absurd

Wenn ich jedes Jahr an meinem indischen Wohnort lande, dauert es ein paar Tage, bis ich den Zeitungsmann aus der Sikh Community treffe oder er mich, und von nun an bekomme ich morgens die „Times of India“ durch den Türspalt geworfen. Dann fängt der tägliche 15-minütige Gehirnmarathon an, der viel von der anarchischen Prüfung erzählt, der man in Indien oft ausgesetzt ist: da steht alles in einer Sprache geschrieben, dem Englisch, das ich meines Erachtens ähnlich gut kapiere wie meine Muttersprache. Nun muss ich aber in dieser Annahme eine Weile bescheiden verharren, denn ich lese die Worte und verstehe von der indischen Politikvermittlung so gut wie kein Wort. Auch die Kostümierung auf den Bildern der ersten Seiten, die ja das Wesentliche vermitteln wollen, was gerade in der politischen Show abläuft, sind bemerkenswert. Was auffällt ist zum Beispiel die vorherrschende Farbe „orange“, denn viele religiösen Gestalten mischen hier politisch mit, und oft kann man auch die Gesichter der zeitweiligen Vorzeigepersonen gar nicht richtig sehen, weil so viele Blumenkränze um seinen Hals gelegt wurden, um die momentane Wichtigkeit der Person zu demonstrieren. Nun sind auf den ersten Seiten der Times zwei Artikel über dasselbe Thema erschienen, und ich will meinen Intellekt dazu inspirieren, eine zumindest halbwegs verständliche Version des realen Vorfalls wiederzugeben, um mir selbst (vielleicht) die Quelle des Absurden näher zu bringen, wo das Augenscheinliche ja oft passen muss, wenn die Akteure eines Dramas von etwas (für Andere) schwer Fassbarem wie besessen scheinen. So kam es also dazu, dass der Affengott Hanumann in politischen Kreisen eine erhitzte Debatte ausgelöst hat, und das im Kontext der kommenden Wahlen (7.Dezember). Eine Organisation (Serva Brahmin Mahasabha) hat einen Protest angemeldet gegen Chief Minister Yogi (hier nur ein Vorname) Adityanath, und zwar sollen in allen Hanuman Tempeln der Stadt Gottesdienste laufen, um dem Politiker das fehlende Wissen zu vermitteln. Der Minister hatte jedenfalls den wohl unakzeptablen Fehler begangen, Lord Hanuman, den Affengott, als einen „Dalit“ zu bezeichnen, als jemanden von einer niederen Kaste, und das löste den Skandal aus. Man verlangt von dem Minister, dass er sich binnen drei Tage entschuldigen soll oder die Konsequenzen tragen. Eigentlich hatte der Minister den Affengott gelobt und gesagt, er hätte sich schwer ins Zeig gelegt für sein Land, aber das war hier nicht Sache. Die Congress Partei verurteilte die Bemerkung scharf und sagte, die andere Partei (BJP) will nicht nur Hindus und Muslime trennen, sondern nun auch Götter. Ein politischer Schlichter meinte, zu Hanumans Zeiten hätte es doch wahrscheinlich gar keine Kasten gegeben, sondern alle hätten zur arischen Gemeinschaft gehört. (Spätere Quelle für Hitlers düstere Phantasien, in ähnlicher Verpackung gereicht). Später wurde in einem weiteren Artikel geklärt, warum Hanuman, der Affengott, kein Dalit sein kann, denn er diente ja in Lord Rams (König von Ayodhya) Armee. Nicht, dass die christlichen Priester und Kardinäle und Bischöfe mit ihren Hüten und Hirtenstäben nicht genauso märchenhaft wirken wie diese indischen Spieler. Was verblüfft ist ja eher die Tatsache, dass sich hier erwachsene Menschen massiv etwas vorgaukeln, was drei nüchterne Gedanken weiter in ein Nichts zerstäubt würde (würde werden können), was aber nicht passiert, weil alle mitspielen. In den dunklen Korridoren des bewusst erlaubten Irrsinns im Rahmen eigener profitabler Positionen macht der Missbrauch seine Runden. Ist das Rad mal in die andere Richtung gedreht, sozusagen gegen eigenes Wissen und Gewissen, ist der Schwung, den es nimmt, schwer aufzuhalten. Deswegen fürchten sich Menschen voreinander. Weil sie von schon Geschehenem wissen, wie weit das gehen kann.

 


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