüberzieht? Gibt es dieses Wissen, das sich durch die Menschheitsgeschichte hindurch als brauchbar erwiesen hat und immer noch sinnvoll eingesetzt werden kann. Oder ist es eher so: viel Wissen und wenig praktische Anwendung? Das fällt mir zur Zeit auf im Hinduland, dass viel gewusst wird, aber wenig angewandt. Kein Wissen kann Leid und schmerzhaftes Schicksal verhindern, aber der Unterschied in den Erfahrungen liegt wohl in der Handhabung der Geschehnisse. Dem Know-how. Wie oft konnte ich zu Indern sagen ‚hey, die Beschäftigung mit eurem Wissen hat mein Leben aufs Beste gefördert, warum wendet ihr nicht was davon an, damit die harten Zeiten nicht so schmerzhaft sind. Ja, wir leben alle auch unter dem Zugzwang kollektiver Entscheidungen, aber da, wo Spielraum ist, kann man teilnehmen am Ackern, am Pflügen und Säen, und sich geistig und körperlich gegen die Giftstoffe wehren, die angepriesen werden als Saatgut und seine Nahrungsergänzungszusatzstoffe. Wissen, an was man sich beteiligen möchte und was einem lebenswert erscheint. In Schulen und Universitäten und Betrieben und Ashrams usw. werden Ideen gereicht. Sie können exzellent sein, bis sie zur Umsetzung drängen. Wann können sie zur Umsetzung  drängeln, die guten Ideen? Wenn es klar wird, dass die unguten in Führung gehen (z.B.). Was macht man? Man kann nachdenken, was das einst wohl bedeutet haben könnte, das Besinnen auf sich selbst als geistigen Antrieb, den auch häufig d i e brauchen, die schon Erfahrung gesammelt haben im versunkenen Labyrinth des Unbewussten, von dem Teile bewusst werden konnten, und dann doch wieder nicht. Wenn das diffuse Licht des Alltäglichen stärker wird in seiner Vereinnahmung, als die Suche nach der Enträtselung des Individuums, das ich bin. In Berührung kommen damit, und mit dem, was da ist. Das ist schon Innenschau, Show-Room des Ichs. Da sind die Korridore, die Wege. Da hängen die Bilder. Da liegt der Staub auf dem Eingemachten. Man ist ja auch Familie mit sich selbst und dem leisen Blut in den Adern, und dem vielen Wasser in uns, das das Schiff trägt, das uns durch den Wirrwar der offerierten Ordnungen steuert, für deren Verständnis überall Preise verteilt werden, ohne dass das Wissen über uns selbst reift. Oder reift es? Sicherlich gibt es Zeiten, da wird die Spur  zum Wesen hin von wenigen gelegt. Und es gibt Zeiten, da muss ich mich kennen, um weiter zu kommen auf dem Spielfeld, weil Mogeln auf einmal die Überzeugungskraft verliert. Sonst schleust der Nu mich nicht durch die Pyramidenspitze, wo Körper und Geist, auf einmal untrennbar in ihrem Zusammenspiel, sich in der Leere des Seins wieder finden. Was hier in Staunen versetzt, hat mit den Gottformen und ihren Religionen nichts mehr am Hut, weil es den Hut nicht mehr gibt, den man aufsetzen könnte. Ausdehnung der Identität. (!)

Antoine Emaz

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LASSEN WIE ES IST

bisher
ohne Bescheid zu wissen
hat man es immer hingekriegt

man hat herausgefunden
wie man durch alles
hindurchkommt so wie man
die Jahresschichten durchdringt
die verhärteten verkrusteten
Zeitschichten innen

irgendwie
spielt man zusammen
dieselbe Schachpartie

Wechselbad

Unterwegs suchte es in mir nach dem Begriff „Wechselbad der Gefühle“, als ich heute früh bei der See-Umrundung ein weiteres indisches Phänomen beobachten durfte. Seit einiger Zeit gibt es über den Devotionalienangebotstischen (geht doch!?) neue Dächer zum Schutz gegen Sonne und Affen usw. Nun hat sich bald ein neuer Spendentrend herauskristallisiert, und zwar werfen die Devotees Körner auf die Dächer, damit die vielen schnabulierenden Tauben Musik machen, die klingt wie der herbeigesehnte Monsoonregen. Ich sage zu dem Mann, der gerade in dieser Tätigkeit auf einer kleinen Leiter steht, die der Kornverkäufer dort für die Spender eingerichtet hat, ah, sage ich, „sangit karo“, du machst Musik. Herzliche Freude über die gelungene Verständigung. Ein paar Schritte weiter schleppt sich ein Hund mit Krebsgeschwüren durch die Gegend, etwas weiter schläft eine erschöpfte Mutter auf den Stufen, ihre zwei verwahrlosten Kinder tasten sich gefährlich an der Steintreppe entlang. Das ist ja alles noch harmlos, aber regt dennoch den Gedanken und die dazugehörige Praxis an, wie man in einer Welt wie der heutigen adäquat mit sogenannten Gefühlen umgehen kann und soll und darf und will, oder auch nicht. Fasziniert starre ich auf das Bild der Sondereinheit, die den Straßburger Täter erschießen konnte. Ja hallo Isaac Asimov, dachte ich, da sind wir doch mittendrin im Science Fiction Dreamland. Wie oft sind wir mittendrin und merken es gar nicht. Und wie oft werden wir noch froh sein müssen, dass immer perfektioniertere Spezialeinheitler jemanden erschießen, damit wir nicht grundlos erstochen werden auf freier Flur? Und diese ungeheure Herausforderung und Verantwortung des Selberdenkens. Ein renommierter Irgendwer schreibt in der ‚New York Times‘ einen vielbeachteten und in viele Sprachen übersetzten Artikel darüber, dass Deutschland nach Angela Merkel in die Tiefen des unüberschaubaren Hades absackt, natürlich in meiner Formulierung, und schon rasen Angst-und Häme-Moleküle durch den Äther…ohweh ohweh, der Abstieg, so lange ging’s uns gut und wir merkten es kaum, oder haha haha, runter mit den Besserwissern und ihrem mysteriösen Aufstieg aus der Hölle des Elends. Man lese dazu ‚Die göttliche Komödie‘, wo die beschriebenen Qualen selbst über das Hörbuch sehr viel Geduld erfordern. Wer weiß schon, und warum weißt du, Famous Article Writer, dass es mit Deutschland bergab geht. Das kommt auf sehr viele Dinge an, auch auf Gedanken, die Menschen sich selbst machen. Das ist in der Tat ein Balanceakt, das Eine nicht zu übersehen, und sich auf das Andere wirklich zu konzentrieren. Ernst zu nehmen, wer man ist, und in gesundem Maß. Und das Gute und das Schöne nicht aus den Augen verlieren, nicht verlieren aus den Augen. Kann so ein highly durchtrainierter Spezialeinheitsanzug auch schön sein? Mit vielem ist man allein, und es schadet nicht, einiges in feiner, angemessener Schwebe zu halten.

Der Mann auf dem rechten Bild oben ist ein Einheimischer, der eines Tages vorüberging, als ich ihn vom Fenster aus photographierte.

 

spüren

Weit entfernt davon, jemals etwas Geschriebenes illustrieren zu wollen oder zu können, so erstaunt mich doch manchmal als  „Pinslerin“, dass sich in den Pinseleien zweifellos Spuren befinden von dem, was durch mich hindurchgeht. Das ist zum Glück nicht immer reflektionsdringlich, denn auch hier finde ich, sollte einerseits eine Resonanz stattfinden, andrerseits alles auch für sich stehen können, unabhängig voneinander, wenn auch verbunden. Aber als gestern dieses Bild oben unter meinen Augen und durch meine Hand entstand, da erinnerte ich mich an ein Video, dass mir in einer Mail empfohlen wurde und das ich nur teilweise sehen konnte wegen dem schwankenden Empfang. Es handelte von dem Arzt Dr. Mukwege, der im Kongo mit unvorstellbarem Einsatz unzählige Frauen wieder in eine Lebensmöglichkeit gebracht hat, nachdem sie als Kriegswaffe vergewaltigt wurden und oft in einem Zustand zu ihm kamen, der ihn nur noch fassungslos erschüttern konnte. Uns nur noch fassungslos erschüttern kann, wie es bei aller Dringlichkeit, das Leben auch als Geschenk zu betrachten, es auch wichtig ist, sich erschüttern zu lassen vom Unmaß einer so höllischen Gewalt, dass man den Tieren Unrecht tut, sie zu vergleichen. Kongo, Kongo, dunkles Wort. So dunkel, dass es Dr. Mukwege klar wurde, dass er die Welt davon informieren musste, und man kann nur hoffen, dass Bewegungen in Gang kommen, wo solche Dinge geschehen. Eine Frau aus Nigeria, deren Sohn vor ihren Augen erschossen wurde, sagte mir mal, ich hätte doch die deutschen Gräuel nicht verursacht, das waren Andere. Das mag sein, aber ich habe viel gelernt von diesem Grauen, mit dem ich mich erst tief beschäftigt habe, als ich nach vielen Jahren zum ersten Mal wieder aus Indien zurückkam nach Deutschland. Indien, wo der Name „Arya“ heute noch Bedeutung hat, ebenso wie das Swastika. Es hängt also nicht von der Bildung ab, ob ein Mensch zum Raubmenschen mutiert oder zu sich selbst. Kann ein Mensch, der bei sich ist, zu einer niederen Sorte von Tier werden (?), wenn es das geben sollte, eine niedere Sorte von Tier. Man fürchtet sie vielleicht wie Menschen, wenn sie todbringende Krankheiten in sich tragen. Als ich einst („es war einmal…) in diesem Dorf ankam, war ich in ausschließliches Schwarz gekleidet und hatte einen Stab mit einem kleinen Totenkopf dran, ein Meisterwerk aus Rhinozerushorn. Viele erlaubten sich den Genuss eines kichernden Erschreckens und nannten mich Kalima. „Kal“ bedeutet „Zeit“ und „Tod“, und was auch immer jemand heraus-oder hineingelesen hat, es war in der darauffolgenden Zeit ein großer Schutz für mich, diesen Namen tragen zu können, den ich bis heute trage. Ich erwähne das aus einem bestimmten Grund, denn heute früh hatte ich ein gutes Gespräch mit dem Sadhu (Mönch), mit dem ich mich manchmal am Ufer des Sees unterhalte. Er betonte, wie alle Menschen seine Brüder und Schwestern seien, und wie sie alle gut zu ihm wären undsoweiter… Irgendwie zündete bei mir der Gedanke, und auf dem Rest des Weges versuchte ich spielerisch, alle als meine Familienmitglieder zu sehen. Ich fand die Wirkung umwerfend und wirklich sehr unterhaltend, zu sehen, wie es tatsächlich Onkel und Tanten und Brüder und Schwestern usw gab, und auch ein paar, die Freunde waren, keine Väter und Mütter, eher Bachchas, Kinder, halt jedes in seiner und ihrer Art. Ob diese warmherzige Hervorsprudelung nun jeden Tag gelingt, no idea. Aber der Gedanke tauchte auf, dass ich froh bin, dass sich keiner mehr vor mir fürchtet, und dass ich selbst meine Liebe spüren kann, und dass es unendliche Möglichkeiten gibt, ihr Ausdruck zu verleihen.

durchsetzen

Wenn ich manchmal von dem Ort, an dem ich in Indien wohne, als einem „Dorf“ rede, so meine ich ungefähr 20 000 Einheimische (und Zugezogene), die auf unterschiedliche Weise davon betroffen sind, dass Menschen aus aller Welt und ihrem eigenen Land hier täglich herumtraben, alle mit ihrem eigenen Programm beschäftigt. Interessant fand ich immer, was sich durch die ganzen Kontakte dann durchsetzt. Als ich vor vielen Jahren ankam, war ich doch sehr (angenehm) überrascht, in ganz vielen Läden Gemälde von Salvador Dali zu sehen. Eifrig und völlig unberührt von copyright Gedanken kopierten sie seine Bilder auf Leinwände. Sie waren, wie ich von meinem Sindhi Freund hörte, vor allem bei Israelis jahrelang ein Renner. Dann liefen irgendwann auf einmal alle mit den sogenannten Ali Baba Hosen durch die Gegend, ich habe noch ein paar, sehr bequem. Von den Smartphones muss man hier ja nicht unbedingt reden, sie gehören eher zur Sorte „Baghwan ka kamaal hai“, ein göttliches Wunder, da kaum jemand übrigbleibt, der es nicht hat. Unter den Pilgern hat es sich durchgesetzt, dass ein Priester einer größeren Gruppe mit einem Mikrofon in der Hand vorne draus läuft und den „heiligen“ Sound vorgibt, den dann alle mitsingen sollen. Niemand wehrt sich, alle machen mit, obwohl es überhaupt keinen Sinn macht und die Leute von ihren eigenen Eindrücken abhält. Irgend jemand denkt sich was aus, und eine Gruppe wiederholt es. Nicht einmal einen tiefen Satz möchte man aus hundert Kehlen wiederholt haben. Sagte der Lama einst in Kathmandu zu mir auf meine Nachfrage, welchen Sinn denn solch ein Nachplappern mache. Das sei besser als unnützes Reden, meinte er. Was das Durchsetzen betrifft, so habe ich schon mal „Amazon“ erwähnt, ein King unter Durchsetzern. Auch DDT, das es bei uns nicht mehr gibt, hat sich durchgesetzt, und „Maggi“ (mit Nudeln im Paket), jetzt organisch angeboten von Ramdev, einem als heilig gesehenen Producer, von dessen Produkten man heimlich hofft, dass sie tatsächlich organischer sind als andere, da er inzwischen das ganze Land versorgt. Und gestern saß ich oben bei mir in der Sonne, die sich auch durchgesetzt hatte durch den Winternebel, und sah gegenüber diesen Traumfänger. Traumfänger haben sich hier eingeschlichen und sind in vielen Läden zu haben und hängen in Restaurants und Zimmern. Ein Brahmane hat mich neulich gefragt, was die denn machen, und wie sie es machen, aber ich konnte keine Antwort geben. Dabei ist es einfach: sie lassen die guten Träume durchziehen und fangen die schlechten ein, eine erheiternde Idee, die sich leider nur im Zweifelsfreien umsetzen kann. Und ich denke auch nicht, dass der, der’s glaubt, selig wird oder erlöst vom königlichen Weg der Nachtgespinste, die nicht kontrollierbar sind, aber als Bewusstseinsweg zur Verfügung stehen.  Auch kommt mir gerade der kühne Gedanke, dass alles, was jeweils da ist, das Durchgesetzte an sich ist. Das Weltgeschehen formt sich aus dem, was sich durchsetzt. So ist  es ja auch mit unseren eigenen Systemen, und in dem Sinne bin ich, was sich durchsetzen konnte von mir und meinen Anlagen. Das gibt zu denken und bietet eine gewisse Anregung beim Navigieren.

helfen (!) (?)

 

Seit Tagen sitzt oder liegt eine Frau vor meiner Tür. Es ist ganz klar, dass sie keine Bettlerin ist, aber es ist auch nicht klar, was sie ist. Hinausgeworfen aus einem Haus, auf jeden Fall durch komplizierte Umwege auf diesen schwierigen Pfad gekommen. Zuerst habe ich sie frühmorgens am Rand des Wassers in den ersten, wärmenden Sonnenstrahlen sitzen sehen. Sie sprach mich mit makellosem Englisch an, allerdings auch mit „Hello, Darling“, was mich mundtot vorüberziehen ließ. Dann wieder vor meiner Tür, auch keine normale  Eingangstür, sondern eine große, solide Holztür, vor ihr noch ein geschmackvolles Gitter gegen die allgegenwärtigen Tiere. Ich trete ein in eine geräumige Halle mit eingebauter Küche und allem Drum und Dran. Draußen die Frau. Eines Tages muss ich auf meinem Weg an ihr vorbeigehen und frage sie, ob sie denn keinen Wohnort hat. Sie hat nichts, sagt sie, kein Geld, kein Essen, nichts. Fühle ich mich unkomfortabel, weil ich alles zur Verfügung habe, was ich brauche, und da ist jemand, den das Schicksal, oder das „Karma“, wie sie es nennen, wirklich umgehauen hat. Und warum ist es mir so unangenehm, damit in Kontakt zu kommen. Als ich mir dann doch die Rede von A.Kram-Karrenbauer angehört habe, war ich an e i n e m Punkt irritiert, nämlich, als sie das große „C“ betonte, also die christlichen Werte des Ganzen, so als wüsste jeder in der Union, wie wichtig das für die Christen ist. Jesus, der durch die Gegend läuft und Gutes tut, Kranken hilft und Arme tröstet und was er nicht alles konnte. Offensichtlich kann ich das nicht, mit oder ohne Christentum. Ich dachte an Geld, aber das stimmte irgendwie nicht. Ich dachte an ein Angebot, oben bei mir eine Dusche zu nehmen, um mal wieder frisch zu sein, stimmte auch nicht. Die Story will ich auch nicht hören. Mitleiden will ich auch nicht. Am klarsten spüre ich, dass ich nicht helfen kann oder will. Gestern Abend habe ich in dem Raum, in dem ich schlafe, das Fenster geschlossen. Da saß sie direkt vor mir und las ein Blatt der indischen Tageszeitung, das sie wohl irgendwo aufgelesen hat. Sie hat mich nicht bemerkt und ich habe in Zeitlupe das Fenster geschlossen. Mitleid ist bedrückend, es ist mir unangenehm. Wie ist es möglich, dass ein Mensch sich in so eine Kälte manövriert, meine ich nun sie oder mich. Vielleicht fällt mir ja noch was ein, vielleicht ein freundliches Lächeln, ein Zulassen von der Dunkelheit menschlicher Not, ein Moment menschlicher Wärme, den ich mit ihr noch nicht erschaffen konnte. Denn es sollte letztendlich ja nicht abhängig sein von Sympathie oder Antipathie, auch nicht von unnützen Schuldgefühlen, auch nicht von der Tatsache, dass hier eine Frau eine sehr dunkle Zeit durchlebt. Und nachts unter meinem Fenster kauert, bis es stiller wird im Bazaar.

blicken

Das war schon auch interessant für mich, gestern das Feedback einer Künstlerin zu bekommen, dass sie erst beim zweiten oder dritten Blick die monsoonerzeugte Kuh erkennen konnte, die ich in meinem gestrigen Blog im Bild gezeigt und im Text erwähnt habe. Dafür sah sie muslimische Frauen durchwandern, auch schön. Mir persönlich gefiel ja am rechten Bild das subtile, kaum wahrnehmbare Gesicht, aber da hing nicht ein Hauch Erwartung meinerseits dran, dass es gesehen würde. Überhaupt: was wird gesehen? Ein zweiter oder dritter Blick, das ist schon viel. Wie oft habe ich selbst einen dritten Blick auf etwas geworfen..(?)…doch, habe ich. Lange bin ich schon vor Bildern gestanden, um zu schauen, was ich sehe, oder um erfassen zu wollen, worum es jemand ging. Das ist selten, dass einen etwas so tief bewegt, um Verwandlung zulassen zu können. Etwas in uns ringt immer bewusst oder unbewusst um den Blick, den wir zur Verfügung haben. Der Dieb verfolgt das Wandern der Handtaschen, der Narzisst  die erotische Selbstliebe, sein Blick ertrinkt im Nicht-Habbaren. In einem Gespräch mit einem alten Freund hier im Dorf sagte er zu mir, er würde in Begegnungen nur Ausschau halten nach etwas, was er im nächsten Video verwenden könnte. Das dauert doch lange, bis man wirklich begreift, wie unterschiedlich Menschen unterwegs sind, oder es ist ein Gebiet, wo man (ich) NachzüglerIn is (bin)t, aber langsam begreift, was für ein Ausmaß das hat. Deswegen vielleicht die zeitlose, hoch angelegte Frage nach dem, wie es ist. (Das Es, das zu Ich werden soll). Gibt es eine Sicht, die uns zeigt, wie es „wirklich“ ist? Eine „Supreme Reality“ außer der, die wir täglich in schwer durchdringbaren Mustern weben. Als ich heute früh unterwegs war, fiel mir auf, wie viele Dinge es hier gibt, auf die ich gerne schaue. So, als wären sie mein eigener Garten, mein Kepos, mit kunstvollen Werken überall, Gemälde, Skulpturen, und Freunde, beschäftigt mit ihren Ritualen und Rätseln. Das ist an einem Morgen, wenn alles ruhevoll vor sich hinströmt und man sich die Welt friedlich vorstellen könnte, und so, wie sie wirklich ist, mit allen Schattierungen eines Dramas, das vom Hinschauen lebendig wird, und wird unsichtbar vom Wegschauen.

schleierhaft

Durch den Comic, den ich gestern statt einem Gedicht oder Text (wie sonst am Sonntag) in meinen Blog hatte, habe ich, außer dem Gesundheitsaspekt des Lachens, auch verstanden, dass Humor in der Lage ist, Schleier zu zerreißen. Für das, was da an Schleier zerrissen wird, kann man zum Glück gar keine Worte finden. Das ist der Witz der Sache. Das Verstehen geht so blitzschnell, dass man gar keine Zeit hat, nachzudenken, worüber auch, das Gemeinte ist ja klar. In Indien, vor allem aus westlichem Klima und westlichen Denkstrukturen kommend, lässt man sich gerne, zumindest eine Zeitlang, tragen vom scheinbar „mystischen“ Fluss der hinduminischen (Eigenbegriff) Vorgänge. Ich rede jetzt nicht von Delhi oder Mumbai etc, obwohl man sie da auch noch finden kann, diese Ergebenheit in den kosmischen Flow. Natürlich weben auch die Menschen im Westen ihre eigenen Muster, sie gehen nur anders damit um. Hier in Indien werde ich in Gesprächen, vor allem von Frauen, beneidet um diese Freiheit, die wir in ihren Augen haben. Meistens antworte ich darauf, ja, Freiheit ist wichtig, um das eigene Wesen und die eigenen Anlagen erkennen und steuern zu können. Aber Freiheit ist ja sehr relativ. Auch im Westen ist ein Traum, obwohl er mit viel Aussicht auf Umsetzung geträumt werden kann, schnell zu Ende durch ein auftauchendes, komplexes Muster, das man nicht handhaben kann. Was ist Freiheit, und wer kann es überhaupt oder hat es gelernt, sich darin aufzuhalten? Konsequent die illusionären Gebilde zu entschleiern, um die Sicht zu schulen auf das Daseiende. Was ist denn da? Und doch gibt es geheimnisvolle Dinge, die sich gerade in einem (verhältnismäßig) geklärten Innenraum ständig ereignen. Sonst gäbe es kein Staunen, und ohne Staunen gäbe es keine Wahrnehmung des Daseienden.  Dazu gehört (für mich) auch so etwas wie diese Kuh im linken Bild oben, die der Monsoon geschaffen hat. Und dass der monsoonerzeugte Kuhschwanz so eine schwungvolle Verbindung herstellt zur Pinselei daneben, die ich gewählt habe wegen des nebulösen Gesichts eines Menschen, der dort im Schleierhaften herumsitzt. In den Upanishaden wird das Bewusstsein mit einer scharfen Klinge verglichen, und ich finde das ganz gut, weil man mit Klingen vorsichtig umgehen muss, sie aber genau deshalb braucht, um der Gewalt entgegenzuwirken, die in mangelndem Bewusstsein immer latent vorhanden ist. Tue ich so, als würde ich nie lügen, kann ich mich nicht wirklich für die Wahrheit begeistern. Auch das Bewusstsein ist nur ein Instrument und kein Resultat einer gelungenen Arbeit. Deswegen legt manchmal ein dafür geeigneter Kopf einen Nikolaus für uns auf die Freudsche Couch. Der begleitende Psychiater ist verblüfft. denn vom Nikolaus hätte er diese Aussage nicht erwartet.

aussagen

Erst am gestrigen Nachmittag ist mir durch Lord Google bewusst geworden, dass in Deutschland auch am Freitag derdiedas neue Vorsitzende der CDU gewählt wurde und bin auf harmlose Weise  erfreut, dass in beiden Ländern meine (zäh und vorsichtig gefasste) Einstellung favorisiert wurde. Egal, wie man es sehen möchte, so kann es doch ganz schön viel ausmachen, wer da oben sitzt und das Ding schaukelt, von dessen einigermaßenem Gelingen wir abhängig sind bzw. beeinflusst. Und nicht nur in Indien, sondern überall hängt noch ein riesiges Stück Religion an der politischen Identifikation, die mitbestimmend wirken soll und vollkommen unüberprüfbar ist. Einen „guten Christen“ definieren zu wollen wäre genauso anstrengend oder sinnfrei, wie sicher zu sein, was ein „guter Hindu“ ist oder ein „guter Moslem“. Seit ich mich dieses Jahr (spät, aber immer noch rechtzeitig) aus dem Götterolymp offiziell (heißt hier: durch mein eigenes Bewusstsein) verabschiedet habe, komme ich mehr damit in Kontakt als vorher, das hat seine eigene Logik. Und die Frage nach dem „Gibt es Ihn oder gibt es Ihn nicht“ wird von professionellen Kontemplierern und Kontempliererinnen genauso wesentlich erachtet wie die Frage nach der Liebe, und was sie ist und was nicht, und wer was davon versteht, und wodurch. In der „Times“ kamen zwei sehr schöne Aussagen, die ich hier gerne mitteilen möchte, soweit entfernt es sich von politischen Belangen auch bewegen mag. In einem Artikel über Albert Einstein, wo es um einen Brief von ihm ging, der für 3 Millionen Dollar verkauft wurde, sagt Einstein, dass das Wort „Gott“ für ihn nichts anderes ist als der Ausdruck und das Produkt menschlicher Schwächen.“ Drei Seiten weiter in der Zeitung wird Swami Vivekananda mit der Aussage zitiert, dass „in dem Moment, in dem ich realisiert habe, dass Gott im Tempel jedes Menschen sitzt, ich in diesem Moment frei bin von Bindung, alles Bindende verschwindet, und ich bin frei.“ Ich empfand das früher auch mal als eine schöne Idee, das „Göttliche“ in allen zu sehen, und es gibt eine indische Geschichte, in der ein Gott verkleidet an die Tür kommt, natürlich um den Sterblichen zu prüfen, sodass die Moral der Geschichte war, nicht denken zu sollen, dass Gott nicht jederzeit an der Türschwelle stehen kann. Jetzt taucht bei mir eher die Frage auf: warum muss ich denn immer das Göttliche sehen wollen. Reicht denn das Menschliche nicht? Und wenn es nicht reicht, ja warum nicht?  Immerhin gab und gibt es zu allen Zeiten Menschen, die einem als gute und wertvolle Beispiele vor Augen kamen. Warum muss da immer ein Gott die Hand im Spiel haben. Vielleicht macht es nur „die Kunst“ letztendlich möglich, alles zu sein, was ein Wesen hergeben möchte und kann von sich. Die potentielle Freiheit ihres Raumes ist atemberaubend und atemschenkend. Wo die Kunst zum Gott wird, ist sie verloren, auch wenn es von außen nicht immer (gleich) so aussieht.

wählen

 

Das sind die beiden parteiführenden Herren, die sich zur Zeit in möglichst entgegengesetzter Richtung um das goldene Kalb herumjagen, das Kalb ist der sogenannte Hinduismus. Der Hinduismus ist immer von anderen Ländern und vom eigenen falsch verstanden worden, weil man ihn nicht verstehen kann. Warum kann man ihn nicht verstehen? Weil es ihn nicht gibt. Natürlich ist da etwas, was man den „Hinduismus“ nennen kann, aber was meint das? Es meint, dass jede/r, weil es ihn nicht gibt, das, was er für ihn hält, nennen kann, wie er will. Das ist natürlich mit vielem so, aber der Hinduismus ist ein prächtiges Beispiel. Das Wort gibt es auch noch nicht lange und ist nicht von Hindus geprägt worden. Irgendwie musste man wohl mal das, was hier los war und ist, nennen. Der Hinduismus ist keine Religion und hat auch keinen Gründer. Er hat sich als ein sehr geräumiges Feld herausgebildet, selbstorganisierend, poiesisch, ja, und vielleicht gerade wegen dieser natürlichen Poiese auch sehr poetisch. Wegen der enorm hohen Ansprüchlichkeit an das Menschsein, was Frieden und geistige Gelassenheit durch das Akzeptieren des Schicksals betrifft, leisten hier Menschen permanent das für mich zumindest Unvorstellbare mit einer Geduld. die mir leider nicht mitgegeben wurde. Ich muss forschen und zu einem gewissen Maß herausfinden, wie und was und wer es ist, was und wer mir und wie begegnet, das müssen sie nicht, doch sind ja beide Lebensweisen gleichermaßen mühsam, der Glaube und das oft magere Resultat des Wissens. Zurück also zu den Herren, die sich seit Tagen durch die Hinduschlacht schlagen mit Dolchen und Küchenmessern und Nussknackern, edle Schwerter habe ich nicht wahrnehmen können. Die Zeit der edlen Schwerterführung ist (auch) vorbei, wenn es ihn  jemals gab, den heiligen Schwertstreich Die brennende Kernfrage zwischen Gandhi und Modi ist also: wer ist der bessere Hindu? Modi, bewusst oder unbewusst als Santa Claus verkleidet, hält den Nehru-Dynastie-Bengel für eine Hindu-Niete. Und egal, wie viele Hindu-Schriften Rahul auswendig lernen kann und Puja (Gottedienst) zelebrieren am Nabel des Weltenschöpfers, die religiös fanatische, safranfarbene Bande auf der Gegenseite wird die Anerkennung verweigern. Rahuls Mutter fand dazumalen einen geistreichen Ausweg aus der Bredouille, in der sie war, als man sie zur Premier Ministerin machen wollte. Sie nahm den Posten nicht an und setzte Manmohan Singh an ihre Stelle, ein friedlicher Mann, aber ja, kein egomanischer Weltretter. Narendra Modi wiederum brodelt vor lauter Hindu-Substanz, also etwas, was es eigentlich gar nicht gibt. Man lernt ja selbst mit der Zeit, dass vieles, was man für selbstverständlich hielt, gar nicht da ist, zumindest nicht in der Dosierung, die man vermutet hatte. Auf meinem morgendlichen Rundgang habe ich heute den Sadhu (Mönch) gefragt, wie es seinem Ischiasschmerz geht, und ja, gar nicht gut. Für ihn, sagte er, wäre es jetzt so, dass, wenn Gott seine Bitte erhört und ihn den Planeten demnächst verlassen lässt, dann gibt es Gott für ihn. Wenn nicht, dann nicht. Wer hat denn deiner Meinung nach den Schlüssel für deinen Abgang?, frage ich ihn. Hast du ihn? Außer Gott gibt es ja noch eine dritte Variante, wo der Schlüssel sein könnte, oder gab es gar niemals das Himmelstor mit seinem schmucken Schloss und dem goldenen Schlüssel?  Heute sind Wahlen im Bundesstaat Rajasthan. Mal schauen, wen sie wählen. Jemand hat gestern gesagt, man könnte an der Hose und am Haarschnitt erkennen, zu welcher Partei jemand gehört. Von den Frauen und ihrer politischen Meinungsbildung weiß ich (noch) nichts.

reden

In Deutschland würde ich nie auf die Idee kommen, wenn ich mal irgendwie schräg oder verstimmt drauf bin, auf die Straße hinauszugehen, weil es mir dann gleich besser geht, wenn ich ein paar Menschen getroffen und mit ihnen geredet habe. Ich würde vielleicht im Wald eine Runde drehen und ziemlich ungern jemandem unterwegs begegnen. Hier ist das anders. Natürlich vereinfacht es den Zugang zu freundlichen Begegnungen oder Gesprächen, wenn man mal ein paar Jahre an einem Ort gelebt hat. Aber die Garantie einer gutgesteuerten Laune kommt vor allem daher, dass die meisten „Inder“ gesprächsoffen sind, oder vielleicht passt hier dieses Wort „redselig“. So weit wie selig würde ich nun nicht gehen, aber „das  Reden“ kann doch eine sehr schöne Sache sein, vor allem, wenn auch die Erfahrung des Schweigens dabei ist oder mitschwingt. Und immer wieder gibt es Überraschendes zu erleben. Gestern war ich bei Krischna, einem (brahmanischen) Brotbäcker, zu dessen Familie ich ab und zu einen Kilometer pilgere, einerseits für das Brot, andrerseits für die Gespräche mit ihnen. Wir saßen alle zusammen beim süßen Schwarztee, eine Spezialität der Hausfrau, Sunita, und mit einem der Söhne, Janak. Krishna hatte sich in diesem Jahr einen Bart wachsen lassen und Janak meinte, sein Vater solle doch bald in eine Höhle ziehen, um als Mönch zu leben. Krishnas Frau war begeistert, und das Gespräch ging so leicht und spielerisch um alle Themen herum, und alles wurde gesagt und doch nicht tierisch ernst genommen, sondern wegen der geistigen Freiheit, die möglich war, blieb der Grundton heiter. Ja, „Hindus“ sind in vieler Hinsicht extrem fixiert, aber freies Denken wird auch durchaus geschätzt, wenn man es kann. Ich finde es interessant, wie alle, mit denen ich zur Zeit rede, gerade mit den politischen Themen umgehen. Die Schlammschlacht zwischen den führenden Politikern ist auf einem so peinlichen Level, dass die meisten zwar wählen gehen, aber bis zuletzt warten, welchen Namen letztendlich ihre Hand schreibt. Alle finden es unangenehm, dass es nur um persönliche Macht geht, und dafür braucht man eine Menge Geld, und da wird es ja auch schon ziemlich langweilig, und nur die Philosophen sind manchmal noch bestürzt, wohl wissend, dass es kein Klacks ist, seine Seele für ein paar Groschen zu verhökern. Der Priester, mit dem ich darüber rede am See, trägt einen „Dhoti“ (indisches Kleidungsstück für Männer, ursprünglich bestehend aus einem Tuch, das man wie einen Rock trägt und einfach zuknotet). Dieser Dhoti fällt mir ins Auge, weil er aus feinstem Baumwollstoff ist mit einem schlichten Goldrand. Ich dachte, solche Qualität wäre ausgestorben und frage ihn, wo er ihn her hat. Bereitwillig erzählt er mir, dass er es bei Amazon bestellt hat, und nein, nicht mehr als Tuch, sondern schon fix und fertig als Dhoti mit Seitentaschen und einer Gürtelschnalle. Amazon hat hier eingeschlagen wie ein Komet. Nun bin ich leider keine Bania-Natur (cleverer Businesskopf), sonst wäre ich schon längst croremami (Millionärin). Gerade merke ich, dass meine heutigen Worte nicht so sehr die geistigen Dimensionen beschreiben, die ich bei Indern im Dialog für möglich halte, sondern es ist diese erheiternde Menschlichkeit, die ich so schätze. Auf dem Weg zurück von Krishna hält ein Motorrad neben mir, und der Fahrer fragt mich, ob er mich nach Hause fahren soll. Ich steige sofort auf, weil er auch meinen Namen kennt, habe aber keine Ahnung, wer er ist. Unterwegs höre ich, dass er früher  im selben Hotel gearbeitet hat, in dem ich mal gewohnt und eine Drama Performance für das ganze  Dorf organisiert habe. Ein paar Minuten tiefer Verbundenheit wehen durch die Atmosphäre. Man hat was richtig Gutes erlebt und das Herzgefäß wird in eine Weitung gelockt.

Das Bild zeigt Sokrates im Dialog mit einem seiner Schüler (why not).

ankern

 

Gestern kam ich mal wieder am herrschaftlichen Sitz der Bruderschaft (der Naths) vorbei, mit der ich mal eng verbunden war und die mir Erlaubnis geben mussten, in der Wüste unter einem riesigen Banianbaum in einem Tempel zu wohnen, der unter ihrer Obhut stand. Die beiden Bilder, die ich gestern in ihrem Vorhof gemacht habe, musste ich in blitzschneller Eile hinbekommen, sonst wäre ich Fragen ausgesetzt gewesen, die ich nicht beantworten will. Das linke Bild zeigt den Wasserausgang aus einem ihrer kleinen Shivatempel, in dem der phallische Lingum thront (und auch die unerlässliche Yoni), der regelmäßig mit Wasser übergossen wird, das dann aus dieser Öffnung herausfließt, in der ich den dunklen Fürsten erblickte, den ich festhalten wollte. Ja, es ist das Land der Pfauen und der Elefanten und der Kamele und der farbenprächtigen Gewänder und überhaupt: Tuch und Turban. Aber es ist auch das Land der dunklen Geheimnisse, und schon oft hatte ich den Eindruck, dass gerade das Wasser, auch als Monsoon, diese Geister auf die alten Wände zeichnet und sie sichtbar macht. Das Bild daneben zeigt eine Flamme, dem schwarzen Gott Shani geweiht, die immer brennt mit reichlichem Ölnachguss. Frauen sind nach wie vor auf der schwarzen Marmorfläche nicht erlaubt, und das steht deutlich in großen Lettern geschrieben. Ich bemerke mit Freude, dass mein einstiger Versuch, das „nicht“ (in Hindi) mit schwarzer Farbe auszulöschen, sich nach ihrem Abkratzen immer noch deutlich absetzt  von den anderen Buchstaben in gelber Farbe. Manchmal müssen einem kleine Aktionen genügen, um ein Zeichen in die Mitte der eigenen Ohnmacht zu setzen. Ich wage noch einmal die scheinbar überholte Frage, wie es dazu kommen konnte, dass die beiden existierenden Geschlechter nicht in der Lage waren und sind, ihre gravierende Unterschiedlichkeit achtungsvoll wahrzunehmen, was eine natürliche Gleichberechtigung niemals in Frage stellen könnte. Immer noch niederere Löhne für gleiche, und oft kompetentere Arbeit? Usw. Wenn ich bei meiner Freundin Lali in ihrem Restaurant eine Weile mit ihr herumsitze, kann ich die Quelle dieses Phänomens konkret beobachten, wobei das Erfreuliche daran immer noch ist, dass ich mit ihr darüber lachen kann. Mit all den dort arbeitenden Männern, ihre Neffen und Brüder, ist es nicht nur unmöglich, ein Gespräch zu führen, sondern sie leben vollständig absorbiert in ihren eigenen Welten, die außer der anstehenden Arbeit, bei der sie erscheinen, wann sie möchten, aus Spielen auf dem Smartphone oder, vor allem während des Essens, aus uneingeschränktem Starren auf den Fernsehbildschirm besteht, der neuerdings leider dort angebracht wurde. Dann kann es vorkommen, dass ich daran erinnere, wie schädlich für Körper und Geist es ist, wirres Zeug über die Bilder in die Nahrung zu leiten, so, als könnte sie dadurch trotzdem ihre wesentliche Arbeit tun. Nein, kann sie nicht, genauso wenig, wie ich einen Menschen lieben kann, ohne ein tiefes Interesse an der Ergründung seines oder ihres Wesens zu aktivieren. Nun sind die ersten Mutanten geboren, und allmählich wird das aufwendige Ackern hin zu glaubwürdigem Menschsein technisch erleichtert werden können. Warum sollten Menschen dagegen sein, wenn man sie zu weiterer verlockender Gehirnwäsche inspiriert, und das ausgediente Menschenmodell gelöscht werden kann. Wir leben ja schon eine ganze Weile auf bestimmten Seiten des Science Fiction Romans.  Ich habe mich für ein eigenes Schiff entschieden, auf dem auch viel Raum ist für Gespräche und Festlichkeiten, und  habe auch gelernt, den Anker auszuwerfen und mir Zeit zu nehmen für Wesentliches, oder besser gesagt, was mir ganz persönlich als das Wesentliche erscheint.

Atman

Es gibt vermutlich in jeder alten Kultur Begriffe und Gedankengänge, die durch Jahrtausende hindurch immer wieder neu bedacht werden und ähnliche Denkmuskelübungen und Zauberformeln hervorbringen, vielleicht auch mal einen irrsinnig Erscheinenden (wie Ramakrishna), den man überprüfen ließ und der dann als „erleuchtet“ befunden wurde. Wer ist in der Lage, etwas Erleuchtetes zu befinden. An den meist glamourös gepolsterten Sitzen heutiger Gurus kann man sehen, dass der Draufsitzende sich wahrscheinlich auch mit den zeitlosen Themen beschäftigt hat, aber meistens doch seine Energie von dem andächtig lauschenden, weiblichen Publikum erhält, das auf irgendeine Weise hofft oder annimmt, dass der dort auf sie Herabblickende die Antwort hat auf die tiefen, unauslöschlichen Fragen. Das ist auch irgendwie sinnvoll: Gedanken, die nie beantwortet werden können, halten den Geist dessen wach, der sich für sie interessiert. Was ist der Unterschied zwischen dem alltäglichen ich („main“ in Hindi) und dem „tat twam asi“, „das bin ich“ (wirklich). Was bin ich wirklich? Schau, sagen zB. manche Buddhisten, so lange da hinein in dich und suche, ob du das findest, was du bist. Eine Substanz, die sich erkennt an vertrautem Gefühl, ist nicht zu leugnen.  Ist das „Atman“, der Kern des Wesens, der Urstoff des Seins?, einerseits ganz Individuum, andrerseits fast schemenhaft integriert in den Strom, nur durch sich selbst zum Erwachen gelangend. Und heißt das nicht: zu einem bestimmten Bewusstsein, das diese Essenz befähigt, den planetarischen Ablauf und seine Gesetzmäßigkeiten soweit kennen zu lernen, dass die Neigung zu schleierhafter Bezeugung des Daseienden sich wandelt in etwas, das man im entferntesten Sinne noch ein Auge nennen kann. Ein Auge, das in eigener Sicht ruht und dadurch die Bilder in aller Offenheit wahrnehmen kann, wie sie an uns allen stetig vorüberziehen. Ich habe in meiner langen Zeit in Indien nie leidenschaftlich nach einem Menschen gesucht, der den Eindruck vermittelt, zu wissen, was „Atma(n) ist. Man kann auch wach werden, indem man sich eine Weile klar macht, dass man sekündlich tot umfallen kann, und dann…vorbei mit dem Atman? Oder wandert es weiter und sucht sich neue Kanäle zu neuem Auftritt? Und was ist Sein? Gibt es SeinsbewohnerInnen und Seinsflüchtlinge, und dann die vielen, die das keine Bohne interessiert. Anscheinend setzen doch alle das Wissen um, das ihnen zugängig ist. „Bewusstsein“ ist auch so ein Wort, das wir, in Vorbereitung auf Weiteres, dringend brauchen, obwohl wir bereits ahnen, dass es verblüffend wenig verlässlich zu Wissendes gibt, und auch sehr Wenige, die einem da weiterhelfen können. Schön an Indien sind ja nicht nur diese unhabbaren Antworten, sondern auch auf der körperlichen Ebene ist Wachsein angesagt. Neulich musste ich hintereinander zwei Ratten aus dem so sicher wirkenden Lagerraum in einem im letzten Jahr organisierten Rattenkäfig hinaustragen und dort von der hohen Brücke ins Schlammloch plumpsen lassen. Sie hatten all meine biologisch nahrhaften Lebensmittel, die ich aus Deutschland mitgebracht hatte, gründlich durchgefressen, sodass ich trotz tiefem Nachdenken alles wegwerfen musste, um nicht an irgendeinem Gift zu verenden.  Natürlich drängte sich auch der Nachgedanke auf, wie wenig ich das alles vermisste. War das nun meine nüchterne Vernunft oder der mystische Atman, der sich ratgebend im Inneren kundtat? Oder einfach nur: Auge, sei wachsam!

Die zwei Photos habe ich von meinem Fenster aus gemacht, einmal mit und einmal ohne Fliegengitter. Das rechte Bild zeigt zwei Freunde, die beide von sich selbst Selfies machen.

Götter

 

Durch ein Gespräch wurde mir klar, dass das Thema „Götter“ z.B. in Deutschland ja gar nicht auftaucht, es gibt sie nicht (mehr), und es wird auch nicht wirklich diskutiert, ob Allah oder der christliche Gott unter Umständen die selbe Wurzel haben könnten, wie es in vielen geistigen Schulen vorgeschlagen wurde und wird, die einheitliche Grundstruktur des Ganzen eben. Das ist einfach auszusprechen, aber schwer zu verstehen und zu erreichen und überhaupt für möglich zu halten, ob es das wirklich gibt. Das Große D a s. Ich persönlich, die ich diesen Umgang mit Götterwesen nun etwas spielerischer sehe und keine vehementen Punkte zu vertreten habe oder einen bestimmten Gruß, mit dem ich meine Gottesnähe zu erkennen geben will, ich habe dieses Jahr auch die meditative Praxis von meiner eigenen Meinung befreit, nämlich, dass sie einen Gott als Andock-Instanz haben muss. Nein, sie muss vor allem nützlich sein und sich im Alltag bewähren. Wenn einen etwa die Gelassenheit interessiert, kann man nicht einfach auf sie warten. Das ist so wie „old is gold“, ja, nicht automatisch Gold, wie soll das gehen? Sicherlich kommt es auf die Legierung an, die durch das Verständnis der Prozesse entsteht. Legare: binden, vereinen. Ich denke auch, dass wir Menschen, zumindest zeitweilig und bewusst oder unbewusst, an dem offensichtlichen Mangel an Vollkommenheit leiden,der im menschlichen Feld grassiert, wobei schwer zu definieren ist, was das sein könnte. So kam wohl schon immer die Erzeugung der Götter den menschlichen Wesen entgegen. Man konnte sie ausstaffieren mit unerschwinglichen Tugenden, mit garantierter Vergebungskunst für alle Sünden und konnte die Schicksalsabgründe auf sie abladen. Man kann wegen ihnen und für sie Kriege führen und riesige Massen in besessene Gläubigkeit manipulieren. Im Epos der indischen „Mahabharata“ steht Krishna selbst, der Gott der Liebe, auf dem Streitwagen und erklärt Arjun, der noch zögert, dass er auch Leute aus seiner Familie töten muss, wenn es in seinem Schicksal geschrieben steht. Das leuchtet nicht wirklich ein, denn auch Arjun hätte einen powerfullen Punkt machen können, indem er sagt: Ich töte nicht undsoweiter. Und was das Gastmahl von Plato betrifft, so fand ich es ja immer interessant, dass Diotima als Fremde eingeschleust wurde ins Gastmahl, und hält, zu Sokrates gewandt, eine lange Rede über die Liebe, und erzählt dann eine Menge Geschichten über die Götter, und was die so alles machten und dachten. Ob man darüber etwas über die Liebe erfährt? Mit einem „Meister“ aus Uttarkashi, der mit seinen Schülern und Schülerinnen ab und zu hier im Ort ein paar Tage im Jahr Anker geworfen hatte, hatte ich einmal ein unterhaltsames Gespräch darüber, ob es in Indien Grenzen gibt oder nicht. Ich machte eine kleine Götterstatue aus einem schwarzen Stück  Autoreifen, kaufte ein paar goldene Füßchen und kleine Götteraugen im Bazaar, und konnte dann selber sehen, dass ich keine Grenze geschafft hatte, sowas Anbetungswürdiges hatte das Figürchen. Ja, so habe ich für mich eine Lösung finden müssen, und sie war gar nicht so schwer, wie ich dachte. Nur ein mentaler Umschwung auf der Basis einer klaren Erkenntnis, bzw einer klaren Entscheidung: die Götter sind da, what to do, für viele sind sie wichtig und schön, und ich hatte auch schöne Zeiten mit ihnen. Nun zwingt mich auch niemand, an irgendwas zu glauben, und ich muss nicht wissen, was die Anderen glauben, was ich glaube, weil sie ja gar nicht wissen, dass ich nichts glaube. Warum sollen Störungen auftauchen? Und warum sollte ich die Götter ausgrenzen, sie tun mir ja nichts. Ich sehe manchmal auch einen, die Wolken sind für diese Vorstellung von Dimension super geeignet. Würde man aus Indien die Götter herausziehen wollen, gäbe es kein Indien mehr. Das ist auch Rahul Gandhi, der gerade für Elections unterwegs ist, glasklar geworden: dass er ohne Götter und Tempelbesuche in diesem Land nicht punkten kann. So geht zur Zeit das Gerücht um, dass Rahul Gandhi über die Politik zum Hinduismus gefunden hat. Ohne Götter geht also gar nix. Deswegen habe ich sie einfach wieder auf meine innere Bühne eingeladen und gemerkt, dass ja alles da sein kann. Und wenn wir einander nicht stören. Mit dieser Einstellung kann ich zur Zeit gut leben.

Nicolas Born

DAS ERSCHEINEN EINES JEDEN IN DER MENGE
Ist es eine Wohltat allein zu sein
im Gelage der Gedanken ohne Augenzeugen
ohne das Auge des Entdeckers das sieht wie’s schmeckt
ohne das geübte Ohr der Menge?
Was ist eine Tatsache wert die unteilbar ist
was ist ein Universum ohne dein Beben
dein Erscheinen vor leeren Sitzreihen?
Die Menge geht auf der Erde
und nichts vergeht in der Menge
auf den Rücken summender Webstühle
erreichen wir den großen Widerspruch:
das Erscheinen eines jeden in der Menge

absurd

Wenn ich jedes Jahr an meinem indischen Wohnort lande, dauert es ein paar Tage, bis ich den Zeitungsmann aus der Sikh Community treffe oder er mich, und von nun an bekomme ich morgens die „Times of India“ durch den Türspalt geworfen. Dann fängt der tägliche 15-minütige Gehirnmarathon an, der viel von der anarchischen Prüfung erzählt, der man in Indien oft ausgesetzt ist: da steht alles in einer Sprache geschrieben, dem Englisch, das ich meines Erachtens ähnlich gut kapiere wie meine Muttersprache. Nun muss ich aber in dieser Annahme eine Weile bescheiden verharren, denn ich lese die Worte und verstehe von der indischen Politikvermittlung so gut wie kein Wort. Auch die Kostümierung auf den Bildern der ersten Seiten, die ja das Wesentliche vermitteln wollen, was gerade in der politischen Show abläuft, sind bemerkenswert. Was auffällt ist zum Beispiel die vorherrschende Farbe „orange“, denn viele religiösen Gestalten mischen hier politisch mit, und oft kann man auch die Gesichter der zeitweiligen Vorzeigepersonen gar nicht richtig sehen, weil so viele Blumenkränze um seinen Hals gelegt wurden, um die momentane Wichtigkeit der Person zu demonstrieren. Nun sind auf den ersten Seiten der Times zwei Artikel über dasselbe Thema erschienen, und ich will meinen Intellekt dazu inspirieren, eine zumindest halbwegs verständliche Version des realen Vorfalls wiederzugeben, um mir selbst (vielleicht) die Quelle des Absurden näher zu bringen, wo das Augenscheinliche ja oft passen muss, wenn die Akteure eines Dramas von etwas (für Andere) schwer Fassbarem wie besessen scheinen. So kam es also dazu, dass der Affengott Hanumann in politischen Kreisen eine erhitzte Debatte ausgelöst hat, und das im Kontext der kommenden Wahlen (7.Dezember). Eine Organisation (Serva Brahmin Mahasabha) hat einen Protest angemeldet gegen Chief Minister Yogi (hier nur ein Vorname) Adityanath, und zwar sollen in allen Hanuman Tempeln der Stadt Gottesdienste laufen, um dem Politiker das fehlende Wissen zu vermitteln. Der Minister hatte jedenfalls den wohl unakzeptablen Fehler begangen, Lord Hanuman, den Affengott, als einen „Dalit“ zu bezeichnen, als jemanden von einer niederen Kaste, und das löste den Skandal aus. Man verlangt von dem Minister, dass er sich binnen drei Tage entschuldigen soll oder die Konsequenzen tragen. Eigentlich hatte der Minister den Affengott gelobt und gesagt, er hätte sich schwer ins Zeig gelegt für sein Land, aber das war hier nicht Sache. Die Congress Partei verurteilte die Bemerkung scharf und sagte, die andere Partei (BJP) will nicht nur Hindus und Muslime trennen, sondern nun auch Götter. Ein politischer Schlichter meinte, zu Hanumans Zeiten hätte es doch wahrscheinlich gar keine Kasten gegeben, sondern alle hätten zur arischen Gemeinschaft gehört. (Spätere Quelle für Hitlers düstere Phantasien, in ähnlicher Verpackung gereicht). Später wurde in einem weiteren Artikel geklärt, warum Hanuman, der Affengott, kein Dalit sein kann, denn er diente ja in Lord Rams (König von Ayodhya) Armee. Nicht, dass die christlichen Priester und Kardinäle und Bischöfe mit ihren Hüten und Hirtenstäben nicht genauso märchenhaft wirken wie diese indischen Spieler. Was verblüfft ist ja eher die Tatsache, dass sich hier erwachsene Menschen massiv etwas vorgaukeln, was drei nüchterne Gedanken weiter in ein Nichts zerstäubt würde (würde werden können), was aber nicht passiert, weil alle mitspielen. In den dunklen Korridoren des bewusst erlaubten Irrsinns im Rahmen eigener profitabler Positionen macht der Missbrauch seine Runden. Ist das Rad mal in die andere Richtung gedreht, sozusagen gegen eigenes Wissen und Gewissen, ist der Schwung, den es nimmt, schwer aufzuhalten. Deswegen fürchten sich Menschen voreinander. Weil sie von schon Geschehenem wissen, wie weit das gehen kann.