Ei-ei

 
Wenn man samstags zwischen Karfreitag und Ostersonntag aus irgendwelchen karmisch günstigen Gründen nichts einkaufen muss, weil man zB wie ich noch in der Ost/West Schleife nachwandert im unterstützenden Freundeskreis, kann man sich trotzdem mit aktuell praktischen Dingen beschäftigen wie zum Beispiel die sich als logisch darbietende Frage nach dem „Ei“. Ich habe von einem Supermarkt-Ei-Provider gehört, der auch sonst im Jahr Eier produzieren lässt, die dann eingefärbt werden von extra dafür ausgetüftelten Maschinen, die  in der Osterzeit allerdingst 40 000 Eier pro Stunde durchfärben. Es sind so viele Eier, dass die Mitarbeiter sich zuhause abmelden, weil sie nur noch Zeit für die Eier haben. Wann habe ich eigentlich aufgehört, Eier zu essen? Es gab mal einen Zeitstreifen in meinem Leben in der ersten Phase einer Beziehung mit einem New Yorker Mann, da habe ich oft in irgendeinem Draußen Steak Tartare bestellt mit dem üblichen rohen Hackfleisch und den rohen Eiern drin und ein paar Alibi-Gürkchen an der Seite, und dazu ein Glas Bloody Mary, gepfeffert und gesalzen. Versucht man zuweilen zu verstehen, wer man einmal zu einer bestimmten Zeit gewesen sein könnte, trifft man konsequenterweise auf das Ei-Prinzip. Irgendwann träufelte das Vegetarische herein, bei vegetarischen Ei-Essern gab es den Unterschied zwischen befruchtet und unbefruchtet. In der Meditationspraxis dann war Eieressen gleichzusetzen mit krimineller Handlung, von Fleisch und Alkohol ganz zu schweigen, obwohl es auch auf den sogenannten linken Pfaden enorme Auswüchse gab und gibt. Das kommt ja ganz darauf an, wie man das Ei sieht. Und auch, wie man „Ei“ hört. Man kann es als „Ai“, also „Liebe“, hören, als „Eye“, also Auge, als „I, das Ich, als Kommandobestätigung mit „aye aye Sir“ hören und so fort. Die Eiform erhebt absoluten Anspruch als geistiges Kernsymbol, sozusagen die letzte und erste wahrnehmbare Form des Individuums von sich selbst, und natürlich als Urgrund der Menschengeburt. Was das Ei an Ostern macht, wusste ich lange nicht, da es so eng verbündelt schien mit dem Kreuzweg, so wie in Indien die festlichen Dinge immer verbündelt miteinander scheinen, in Wirklichkeit aber erst am entsprechenden Tag ihre separate Klarheit erreichen. Wer weiß schon, wie das alles geht? Soll man Nester basteln, wenn man keine Eier isst, oder hoffen, dass jemand sich erinnert, wie gern man diese zuckersüßen Halbeier aus dem Supermarkt schon immer gegessen hat, wo es einem nichts ausmacht, wenn einem nach dem fünften erwartungsgemäß schlecht wird? Es ist ja nach diesem gruseligen Marsch auf das Kreuz zu, den der Papst in Rom mit tausenden von sogenannten Gläubigen  jährlich nachpilgert, geradezu eine geistige Erholung, mit Eiern bzw Eiergedanken  beschäftigt zu sein. Ein Satz, der mir mal zu Eiern einfiel, war, dass kein Ei ist wie das andere. Das überrascht auch heute noch, muss man bei Eiern doch eine erhöhte Wahrnehmung einsetzen, um die Unterschiede zu erkennen. Denen, die daran in den Ostertagen interessiert sind, hilft dann eben auch die unterschiedliche Farbgebung,

alle Jahre

Mit der gleichen kollektiven Sicherheit, mit der man früher oder später mitkriegt, dass ein Feiertag naht, weiß man nun, dass er da ist und kann mit ihm umgehen, wie man möchte. Kann man? Jesus-Filme waren nie meine Lieblingsfilme, aber klar, so ein wahrhaft Verinnerlichter, so ein Held des Handelns, ein heilender Heiland, ein übers Wasser Gehender, und dann trotz alledem am Kreuz elendiglich Verendender, das hat was. Da hat zweifellos das Leiden sich für die Ewigkeit manifestiert. Man weiß, dass man auch als Jesus verlassen werden kann. Und man weiß auch, dass das Rad sich immer wieder weiter dreht und doch in einer kreisläufigen Bewegung gefangen scheint. Denn hätten wir wirklich verstanden, dass man nicht am Wegrand steht und grinst, wenn ein blutender, kreuztragender Mensch vor den eigenen Augen vorwärtsgepeitscht wird, dann würden wir die Geschichte nicht immer als Rituale abspulen und sorglos die Verantwortung an den lange schon Toten abgeben, weil er  unsere Schmerzen auf sich nahm und lehrte uns Frieden? Der Schmerzensmann selbst, der zutiefst Gedemütigte. Bis zuletzt waren die Frauen bei ihm. Wer weiß schon, was in den Köpfen vor sich geht. Man ist ja so lange zu glauben bereit. Ich habe auch noch keinen Glauben Berge versetzen sehen, aber das Durchdringen von illusionären Gebilden kann nicht nur Berge zersetzen, sondern, macht man es gründlich, kann es Jahre dauern, bis des Berges Geröll sich im Innern löst und riesige Brocken links und rechts von einem herabfallen, ohne den Kern zu zerstören. Berge machen schweigsam. Menschen machen schweigsam. Wir können froh sein, wenn in dieser Schweigsamkeit Wesen uns wohlgesinnt sind. Wenn lebendige Lichter brennen. Wenn die Liebe aufgehoben ist vom Staub ihrer Knechtschaft, und das Herz in sich ruht ohne Fremdheit.
Das Bild zeigt einen Teil der Madre Dolorosa im digitalen Zeitalter, beziehungsweise auf einer entsorgten übergepinselten Festplatte.

mitbringen

Das Mitbringen ist auch eine Kunst. Was bring‘ ich hin, was bring‘ ich her. Als die Ufer am See des indischen Dorfes noch voll waren von für indische Wahrnehmung geschädigten Gottheiten, die für sie jeden Wert verloren hatten, fand ich so schöne Köpfe und Hände und in Stein gehauene Profile, und Füße in Marmor gemeißelt usw., das hat Mitbringungsfreude erschaffen. Wir aus dem Westen sind ja nicht so empfindlich mit beschädigten Statuen, vielleicht, weil wir die Vollkommenheit nicht wirklich für möglich halten. Auch die indischen Gottheiten sind ja oft nicht vollkommen, man erwartet aber von ihnen die entsprechenden Tugenden nachvollziehbarer Handhabung, wofür es ihrer Vorstellung entsprechend unbeschädigte Körper braucht. Ungern schaue ich in Läden nach etwas, was ein Mitbringsel werden könnte. So ein kleines Täschchen z.B. wie oben im Bild in den Farben Schwarz/Rot/Gold, aber dann muss ja auch was hinein. Es ist einfacher, ausgesprochene Wünsche zu erfüllen, als sich Mitbringsel auszudenken. Auch handgemachte Räucherstäbchen sind nicht jedermanns Geschmack, man verliert ja selber den Geschmack für manche Dinge. Auf beiden Seiten gibt es Rosenöl, Rosenmarmelade, Rosenwasser. Viele Dinge wie Gelbwurz und Chilli sind im Bioladen in weitaus besserer Qualität zu finden, und wer würde schon die deutsche Rose von der indischen unterscheiden können? Vielleicht ist es auch die Übermüdung des überall Findbaren. Was habe ich nicht alles hin-und hergetragen, von den Gewürzen bis zum Stofftier. Was wir an Materielosem aus anderen Kulturen oder einfach aus unseren Leben jeweils mitbringen  ist auch nicht so sichtbar, und man muss selbst schauen, wie man sich mitgebracht hat. Mal war man Brückenbauerin, mal war man erspürte Synthese, mal war man erschreckt von sich selbst, alles war wieder mal anders, als man dachte. Und doch hat man immer was mitgebracht, und das Mitgebrachte auch in Anderen gefunden. So schenkt man und wird auch beschenkt.

 

antreffen

Das erste Bild oben ist das letzte, das ich in Indien gemacht habe, es war ein aus Versehen geklicktes, das mir sofort gefallen hat, so ein Hauch von Rad, das sich weiterdreht. Das zweite Bild zeigt ein paar Schneeglöckchen im Gras. Immerhin, es hat nicht diese eisige Kälte, die die IndienheimkehrerInnen fürchten, wenn das Flugzeug sich auf die deutsche Landebahn senkt. Vieles erstaunt auch an diesem Transit nicht mehr, die Dinge gleichen sich an, mal zum Besseren, und mal anders, weil mit dem sogenannten Besseren auch oft die Preise steigen, geistige und körperliche. Für meine Sicherheit auf dem Reiseweg zahle ich auch schon Preise, die mir unangenehm sind. Schon in der indischen Hotelhalle musste ich beim Rein-und Rausgehen aus der Tür durch ein Metall-Detektor-Tor treten, und bei der deutschen Kontrolle muss ich, ob ich will oder nicht, gehorsam sein. Ein einfacher Angestellter zeigt einem, also mir, wie’s geht, das neue System: man legt seinen Pass, nein, nicht so, sondern so!, auf den Apparat, dann öffnet sich eine Sperre und man muss in eine unheimliche Kamera schauen und sich abblitzen lassen. Das Photo möchte man nie sehen, es gehört ja auch der Polizei. Gut, das war vorgestern. Man landet ein bisschen nach und kann nicht gleich eine ganze Kultur zurücklassen, als hätte es sie nie gegeben. Das, was man bezeugt hat, lebt in einem weiter. Es webt sich ein in den Übergang und lagert auf Bereitschaft in den Archiven. Man schaut, ob und wo man ein paar wärmere Sachen zur Verfügung hat. Gestern habe ich in meinem Minimalisten-Blog-Beitrag  (MBB) die Worte „ausräumen“ und „einräumen“ vergessen. Und obwohl es mir vorkommt, als hätte sich im Zurückgelassenen verblüffend wenig Staub angesammelt, wandere ich jetzt wieder hier durch und wirble ihn auf. Immer wieder mal hat mich auch erstaunt, dass es in indischen Haushalten ausgerechnet neben der digitalen Technik und der Mikrowelle keinen Staubsauger gibt, das ist doch geradezu unheimlich. Eine abgrundtiefe Kapitulation dem Unbekämpfbaren gegenüber? Ein genetisches Angstsyndrom, ohne staubentfernende Dienerschaften das Leben fristen zu müssen mit einer niederen Handlangung? Zum Glück gibt es sie hier, die Staubsauger, um der geheimnisvollen Staubwelt auf die Spur zu kommen, auch wenn die Entstaubung der Dingwelten eine weitere Illusion ist. Das dritte Bild zeigt Amber Pichu, Hausname „Coco“ (in Indien ist es üblich, einen öffentlichen und einen Hausnamen zu haben), eine unserer zwei Katzen, die vor kurzem „kastriert“ wurde. Da denkt man, das ist einfach, dann wird was kompliziert nach der Operation, die Wunde eitert, das Tier darf wochenlang nicht raus, trägt eine Weile einen Kragen, dann ein Leibchen aus Kunststoff, damit sie sich nicht das Pflaster wegleckt. Innen resonniert was, noch offen von den vielen Schmerzen der Tiere, die man erleben musste mit dieser Ohnmacht, nicht hilfreich eingreifen zu können. Der blutende Affe, das abgerissene Hundeohr, die an Hunger verendete Katze auf dem Pflaster. Jetzt gibt es andere Möglichkeiten des Umgangs: die Fürsorge, das Kümmern, das Mitgefühl. Wenn der Mensch die Fürsorge für sich selbst nicht kennt und auch selbst nicht aktivieren kann, wie soll er dem Tier menschlich begegnen können? Da, wo wir wohnen, ist es still. So eine Stille kenne ich nur hier, in Indien ist sie sehr selten geworden. Keine Autos, keine Stimmen, nur Vögel. Dann die ersten Frühstücke, das Herantasten an die räumliche Möglichkeit des Momentes. Die guten, tiefen Gefühle. Das lächelnde Hineinhorchen in Telefonhörer. Das flackernde Feuer. Das Zuhause-Sein.

Ankunft

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Navigieren…einstellen…in die Stille horchen…freuen…entstauben …frieren…wiedererkennen…wärmen…zulassen…aufmachen…weitergehen…

being human

Ich bedauere ja immer noch das Verschwinden der Aufschrift „being human“ vom indischen T-Shirt, also „menschlich sein“, im Gegensatz zu „human being“, „Mensch“. Nun ja, nicht wirklich im Gegensatz, man nimmt einfach an, dass der Mensch „menschlich“ ist, und niemand kann es verneinen. Bejaht kann es erst werden, wenn einige der persönlichen Rätsel im Schicksal, einerseits gegeben, andrerseits gestaltet, zum Ausdruck und zum Bewusstsein kommen. Neulich habe ich einen Satz von Paul Celan gelesen, der immer noch nachklingt in mir: „Dichter ist, wer menschlich spricht.“Da ahnt man, dass das menschliche Sprechen nicht von selbst kommt, sondern im eigenen Dasein wird es mehr und mehr das Instrument, durch das lebendiges Bewusstsein seine Möglichkeiten der Manifestation findet. Sein Ursprung ist immer die gehaltene Stille, der gehaltene Raum, in dem eigene Sprache möglich wird. Auch mit der Skala menschlicher Wahrnehmung ist man allein. Das Photo oben in der Mitte habe ich um 8 Uhr früh willkürlich gemacht. Zufälligerweise waren die Dreckberge nicht sichtbar, die mich erstaunen. Niemand scheint hier zu kehren, die Straße ist jedermanns Abfalleimer. Eine lebendige Straße. Ich finde ein angenehmes Café, der Besitzer ist still und freundlich. Gestern Nachmittag war ich auch hier, sehr entspannte Atmosphäre.  Gegenüber schaut man auf einen Laden mit Produkten von Ramdev, einem erfolgreichen Yoga Guru, der zumindest vorgibt, reine Esswaren und Kosmetikprodukte auf den Markt zu bringen. Daneben ein „Rajasthani Music Emporium“ mit klassischen Musikinstrumenten, daneben ein muslimischer Lederwarenladen. Alles Erstaunliche passt in Indien so gut zusammen, dass man genau hinschauen muss, um es zu sehen: die gigantische Vielfalt der Formen und Farben, das große Drama des menschlichen Aufenthaltes, das Geheimnis seiner pulsierenden Kraft. Nach  Monaten in streng vegetarischem Gebiet, wo Eier und Fleisch und Alkohol verboten sind und wie Waffen über den Schwarzmarkt hereingeschleust werden, sehe ich ein brutzelndes Drehteil mit kleinen Körpern dran und realisiere, dass es Hühnchen sind. Alles ist da, jede Riksha bereit, dich irgendwo Hübsches hinzufahren. Wohlgestimmt vergehen noch einige Stunden vor dem Flug nach Deutschland. Dort soll der Frühling erste Zeichen setzen.

Delhi

Dieses Mal habe ich mich nach sorgfältigen Überlegungen für einen Nacht-Sleeper-Bus nach Delhi entschieden, da Delhi nach (m)einem Beraubtwerden im Zug von allen derzeit wertvollen Dingen eine Art Gespenst geworden ist. Nein, es ist nicht nur das Beraubtwerden, sondern auch die Tatsache, dass jahrelange Freundschaften sich in Delhi gebildet haben, wirklich sehr viele Jahre, in denen meine Freunde und ich uns immer wieder hier getroffen haben und ausgetauscht über die potientiell ähnlichen, aber doch sehr verschiedenen Wege, alle tief verwoben mit und berührt von dem indischen Leben, wo auch immer wir es gefunden haben und mitgelebt. Jetzt haben sich die meisten aus Delhi zurückgezogen, und es ist das erste Mal, dass ich nicht in einer Freundeswohnung die letzten Stunden oder Tage vor dem Rückflug verbringe. Es ist der Smog, der nicht mehr wegzudenken ist und d i e aus der Stadt treibt, die Alternativen haben oder erschaffen können. Wir fahren heute früh im Morgenlicht auf die Stadt zu, und es ist wie dichter, schwarzbrauner Nebel, in dem überall gehaust wird. Ich habe immer gestaunt, wo und wie andere Menschen leben können, aber beim Reinfahren nach Delhi macht das Staunen immer Halt. Ich spüre förmlich, wie meine Augen auf einmal in ein wortloses, tiefes Gefühl tauchen, das meine Grenzen anerkennt, denn ich kann es mir auch durch Hinschauen nicht vorstellen, wie Menschen ihre Tage verbringen, und ihre Nächte. In Delhi kam ich auch mal zufällig durch einen freigewordenen Platz in den Genuss, den Dalai Lama live zu erleben. Das war wirklich sehr schön, denn er versuchte, einem kleinen Publikum in englischer Sprache zu begegnen, man bzw ich konnte nicht so viel verstehen, aber er hatte einfach diese  Schlichtheit um sich, von der man ausgehen darf, dass sie auch den Zirkus durchkreuzt und durchschaut hat, und da ist Einer, der seine Rolle und sein Kostüm wahrhaftig und gut trägt. Es gibt auch ein sehr gutes Buch von William Dalrymple über Delhi, wen es interessiert, es heißt „City of Djinns“ (Wesen) und informiert spannend über viele Seiten Delhis, auch seine leuchtenden Glanzzeiten. Es ist auch die Stadt, wo eine unmenschlich brutale Vergewaltigung einer jungen Frau, die daran gestorben ist, einen solchen Aufruhr hervorgebracht hat, dass man sagen kann, dass sich seither tatsächlich, vor allem durch die Frauen, mehr bewegt als zuvor. Aber trotz Todesstrafe (auf Vergewaltigung eines Kindes) in einigen Gebieten scheint sich eher ein wahres Höllentor aufgemacht zu haben, sodass man es tatsächlich nicht verstehen kann und auch nicht will, was da wirklich am Werke ist. Diese Energie ist zum Fürchten. Man möchte eine Karosse mieten und (wie von Ramakrishna berichtet wird) staunend aus dem Fenster schauen und heiter bemerken, die „Maya“ (die manifeste, als Täuschung gesehene Scheinwelt) sei doch eigentlich ganz schön, isn’t it. Ich habe mir ein Zimmer gemietet in Pahar Ganj, eine Gegend, die ich wegen meines Freundeskreises nie besuchen musste, und es ist ziemlich genau, wie ich es mir vorgestellt habe. Runtergekommen, dreckig, vom Umgang mit seltsamen Foreigners respektlos und zu locker geworden, allerdings auch lebendig und durchaus noch menschliche Signale sendend und empfangend, heißt, man fühlt sich permanent bequasselt, kann dem Ganzen aber auch Einhalt gebieten. Und wenn man heroische Überlebenskünstler finden möchte, hier sind sie. Immer und überall wach, und auf der Hut. So kann dennoch, wie im verabschiedeten Städtle, auch hier ein kleiner Einkauf zur menschlichen Begegnung führen. Eine Frau, alles, was ich möchte aus einem sehr schmalen Ladenschlauch hervorholend, will wissen, wo ich herkomme und ob ich rauche. Ich frage sie, ob sie denn raucht, wir lachen beide. Sie fragt mich, ob ich lieber eine halbe Butter möchte, und schneidet sie durch, als ich bejahe. Meine Klamotten sehen auch seltsam aus wie immer, wenn ich meine Füße rausbewege aus der Wüste und denke: nee echt, das hatte ich an, und stimmig war es auch noch!

vida (Abschied)

 

Wenn man Menschen liebt und Räume, oder Wasser,
oder Oasen undsoweiter, muss man damit rechnen,
dass sich im Abschied, sei er auch noch so bereitwillig,
eine Trauer bemerkbar macht, die hier eher süß und
schwer ist und das Handeln etwas verlangsamt und
einen herumschweifenden Blick mit sich bringt. Schon
ist die nötige Distanz zu groß, als dass der Blick sich
noch etwas aneignen könnte. Gerade diese Bereitschaft
des Gehens gibt dem gut Gelungenen eine tiefere Sphäre.
Auch bin ich gut aufgehoben im Orient wie im Okzident.
Ich habe Menschen getroffen und die wenigen Nahen
und Vertrauten gesehen, mit denen man austauscht,
was sorgloser macht. Es ist auch die Geduld und die
verbrachte Zeit miteinander, die das Reifen ermöglicht.
Ich verabschiede mich von dem Ort mit Dank an alles
Erfahrene und Geschenkte,  Ah! der See! Und seine
Umrundung! Mein Sitzplatz an ihm und das Ungestörte,
das damit verbunden ist. Die Treppen, die Steine! Die
Architektur! Die Offenheit und Freundlichkeit der
Menschen, die über Jahre entstanden ist und auf
einfachste Weise genährt wurde. Das alles entrückt
nun beim Abschied, aber vergeht nicht. Nur ich reise ab.

 

à propos

À propos „Shakti“ (weibliche Kraft): wir wandern hier gerade durch die 9 „Novaratri-Tage“, wo jeden Tag eine andere Göttin geehrt wird. Das macht so sonnenklar, wie getrennt das Performte vom lebendigen Ablauf meist ist. In den Tempeln, wo Göttinnen angebetet werden und ihre Kräfte lauthals gepriesen, spürt man dann zuweilen die tiefe Hingabe der Priester und Gläubigen an das (unheimliche) Weibliche, denn hier im Schutz des Tempels ist die Hingabe zulässig. Manchmal wird dort Whisky offeriert und getrunken und darum gebeten, sich mit Hilfe der Göttin zu bessern. Man geht davon aus, dass ihre sündenvergebende Liebe grenzenlos ist, ihre Fürsorge immer gewährleistet. Man (wer?) denkt auch, sie trinkt gern Blut und schlachtet schon mal ein Tier im Tempelhof. Dann gibt es die weiblichen Göttinnenexemplare, die beispielhaft rein sind, und dann sind sie wieder alle eins mit ganz vielen Facetten eben. Mich gähnt das auch zuweilen an, dass da ein  Thema drinsteckt, das uralte Konstrukte instand hält, und immer neue hinzufügt. Welches Thema? Me not, aber auch too, and then you too und dann wir alle, und allen ist gerechterweise die unlösbare Konfusion lieber als das Setteln des Urkonstruktes in der Sanduhr der Zeitlosigkeiten. Ja ist es wirklich so schlimm? Und wie konnte das geschehen? Auch Diotima wurde in das Gastmahl hineinphantasiert, denn Männer können  durchaus erkennen, wenn eine Frau, geistig von ihnen durchkonstruiert, sich selbst ist. Doch das Sein braucht Raum, um sich zu erfahren. Wer die Welt formen kann und sich darin bewegen, als wäre es das Natürlichste der Welt, hier GärtnerIn und HüterIn zu sein, geistig, seelisch, körperlich, der entert auch die Gefahr, sie erklären zu wollen. Andere wiederum halten das Welterklärte für wahrheitsgetreu. Gibt es eine wahrheitsgetreue Welterklärung? Ich persönlich finde es auch angenehm, etwas zu erklären bzw verbal zu klären, aber ich möchte auch, dass das im Hinblick auf  noch tiefer Erkanntes einen heiteren Unterhaltungswert hat, und dass ich meine eigene Sprache sprechen kann und mich daran erfreuen, wenn andere auch ihre eigene Sprache suchen und finden und sprechen und den Unterschied kennen zwischen dem einen und dem anderen. Auch Märchenstunden sind kostbar. Da weiß jeder, dass es ein Märchen ist und erwartet entsprechende Wunder, und die Helden und Heldinnen müssen Prüfungen bestehen, und man fiebert mit ihnen, ob sie es wohl schaffen, obwohl man davon ausgehen kann, dass es gelingt . Es kann ja nur gelingen, wenn man zu allen von sich selbst gewünschten Prüfungen zugelassen wird und die Abenteuer bestehen kann ohne männliche Erklärungssucht. Und die Frauen, tja, was soll man machen, wenn sie das dreifache talaq gerecht finden und es wollen, soll man sich trotz all dieser Irrfahrten von der eigenen Bahn nicht abhalten lassen.

vermissen

Was ich am meisten vermissen werde von Indien, wenn ich (wieder einmal) Abschied nehmen muss, fragt mich Sakshi. Zuerst rauscht die Überflutung an, dann ist sie wieder weg. In der entstehenden Ruhe wird klar, dass es ein Gefühl ist. Ein Gefühl, das sich mühelos in die Zeitlosigkeit der indischen Geschichte ausdehnt, die ja nicht wirklich Geschichte ist, sondern ein Seinszustand, der in unerschöpflichem Reichtum bevölkert wird von Menschen und Göttern, ohne dass klare Trennungslinien sichtbar sind. Man kann auch heutzutage öfters mal die beeindruckend narzisstische Politiker-Gemeinde vorüberziehen sehen in langen Kolonnen, und Unmengen von Blumenketten werden um ihre Hälse gehängt mit andächtigen Verbeugungen, vor allem, wenn es die eigene Blumenkette schafft, am politischen Hals zu landen. Die meisten Hindus brauchen den Halbgott. Für einen Hindu, wie auch immer man ihn letztendlich definieren würde, aus diesem vermischten Menschen-und Götterkreis einen Ausstieg zu finden, ist auch für mich jetzt ziemlich undenkbar geworden. Da sehe ich doch gestern die junge Frau, von der ich einen Tag zuvor in einem guten Gespräch ein ganz klares Statement gehört hatte, wie sinnlos sie das ganze religiöse Getue findet, sehe sie also einen Tag danach im feinen Outfit sich vom auf Menschenschultern vorbeigetragenen Oberpriester mit einem seltsamen Stab den Segen auf den Kopf geben. Klar, warum nicht. Kann ja nicht schaden. Warum finde ich, dass es doch schadet? Hat es mit meinem Widerstand gegen das „mat socho“ (nicht denken) zu tun, das als spirituelle Glanzleistung hier durchgängig gepriesen wurde, erwartet und gefordert vor allem von den Gläubigen, den Devotees. Ja, da ist die Akzeptanz des Unvermeidlichen, super gut zu praktizieren in Indien. Indien, der Weltnabel. Das Unvermeidliche an sich. Hier schaut man her nach Lösung, was im Westen als unlösbar befunden wurde. So auch Sigmund Freud am Ende seines Lebens, auf seine asiatische Statuensammlung schauend und rätselnd.  Oft wird vom Westen her der Buddhismus bevorzugt, weil er den Gott und das Selbst beiseite geschafft hat. Dabei gibt es, wenn man dem näher kommt, was in Indien ausgebrütet wurde, enorme Komplexitäten, die alle das „Eine“ als Background benutzen: da, wo man herkommt, überschattet von illusionären Ich-Einstellungen, und das, was man sein kann, wenn man das Glück (das gute Karma) hat, unbeschadet durch das Dickicht der Abstraktionen zu gelangen, bis man wieder mit sich selber zusammenkommt und lächelt, vielleicht sogar laut lacht. Dann ist man natürlich auf ewig dankbar, denn wer wäre man ohne Indien gewesen, obwohl es auch ohne Deutschland nicht gut gegangen wäre. Ja, dieses Gefühl unendlicher Weite und unermesslichem geistigem Reichtum, davon gibt es schon einen, wenn auch vorübergehenden, Abschied, denn ohne das lebendige Hiersein wird es ein innerer Ort, wo die Erfahrungen sich sammeln. Ohne das pulsierende Draußen. Und dann die paar Frauen, wie Sakshi zum Beispiel, die mir zeigen, dass es doch weitergeht und nicht stagniert, und dass bei aller Gewalt, die sichtbar wird, sich genau das tut, was ich mir einmal in einer alten Sanskritschrift habe übersetzen lassen über diese Zeit (wir leben hier zyklisch und im Eisernen Zeitalter), nämlich dass die Shakti, die weibliche Kraft, erwachen wird, da es die einzige universelle Kraft ist, die das Festgefahrene wieder in Bewegung bringen kann.

Frage-Zeichen

Gestern habe ich bei Google nach einem Wort gesucht, das ich häufig in der Zeitung geschrieben sehe und nie wusste, was es bedeutet (es kommt nur im Beweisaufnahmeverfahren nach amerikanischem Recht vor, lerne ich), und es ging wahrscheinlich immer um die russische Zirkusaffäre mit D.T. Aber dann sehe ich ein anderes Wort in der Nähe auftauchen, das ich interessanter finde, weil es in Indien, oder besser im Hinduismus, ein Wort für die Übertragung psychischer Energie von einer Person auf die andere ist. Gleich bin ich wieder im altvertrauten Labyrinth indischer Systeme und lese mich ein bisschen durch die vielen angegebenen Ebenen hindurch, auf denen man diese Übertragung erfahren kann. Nun hätte ich persönlich gerne auch hier ein Beweisaufnahmeverfahren, aber woher soll das kommen. Ich scrolle  also um das Wort herum und treffe auf einen chilenischen Eremiten, der offensichtlich lange in Indien studiert hat, denn er zitiert einiges in Sanskrit und beginnt seine Session mit dem beliebten OMen. Im Hintergrund sieht man die eingerahmten Gurus, die ihm offensichtlich dazu verholfen haben, dass er nun auch psychische Energie auf Andere übertragen kann. Bevor ich mir die Videoaufnahme davon anschaue, lese ich noch, dass der Meister eigentlich im Wald haust, keine SchülerInnen annimmt und nicht lectured. Aber hier haben wir eine Ausnahme, denn es ist eine mit Video aufgenommene Session, wo er einige Frauen, die zu ihm nach vorne kommen, durch eine schnelle Geste in ihre Richtung, oder durch Überreichen einer Blume, zu einem erstaunlichen Herumhopsen verhilft. Ja, sie werfen sich, oder werden geworfen durch die offensichtlich unbändige eremitische Energie, fallen also nach hinten, was in dem Wort, schaue ich später nach, enthalten ist, nämlich „fallen“, und so fallen sie eine(r) nach der anderen nach hinten und manche zucken sehr extrem, bevor sie sich hinwerfen, dann gehen sie ruhig zurück zu ihrem Platz oder zucken dort etwas weiter, während schon die Nächste zuckt und fällt. Ich, die ich mich vor allem dieses Jahr an meiner steten Nüchternheit erfreut habe und dennoch offen bin für die Wunder des Daseienden, kann mir beim allerbesten Willen nicht vorstellen, dass dieser Gurumensch es auf legalem Wege ermöglicht, dass vor ihm eine Frau nach der anderen nach hinten fällt und in spastischen Verrenkungen versinkt, und diese extrem peinliche Vorstellung als Gnade gesehen wird, die nur von der Segensbereitschaft des Meisters abhängt. Wir haben doch alles diese Filme gern gesehen, wie Jesus über’s Wasser läuft und die Toten erweckt, wer will da schon rumzweifeln an den Wunderwirkungen Anderer! Sonst wären die doch auch nur wie wir! Ich schaue mir also die Frauen an und denke: Mensch, die könnten aus dem Freundeskreis kommen, locker angezogen und „auf dem Weg“. Wie können die Wege so auseinanderdriften. Es geht ja noch nicht mal mehr um Religion oder egal, was einer glaubt, sondern die anstrengende Frage, wie das möglich ist, dass man mit uns Menschen so viel anstellen kann, ohne dass der Wunsch, es so zu sehen, wie es „wirklich“ ist, sich durchsetzt und zu einer der letzten Erschütterungen führt im Hinblick auf das, was man selbst für möglich gehalten hat. Das bestätigt immer wieder die unverrückbare Position des Gottes mit dem langen, beruhigenden Bart und der gütigen Allwissenheit, die als kleine Zugabe den absoluten Gehorsam fordert. Man kann noch sagen, dass ja, Hopsen ist weniger harmvoll als Töten, aber es weist auf dasselbe hin an der Quelle. (Das Bereitstellen einer Verführbarkeit?)(aufgrund früher, missbräuchlicher Erfahrungen?)
*Ich habe den Namen des Eremiten absichtlich nicht genannt, weil es mir nicht um ihn ging. Aber Namen und Video kann ich auf Wunsch gerne weitergeben.

 

verhältnismäßig


Man sieht solche Lichtformen ja immer mal wieder, in einem Glas Wasser, oder hier, im Bild, ist es Milch kurz vor dem Kochen. Ich stand da unter eigenem Zwang, wissend, wie schnell die Milch überlaufen kann, wenn ich weggehe und sie aus den Augen lasse, um schnell noch was anderes zu tun, und schon ist es passiert. Deswegen hatte ich Glück, zufällig nochmal vorbeizukommen und zu sehen, dass ich Milch auf der Flamme hatte. Da habe ich beim Hinschauen diese Lichtreflektion gesehen, und ja, was reflektiert es denn und erzeugt diese urerotische, tantrische Figur, oder ein Herz fällt einem ein, das sich in prächtiger Fülle über den Rand hinaus ausdehnt in die dann doch begrenzte Rundung. Ein Bild davon zu machen, bevor die zitternde Fläche hochkocht, war auch nicht so leicht, denn oft kriecht dann der eigene Schatten über das, was man aufnehmen will. Es geht auch darum, was man erlebt, wenn man ganz in Verbindung mit dem ist, was geschieht. Vor ein paar Tagen ist mir ein Artikel  zugesandt worden, in dem ein (Avangarde)-Pholosoph die Vorteile der rasanten Schnelligkeit durch die digitale Entwicklung preist. Ja, finde ich jetzt nicht unverständlich. Wie leicht ziehen einem selber auf der Autobahn die Kilometerzahlen hoch, das ist so ein schwer einschätzbarer Rausch, alles schnell, und dann noch präzise. Damit kann man, wenn man möchte, bestimmte Erfolge erzielen, die Andere wiederum nicht so ansprechen. Es gibt auch Menschen, die es mögen, hin-und herzueilen, um für sich selbst und die Nebenfiguren in ihrem Spiel extrem beschäftigt rüberzukommen, dann Andere wiederum sind immer ein bisschen zu spät für das, was erreicht werden muss, dann erscheinen die begleitenden Mentalstürme, vermutlich auch eine Art Droge: wo sind denn wieder die Schlüssel, der Einkaufszettel, der Geldbeutel. Wobei es sich da eher um Hastigkeit und eine eingefahrene Angewohnheit handelt als um Schnelligkeit, die ja ganz förderlich sein kann. Aber jetzt nur für schnell oder langsam zu plädieren, ist ja auch nicht das Thema. Für mich ist eher das Thema, dass man, wenn man sich mit dem eigenen, natürlichen Rhythmus bewegt und konzentriert beim jeweiligen Tun ist, man sich gut unterhalten kann und manchmal Dinge wahrnimmt, die einem leicht bei schnellerem Tempo entgehen. Der Reiz des Schnellen ist das Darüber-hinaus-gehen, der Reiz des Langsamen ist (u.a.) die Konzentration des Schauens, die einem scheinbar simple Türen eröffnet, die sich aber dann doch entpuppen als komplexe, kosmische Geheimnisse, die einen Wunsch nach Kontemplation mit sich bringen, dem man unbedingt nachgeben kann, wenn man sein Leben im Rahmen dieser luxuriösen Möglichkeit eingerichtet hat. Man muss ja Erfahrungen sammeln, wie das ganze Ding funktioniert und zusammenhängt, und dafür braucht man die gute Beobachtungsgabe. Tatsächlich alles in allem vorhanden? Egal, ob man staubsaugt oder auf offizieller Ebene hantiert? Es kommt doch vor allem darauf an, was einem als Seinsform und Unterhaltungsprogramm innerhalb  der paar Wanderjahre auf dem Planeten wirklich von Herzen zusagt, und ein interessantes Testen der Erreichbarkeiten von dem, was einem vorschwebt. Das macht mir nichts aus, wenn ich wieder, wie durch Zufall, bei der Liebe lande, wie auch immer sie für jede/n geartet sein mag. Denn mit ihr wird alles lebendig, und ohne sie nur verhältnismäßig.

 

 

Hanane Aad

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Wunsch

Der Staub riecht nach ewiger Ruhe.
Das Lied duftet nach Freiheit.
Hoffentlich rieche ich meine Freiheit
vor dem Tod.
Hoffentlich kann ich mein Lied singen,
bevor der Staub mich verschlingt.

Moskito

Na, so ein eindrucksvolles Bild (Times) von dem Störenfried aller! Ein Volksfeind sozusagen, von dem der Dalai Lama mal sagte, auch ihm würde (in meinen Worten) manchmal die Hand zucken. Jeder ist allein, wenn es anfängt, um den Kopf herum zu summen, wenn man weiß, es ist da, das Moskito-Ungeheuer, und man weiß, jetzt hat man Glück, wenn man nochmal einschlafen kann. Die wärmeren Nächte bringen ja auch die Freude, mal keine dickeren Decken auf sich wälzen zu müssen, sondern nein, am liebsten gar keine, denn nun sind nicht nur die Tage heiß, sondern die Nächte warm. Dann auf einmal, vielleicht auch beim chai mit Lali, das Kratzen an den Fußgelenken. Sie navigiert mich aus der Ecke, da die Dinger das Dunkel lieben. Und das Licht natürlich, das sie hereinlockt. Inzwischen gibt es ein gewisses Interesse meinerseits an den Ideen der Regierung, wie man denn nun endlich voranschreiten könnte, die tödlichen Krankheiten einzukreisen, die durch das Tierlein verursacht werden. Ganz in der Nähe von einem sterben Menschen an Dengue, Malaria, Chikunguniya. Was heißt hier Nähe, sagt der konsultierte Arzt, das kennt doch keine Stadtgrenzen, das ist überall. Da ich eine Fensterverschleierin bin, kommt bei mir nie mehr als eines dieser potentiellen Todesträger durch, aber das reicht für den berühmten Moskito-Zustand. Wer will schon mitten in der Nacht aufstehen müssen mit einem Schuh in der Hand, das Auge hochkonzentriert in alle Richtungen ausgeweitet, bis die Phase der Halluzination eintritt. Hat man zufällig, wie ich neulich, eine Eidechse im Zimmer, vergisst man sofort, dass die ebenfalls Gift  im Kopf haben soll, und hofft, dass sie es ist, die das Moskitotier verschluckt. Schafft man es nicht bis zum Morgen, das Tier zu zerquetschen, kann man im Morgengrauen an den Vorhängen herumhängen und darauf lauern, das es hinaus will, wahrscheinlich getränkt und schwer von meinem Blut, denn irgendwann schläft man ja doch wieder ein mit dieser fatalistischen Neigung, für die vor allem Hindus, oft fälscherlicherweise, berüchtigt sind. Allerdings habe ich noch nie einen indischen Haushalt betreten, wo auch nur die geringste Anstrengung gemacht wurde, die Belagerung zumindest einzugrenzen. Man kann ja auch allen Mitgliedern einer Großfamilie schwerlich einbläuen, sich durch drei Musselinschichten zu bewegen, das fällt auch niemandem ein. Wenn Europäer, meist durch Heirat, in so einen Haushalt eingeschleust wurden, kann man in den Steckdosen des Hauses kleine Glasgebilde sehen, die eine Substanz in sich haben, die, erhitzt, Moskitos zum Verschwinden anregen sollen.  Ob man sie immer einatmen will, diese zähe, gelbliche Flüssigkeit? So zählt auch dieses Tier zu den Erscheinungen, die es einem erleichtern, ein Land, das man liebt, zu verlassen. Außerdem haben wir ja auch so ein Schreckgespenst in unserem Sommer, die Zecke. Auch Moskitos aus Asien sollen den Sprung nach Deutschland geschafft haben. Diese Tiere bringen einen in die Erfahrung, dass der Killerinstinkt in einem sich löst. Das ist nicht schön, wenn man sein eigenes Blut durch Mord an der Wand als Fleck sieht. Man ist dann noch nicht wirklich beim absoluten Ahimsa* angekommen.

*Gewaltlosigkeit

Das rechte Bild oben zeigt einen Mini-Flummi in einem Sonnen-Fleck auf dem Marmorboden meines Wohnraumes, eine Abstraktion von gesammeltem Menschenblut durch die Stechmücke.

überraschend

Heute sind mir überraschend zwei Wesen begegnet, denen ich immer Aufmerksamkeit schenke, weil sie mich berühren. Auf dem linken Photo sieht man den professionellen Shiva für eine Familie posieren, und ich muss sagen, er macht das wirklich gut. Er hat jede erkenntliche Geste des Gottes, wie man ihn überall auf Plakaten, auf Waren, auf Gemälden und von Filmen her kennt, einverleibt und stellt sich ernsthaft und nicht von der Rolle abweichend zur Verfügung. Da ich ihn diesmal mitten im Markt treffe, kann ich auch etwas näherkommen und das aufwendige Make-up betrachten, sehr sorgfältig und einfallsreich gestaltet, alle Achtung. Da es sein Beruf ist, will er auch bezahlt werden, klar, steigt aber auch dafür nicht aus dem Rahmen und überlässt einen dem Staunen. Es gibt in jedem Metier, auch unter Gauklern, solche, die wirklich beeindrucken. Es ist immer eine Mischung aus Ernsthaftigkeit der Ausübung gegenüber, und der Tragik des schicksalsgebundenen Vorgangs an sich. Wer steckt dahinter? Und wie viele, die vielleicht irgendwo ernährt werden müssen… Dann war ich wieder einmal hocherfreut, auf meiner Runde am Morgen nach Wochen des Ausschauens nach ihr die braune Affenmutter mit dem Kleinen zu sehen (oben, rechtes Bild, wo ich sie nur einmal kurz zusammen erwischen konnte). Immer noch waren sie Teil des silberhaarigen Stamnmes. Das Kleine scheint es geschafft zu haben, auch mit den kleinen Lemurenkindern spielerisch umzugehen, aber immer nur kurz, dann sind sie wieder einerseits isoliert, andrerseits Teil des Stammes. Faszinierend, wie klar das vor sich gegangen ist.  Als sie mit dem Stammesoberhaupt noch allein liiert war, war sie eine dominierende Kraft und wurde respektiert. Seit sie Mutter ist, wirkt sie eher geduldet, der Vater ist selten zu sehen. Sie kann auch den Stamm nicht wechseln, weil ihre eigene Rasse sie nicht mehr akzeptiert, ja, sie bekämpfen sie, wenn sie sie treffen. Man könnte sagen, das ist so menschlich, aber vielleicht sind ähnliche Vorkommnisse unter Menschen eher tierisch. Dann bin ich, nach Jahren mal wieder, einen bestimmten Ausgang zum Bazaar hoch gegangen und habe mir nochmal die beiden Krokodile angeschaut, die da reichlich verstaubt rumliegen, seit ich im Dorf angekommen bin. Es gab diese Zeit, noch vor meiner Zeit, da sind die Priester nur mit langen Stöcken ins Wasser, um die vielen Krokodile (und Leguane)  zu vertreiben, dann erst durften die Pilger einen Schritt ins Wasser machen. Man sagt auch, dass das Wasser damals so sauber und klar war, weil sie mit ihren Schwänzen den Sandboden bewegt haben. Es gab zu dieser Zeit auch noch leere Grünflächen am Ufer, wo sie lagern konnten. Dann wurde ein englischer Offizier gebissen, und weg waren sie. Photographieren am See war strengstens verboten und verpönt wegen der Geste des Wegnehmens. Daher gibt es kaum Bilder.

 

heiß

 

Tagsüber geht es jetzt auf die 40 Grad zu oder ist schon dabei. Sie ist sehr früh gekommen dieses Jahr, die Gluthitze, die für die Inder noch eine Art Frühling darstellt, da die Morgende angenehm sind bis 9 Uhr, wo man, will man noch länger draußen bleiben, sich ein schattiges Plätzchen suchen muss wie zB links oben im Bild, und man dann gar nicht mehr weggehen will. Tagsüber verlangsamt sich das Denken, und man hätte gern vorübergehend so etwas wie ein mittelschweres Sudoku vor sich. Überall lagern schlafende Hunde und an Bullen bemerkt man ein erhöhtes Agressionspotential. Wenn wir Foreigners uns dann schon in einer kühleren Welt bewegen, klettert das Thermometer hier bis Mai locker auf 50 Grad und mehr. Auch der Regen fehlt. In den letzten Jahren hat es keinen guten Monsoon gegeben.Durch die klimatischen Bedingunegen wird man gezwungen, herunterzuschalten, und da man niemanden für die Verhältnisse verantwortlich machen kann (und Gott eh alles regelt), lässt man sich ein und vertieft das Durchsegeln. Das mögliche Resultat dieser klimatischen Aufgezwungenheit hätte ich auch gerne ohne Zwang. Heißt, zumindest bereit zu sein für die Akzeptanz des Unvermeidlichen. Das Unvermeidliche muss ja erst als solches erkannt werden, damit man sich von der Sucht, immer Veränderung zu wollen oder der Illusion, sie erzeugen zu können, befreien kann. Bei über 50 Grad plus muss man viel trinken und viel (im Schatten) sitzen. Wer weiß schon, wie und wodurch Yoga entstanden ist, bevor es ein System wurde. Im Vorübergehen sehe ich heute früh, dass Angela Merkel es nicht nur auf die Titelseite der Times gebracht hat, sondern auch auf die der Hindu papers. Vierter Durchgang wird respektvoll bestätigt, Das Herum-Groko-ieren, das ich zwar nur auf der „Global“-Seite der Times mitbekommen habe, war ja schon ziemlich peinlich und den politischen Nerv tötend, aber das sage ich wirklich gerne, wenn auch nur zu mir: Frau Merkel ist gut. Man ist ja nicht dabei bei den unvorstellbar Diskussions-Marathonen, wenn das „Rien ne va plus“ wieder aufgelockert werden muss und neu gemischt, da kann man sich die Ausübung hoher Diplomatie und den simplen und herzlichen Humor von Frau Merkel sehr gut vorstellen, und ohne sie hätte sich sicherlich nicht so viel bewegt, obwohl viele ja gerade sie loshaben wollten. Aber sie hat sich durchgesetzt mit Qualität, davon kann man ausgehen. Und dass man d a v o n ausgehen kann, ist für das Land und die Weltpolitik ein großer Gewinn. Auf einmal sieht das Ganze ganz ordentlich aus. Richtige Leute am richtigen Platz. Man weiß ja aus eigener Erfahrung, wie gut es tut, die mentalen und scheinbaren Unverrückbarkeiten dann doch etwas zu verrücken, damit mehr Luft und mehr Bewegung möglich wird. Jemand hat mal gesagt, dass, wenn Frauen die Welt regieren würden, es vermutlich weniger Kriege geben würde, aber viel mehr Diskussionen. Das ist gut möglich. Die ungeheure Energie, die Frauen generell aktivieren (müssen), um den Mann auf d i e Gesprächsebene zu lotsen, wo es für sie (die Frauen), auch etwas anregender wird, weist auf die derzeit fehlenden Künste der Vermittlung und Verbindung hin, in denen Frauen freiwillig oder not-wendiger-weise Meisterinnen geworden sind. Zum nächsten Schritt, falls gewünscht, braucht es dann allerdings noch die konsequente Rückkehr zum eigenen Sein. Und einen förderlichen Umgang  mit den Auswirkungen des männlichen (und weiblichen) Kontrollverlustes, wenn das Ergebnis dieser Bewegung spürbar wird. Daher freut mich aufs Neue die hohe Diplomatiefähigkeit der Kanzlerin und ihre persönliche uneitle Wirkung.

Times

  

Um das erste Bild gleich freiwillig zu enträtseln: es ist eine Steinplatte, an der ein Einkaufsbeutel hängen geblieben ist und noch etwas dazu. Da kann dann ein neuer interessanter Eindruck entstehen, der einem zeigt, was man so alles sehen kann. Die Welt und ihre Bilder, die man selbst sieht, sind ja frei, und für mich ist das vor allem in Indien so, dass, wenn der Tag schon so anfängt, ich aufpassen muss, was ich sonst noch alles sehe, denn überall tummeln sich Geister und Götter in grenzenlosen Formationen. Ist ein Gott mal etwas angeschlagen, kümmert sich eh keiner mehr darum, und wenn einem in dem göttlichen Trümmerfeld etwas zusagt, kann man es auch mitnehmen. Es gibt auch Junkies, bei denen sich herumgesprochen hat, dass wir Foreigners nicht so etepetete sind, und so haben sie eifrig gesammelt und irgendwo im Chaishop an Gutgläubige verkaufen können, um den nächsten hit zu finanzieren. Auch deswegen wird es am Rand des Wassers immer leerer. Am stabilsten sind die Lingams (Phallus/Phallen?) von Shiva, immer aus prächtigem Stein gemeißelt, die man auch manchmal auf dem ausgebreiteten Tuch von Straßenhändlern entdecken kann. Das zweite Bild zeigt eine der letzten Ecken von beeindruckendem Götter-Statuen-Chaos (GSC), viele aus Marmor und sehr schwer, obwohl man aus dem Ganzen doch noch einen passablen Ausschnitt holen kann (drittes Bild). Gut, da wollte ich eigentlich gar nicht landen und es kommt davon, wenn man dem Tag trotz aller Vorgegebenheiten seinen spontanen Lauf lässt. Eigentlich wollte ich mal wieder mit etwas konzentrierterem Blick in die Times schauen nach einigen Wochen minderstarkem Interesse, die indische Politik zu durchforsten ohne die Erläuterungen eines Abkürzelungswörterbuches, und die Times an sich ein Paradies für LegasthenikerInnen und korrekturfreudigen SprachliebhaberInnen, all das nur eine Phantasiewolke…blätter blätter…Man schaut ein bisschen angeödet weg und prallt prompt auf die sich häufenden Morde, die schon auf mehrere Seiten verteilt werden müssen, oder werden mal unten an der Seite hingehängt, ach sieh mal, da hat die Frau mal den Mann umgebracht mit einem Küchenmesser, und die beauftragten Schreiberlinge müssen sich den Kopf zermartern nach Worten, um die gruselige Tat zu beschreiben. Ich frage rum, ob es auch Anderen auffällt, wie viel hier zur Zeit gemordet und gruppenvergewaltigt wird mit der dazugehörigen Frage, ob das wohl vorher gedeckelt worden war oder es Neuerscheinungen in einer entfesselten Kultur sind. Bei mir melden sich gleich zwei Dinge, einmal Kain und Abel, immer ein gutes Beispiel dafür, wie früh das alles dazu gehörte. In den indischen Epen sieht es auch nicht viel anders aus. Immer war Mord. Auch das Gute und Edle war immer, aber eben auch Mord und Vergewaltigung. Der zweite Einfall war die mir einmal vermittelte Aussage eines Mentors, dass Liebe der Verzicht auf Mord sei. Liebe ist der Verzicht auf Mord. So. Auf den harmloseren Seiten drückt sich Radhika Vaz, eine humorvolle Schreiberin, eine Woche nach dem Frauentag mit ihrer Ansicht darüber aus. Sie meint, dass ein Tag doch nun wahrlich zu mickrig wäre für Wesen, die aus eigener Kraft Menschen hervorbringen können. Dann dankt sie den Männerspendern für das vorhandene Sperma, das nun von der Frauenärztin eingesenkt werden kann mit einer geschlechtsneutralen Test-Röhre, und dass dadurch der relevanteste Männerjob am Entschwinden sei. Und für diese großformatige Magie, meint sie, soll es nur einen Tag geben!!!???
Oh, ich sehe gerade, Stephen Hawking ist tot. Ich dachte, er sei unsterblich. Das wurde vermutlich auch von Sokrates gedacht, und er hat es tatsächlich geschafft. Doch es gibt keine Garantie.

all das

Wenn man die Natur des Illusionären, also die Welterscheinungen, als ein Konstrukt begreift, beginnt es sich wie von selbst als eine definierte Realität  aufzulösen. Jetzt kann ich sehr gut verstehen, warum es beängstigend ist, wenn all das, was man für verständlich hielt, sich auf einmal diesem Verstehen entzieht. Als Erfahrung ist es tatsächlich so, als würde man durch den Tunnel des Nicht-Existenten geschleust werden und keinerlei Gewissheit darüber haben, ob und wie und als wer oder was man eventuell wieder erscheint. In der Tat ist es wie eine große schwangere Leere, und wie bei allen Schwangerschaften kommt es darauf an, in welcher Verfassung dieses ungeheure Geschehen erlebt wird. Wenn es auch hier nicht um das Kind geht, das geboren wird, so geht es doch darum, den Moment des eigenen Schicksals als ein Potential zu erfahren, das von Leere als einer potentiellen Fülle geprägt ist. Das Wohlgefühl, das hier entsteht, hat keine Ursache und wird nicht ausgelöst durch die sogenannten „guten“ Erfahrungen, sondern es ist das Wohlwollen an sich als eine Eigenschaft der Leere. Da wir Menschen oft durch Bestürzung in ein Gefühl der Leere katapultiert werden, birgt das die Gefahr, die Leere als einen Abgrund wahrzunehmen, in dem man auch vergehen kann. Das Undeutbare wird erfahren als das Sinnlose und Sinnleere. Genau das ist sein Potential: die Sinnleere. Wie befreiend und erfrischend ist es doch, etwas nicht deuten und verstehen zu können und sich so weit darin einzulassen, bis es oh Wunder, zur Freude gedeiht, denn es ist ja nicht verschwunden, das schöne Spiel und seine wahrlich unbegrenzten Darbietungen. Die Weisheit der Leere scheint keine Neigungen zu haben, Sein als eine Problematik zu definieren. Im buddhistischen (Zen) ist mir irgendwo dieser Gedanke auch schon mal begegnet und kann eine Menge Empörung auslösen, nämlich dass es in Wirklichkeit kein Problem gibt. Es wird ja nicht bezweifelt, dass, wo immer man hinschaut, alles voller Probleme zu sein scheint, und ist immer nur ein Hinweis auf die Neigung von uns Menschen, Dasein als das Problematische an sich zu definieren, und als das Eine, dem immer was mangelt, immer was fehlt. Und so ungenügend, wie wir uns oft selbst definieren, und als käme es darauf an, Vollkommenheit zu deklarieren als ein ehrgeizig gestecktes Ziel, das einem ja unerreichbar vorkommen muss und daher keinen Zugang anbietet zum „Ganzen“. Die Leere ist das Ganze. Das ganze Potential, die luxuriöse Empore des Zeugenstandes. Kein Ort, ein Zustand, der spontan aufsteigt aus dem Nichts. Wohlwollen. Liebe.

Das Bild habe ich gestern Abend am See gemacht. Es zeigt die Reflektion des Berges, der sich im Wasser spiegelt, und die Lichter, die am See aufgestellt sind. Der junge Mann, beschäftigt mit einem der neuen Spielzeuge der Travellers (ein präzise genähtes Tuch, das man auf einem Finger kreisen lassen kann), kam zufällig ins Bild, obwohl das Bild ohne ihn nicht ganz so ausbalanciert wäre.

 

so langsam

 
Noch zwei Wochen, aber schon schleicht es sich langsam herein, das jährliche Abschiednehmen, einerseits geübt, andrerseits immer mit aktueller Frische geladen. Es ist genau in diesen Tagen, wenn aus der Morgenluft alle Kälte verschwunden ist, der Geist sich pudelwohl im Ausgewogenen tummelt und bereit ist, am Morgen und Abend Frühling zu spielen, und während des Tages den Brutofen zu durchqueren, da kann man sich weder vorstellen, zu gehen, noch erinnert man sich, wie man auf die Idee kam, nicht mehr an diesen Ort kommen zu wollen. Man (das „man“ bezieht sich hier auf eine größere Anzahl Menschen, die schon jahrelang hier auftauchen), man hat also die Erschütterungen bewältigt (oder nicht), hat die eigenen Grundfesten wieder in lockerem Gefüge stabilisiert, ist zu grundsätzlicher Offenheit bereit, ohne was Bestimmtes zu fixieren, merkt, dass sich die bereits vorhandene Dankbarkeit in einem noch etwas gedehnt hat, und lässt der Freude ihren verfügbaren Spielraum. Gestern fragte mich ein junger Traveller, der gerade angekommen war und bei Lali, deren Familie ein Pilger-Restaurant betreibt,  Essen bestellte, was mir an diesem Ort so gefällt. Ich musste herzlich lachen, als sich gleichzeitig aus meinen Archiven so viel Material herauslöste und downloadete, dass meine innere Festplatte implodierte und eine wohlige Leere zurückließ, so, als wären alle Programme endgültig gelöscht, und ich wäre froh und frei, einfach wohlgemut Schritt für Schritt und Nu für Nu weiter zu gehen. So ist es ja auch. Und es ist auch nicht so, dass mein Auge sich nicht liebevoll auf die andere Seite richtet, zum Westen hin, der ohne den Osten nicht ganz voll wird, wie der Osten, der ohne den Westen nicht ganz voll wird. (oder ganz leer, wie man’s nimmt). Im Wechsel der beiden Kulturen, und mit genügend Intensität und ernsthaft erworbener Erfahrung, kann man erleben, was ein Zauberkreis ist. Der Zauberkreis hat die Eigenschaft, Öffnung zu sein, er ist Offenheit an sich. Sein Instrument und Werkzeug ist das Spiel. Wohl dem oder der also, die oder der gut und gerne spielt.

Das erste Bild zeigt einen auf Sand gebauten Fleck für eine familiäre Zeremonie (Puja), das zweite Bild zeigt die neuen Tätowierungen von Susanne, einer Yogalehrerin aus Berlin, die ich in ein Photo bannen konnte, als sie vor einiger Zeit zu Besuch war.

Michael Lentz

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„vielleicht ist es so, vielleicht ist es aber auch nicht so.“
anagrammatische Sprechakt-Variationen einer These von Georg Büchner

vielleicht ist es so, vielleicht ist es aber auch so nicht.
vielleicht. so ist es. vielleicht. aber ist es auch? so nicht.
vielleicht. ist es so? vielleicht. ist es aber auch so nicht.
vielleicht ist es. so! vielleicht ist es. aber. auch. nicht. so.
vielleicht. ist es so, vielleicht. istesaberauch nicht so.

vielleicht ist es so, vielleicht ist es aber auch nicht so.

vielleicht, vielleicht! so ist es, aber auch so ist es nicht.
vielleicht-vielleicht! so ist es auch nicht, aber so ist es.

leicht, soviel ist es, ist es aber vielleicht auch nicht.    so
leichtes ist so viel, aber vielleicht eist auch so nichts.
vieles eist so leicht, aber vielleicht ist auch so nichts.

so. vielleicht ist es viel, aber auch so ist es nicht leicht.

soso, aber ist es vielleicht auch vielleicht? ist es nicht?

so ist es viel, so ist es leicht, vielleicht aber auch nicht.

so leicht ist es nicht! vielvielleicht ist es aber auch so.

ist es auch viel so, leicht so, aber leicht ist es nicht viel.

aber es ist so. auch vielleicht ist vieles nicht so leicht.

ist es vielleicht auch bar so, vielen ist seicht so leicht.

vielleicht ist es so, vielleicht ist es aber so auch nicht.

so es auch nicht ist, vielleicht, ist es aber vielleicht so:
so es aber vielleicht so ist, ist „vielleicht“ auch nicht „es“.
so es aber vielleicht so ist, ist es auch nicht „vielleicht“.

seit leichtes so viel ist, vielleicht aber auch so nichts,
ist es nicht so leicht, aber auch so ist es vielleicht viel.

aber es ist so. auch vielleicht ist viel nicht so leicht.    es
ist aber so es. vielleicht ist es auch nicht so vielleicht.

so es aber vielleicht nicht ist, ist es vielleicht auch so.
auch so ist es, nicht viel, aber es ist vielleicht leicht. so!
so viel, so leicht; ist es, ist es vielleicht aber auch nicht.
es ist soviel licht. vielleicht eist es aber auch nicht so.

leicht ist es viel so, aber auch viel ist es nicht so leicht.

procedere

 

Es ist ja nicht so, als wenn es in der Anforderung des Zelebrierens eine Pause gäbe, nein, es geht munter weiter. Man möchte mal schnell bei Govinda eine Milch kaufen und prallt auf die Götterprozession, die sich millimeterweise durch die engen Gassen jongliert. Aha!, wieder „Savari“ (Prozession der Götter),  denkt es automatisch in mir, und da stehe ich am Wegrand und bin, als quasi Einheimische, nun plötzlich und zufällig ins grelle Licht der Lampenträger getaucht, damit beschäftigt, meinen Gesichtsausdruck im Zaum zu halten. Vor etlichen Jahren gab es hier einmal eine längere Phase, in der man überall Gemälde von Salvador Dali sehen konnte, was ein wahrer Herzensgenuss für mich war. Gut, die Bilder waren locker kopiert mit dem berühmten Kopier-Genius der Inder und wurden rasend abgekauft von Israelis, aber Dali war präsent im Dorf. Ein Maler hatte Teetassen im Haus, auf deren Boden, wenn man ausgetrunken hatte, ein Portrait von Dali sichtbar wurde. Da passte was zusammen, auch wenn es nicht reflektiert wurde als solches. Bei der nun laufenden „Savari“ musste ich auch früher schon immer mal an Dali denken und wie vielleicht er, obwohl sie in Spanien auch genug von diesen Umzügen haben, doch vielleicht verblüfft und angeregt gewesen wäre, diese Darbietung hier zu sehen. Verblüffend sind mehr die Dinge, auf die man wegen der Hauptshow erst wenig achtet, und wenn dann der leicht angewiderte Blick sich trennt von den feisten, in jeder Hinsicht öligen Brahmanenpriestern, die auf die Menge schauen, als wuselten da ein paar niedrige Insektenformen, ja, wenn der Blick also zu wandern beginnt, sieht man zum Beispiel den Mann, der immer hochkonzentriert mitläuft mit einer sehr langen Holzstange, auf der an der Spitze ein waagrechtes Brett angebracht ist, mit dem er die überall h herunterhängenden Stromleitungen in die Höhe hievt, sodass das ganze leuchtende Götterspiel unbeschadet durch die Gegend kommt. Oder man sieht gleich hinter der hohen Karosse  schwer vergiftete Männer für 100 Rupien am Tag unter der Schwerarbeit keuchen, die Dieselmaschinen, die die extravagante Beleuchtung ermöglichen, hinter dem Ganzen herzuschieben. Das kann ich dann kaum mehr ertragen und bin schnell weg, weil hier der Widerstand bei all den gefalteten Händen nicht nur zwecklos ist, sondern schädlich. Morgens so um 6 Uhr rum hört man ein rasant schnelles Traben und wenn man es einmal gesehen hat, weiß man, dass da ein Gott in einer Sänfte durch die Gegend gerannt wird von zwei Männern, ein andrer hält mühsam eine brennende Fackel beim Rennen, ein noch andrer einen riesigen Schirm, wie man ihn auf meinem Photo sehen kann. Sie rennen zur Treppe eines Tores und halten keine Sekunde an, sondern weg sind sie wieder. Ich muss heute unbedingt mal fragen, warum die rennen müssen. Eine schöne Frage: wer hat diese Rennerei befohlen, mmmhhhhh!? Aber Kaaalimaaa, nun bist du schon tausend Jahre hier und weißt immer noch nicht, dass es der Gott  morgens sehr eilig hat!!?? (Viel zu tun!) Gut, das alles dauert ein paar Tage und steigert sich am sechsten. Alle, die freiwillig teilnehmen oder darin gefangen werden, holen den andächtigen Blick aus sich heraus. Ist ja alles da. Zeitlos geübt, fraglos ausgeübt. Religion, die mächtige Volkskontrolltechnik. Noch hat sich nicht gezeigt, was besser funktionieren könnte, aber, das kann ich mit einiger Sicherheit sagen, in den einzelnen Individuen gibt es Bewegung.

Shanti

Bildergebnis für Santoshi Mata
Shanti heißt Frieden und ist ein sehr beliebtes (Sanskrit) Wort, das es auch als Gruß und als Mantra gibt, und es ist ein Zustand, den man gerne für sich gesichert sehen würde, wäre er nicht so schwer zu erringen und in einem inneren Gleichgewicht zu halten. Nun gibt es Momente, die sich mühelos in Stunden ausdehnen können und von einer tiefen Stille und Friedfertigkeit sind, sodass in dem entstandenen Raum, den man auch als Leere empfinden kann, die Eingebung selbst innehält und lauscht, Es kann schon auch was mit dem Wetter zu tun haben und mit der Atmosphäre, die durch die klimatische Bedingung entsteht. Vielleicht stehen ja tatsächlich auch die Sterne günstig, nicht nur für einen persönlich, sondern alle bewegen sich dann in so einer, ja was ist das, Ausgeglichenheit. Heute früh zum Beispiel ist es so mild mit einem leichten, angenehmen Wind, bei dem man nicht mehr das Gefühl hat, sich gegen tropfende Nase und Heiserkeit schützen zu müssen. Der Blick fällt auf ein paar Gänse, die zielbewusst ihre Bahnen im Wasser ziehen. Das Wenige bereichert nicht nur, sondern es krönt. Eine Leichtigkeit liegt in der Luft, die zum Lachen und Lächeln anregt und zu geistig offenem Verhalten. Also das wundert mich jetzt schon, dass mir der Satz „Frieden auf Erden, und den Menschen ein Wohlgefallen“ einfällt, aber es ist ja tatsächlich so, dass Frieden auf der Erde nicht nur gewünscht, sondern auch erfahren werden muss, um zu wissen, wie es sich für einen selbst anfühlt. Zur Erfrischung des eigenen Wesens braucht es eine Stille, die wiederum ihre Bedingungen hat.  Ich habe allerdings auch während der vergangenen Techno-Orgie einen inneren Ort finden können, wo es still und geräumig war. Das hat ein paar Stunden gebraucht, weil ich überzeugt war, den Sound nicht aushalten zu können, alle Fluchtwege aber versperrt waren. Doch wenn der äußere Raum dieses Wohlbefinden ausstrahlt, und man kann sich hineinentspannen, dann kann man sich auch sehr gut vorstellen, was mit „Frieden auf Erden“ gemeint ist. Dass es da, wo Frieden auftaucht, nicht ewig dauern kann, ist auch klar, was nicht heißt, dass es in sein Gegenteil münden muss. Aber immer kommen andere Kräfte hinzu, sonst würde das gerade noch Lebendige auf einmal stagnieren. Die Bereitschaft zur Friedfertigkeit entsteht meist aus einer Entscheidung heraus, die ermöglicht, falsche Ideen darüber loszulassen und sich klar zu machen, was man selber darunter versteht. Das Beisichbleiben in angenehmer und offener Gesellschaft, oder eine gewisse Unabhängigkeit von der eigenen Meinung sind sicherlich hilfreich.
„Shanti is over“, sagte Lali neulich, also „es ist vorbei mit dem Frieden“. Und ja, es gibt gewaltig große Löcher in der sich in friedvollen Gedanken wiegenden, kollektiven Hängematte, die einer Zerreißprobe nicht mehr wirklich standhält und die Kinder durchfallen lässt durchs Netz, und wieder aufstehen mit der Frage, was denn das nun wirklich ist, Shanti, der Frieden., und wie und wodurch wird er erzeugt. Es gibt natürlich in Indien auch eine Friedengöttin, Santoshi Mata (s.o.), die freitags verehrt wird. Sie ist durch einen Film geboren und war wohl reif zum Erscheinen, damit das, was sie verkörpert, nicht verloren geht mit der Zeit.

cool

Bildergebnis für Shitla Mata
Auf dem Bild tanzt eine junge Frau (im Dorf Sukhna) in einer Prozession der Göttin Shitla, der Göttin der Kühle, die für das Wegbleiben der heißen, gefährlichen Krankheiten sorgen soll, und dafür gibt es heute in allen Häusern, und wirklich allen Häusern kein Feuer, sondern nur eine bestimmte Art von Nahrung, die einen Tag vorher mit riesigem Aufwand und unessbaren Mengen zubereitet wird und aussieht wie seltsame Schmuckdesigns als Teigteile gebacken. Ich muss jedes Jahr viel davon essen, weil alle es auch wieder loshaben wollen, wenn der Tag vorbei ist, sonst müssen vor allem die Kinder noch wochenlang daran knabbern. Heimlich wird natürlich auch schnell mal ein chai gekocht und getrunken, man rechnet hier wie üblich mit der Großherzigkeit der Götter, hier Göttin, die ja verstehen kann, dass der Mensch ohne chai in üble Laune kommt. Schon seit der Herrgottsfrühe rennen Frauen mit Tabletts durch die Gegend und bringen in den wenigen Shitla Mata Tempeln ihre Gaben dar. Auf den Straßen wird aus riesigen Frauengruppen heraus viel gesungen. Da ich gerade bei Google gesehen habe, dass außerdem auch noch Frauentag ist, muss ich mal bei meinem Rundgang gleich schauen, was sich so tut, auf jeden Fall viel weibliche Energie, denn die Frauen haben z.B. kostenlose Fahrt in den Bussen und schieben sich gegenseitig durch die Busfenster zu einem freien Platz hin. Manchmal fürchte ich ein bisschen, dass eines Tages ein paar Inder gut genug Deutsch lernen, um meinen Blog zu lesen, dann ist es vermutlich Sense mit dem guten Ruf. Oder es gibt einen Befreiungsschlag durch Lachen, was mir am liebsten wäre. Gesegnet sei die Muttersprache, das ist mein ganz persönlicher Beitrag zum Frauentag. Zuerst habe ich dann Mohan getroffen. Heute ist ja auch Frauentag, sage ich nach dem gegenseitigen RamRam Gruß. Er nickt: „women bus free“, sagt er zufrieden. Drei Worte, die den Tag der Frau aus seiner Sicht beschreiben. Als ich etwas später die Frau anrufe, bei der ich zum kalten Delikatessenmahl eingeladen bin und genau wissen wollte wann, war sie mitten in der Shitla Mata Puja. Das Smartphone macht vieles möglich. So sind wir alle mit dem beschäftigt, was uns erfreut, oder auch mit dem, dem man nicht ausweichen kann. Meine Güte!, ist das schön jetzt am Morgen! Noch ein Hauch Kühle im leichten Wind, das Wasser in spielerischem Tänzeln gekräuselt, eine tiefe Ruhe im Großraum. Unterwegs treffe ich eine Frau, die auch seit Jahren hierher kommt. Es geht in dem anregenden Gespräch schnell um den Ausdruck einer gewissen Besorgnis über die Entwicklungen, zum Beispiel die des letzten Holi Festes, das wohl doch sehr viele Inder, berichtet sie aus ihrem Kreis, als eine bedrohliche Entfremdung ihrer eigenen Kultur empfunden haben. Walle walle! Manche Strecke, dass zum Zwecke Wasser fließe.!, und mit reichem, vollem Schwalle zu dem Bade sich ergieße……Und dann: Herr! Die Not ist groß! Die ich rief die Geister, werd‘ ich nun nicht los…….fiel mir da ein. Es ist dasselbe Thema wie „How to get rid of it“, wie ich etwas wieder loswerde, was ich eingefädelt habe, nun aber sehe, dass es doch nicht so günstig war, wie ich dachte. Eine Schöpfung, die sich in ungünstigem Verlauf  selbstständig gemacht hat Auch wenn man nicht in den Dingen verstrickt ist, kann man sich in dieser Zeit nicht wirklich abschotten. Meines Erachtens gehört es zur Freiheit, die doch für sehr viele Menschen zumindest als ein Angebot auftaucht, alles immer sehr fein abzustimmen zu einer Art offenem Balanceakt, damit man nicht zu lange in irgendeinem Feld steckenbleibt und dem Gedanken verfällt, da sei man geistig zuhause. Auch in „Frau Bus frei“ steckt ein praktisches Körnchen Wahrheit, denn viele nehmen das Angebot wahr und haben eine prima Zeit, wer will stören?
Ich wünsche allen Frauen eine Chance auf revolutionäres Erwachen, ob durch Trauer, Schmerz, Erkenntnis oder starken Willen etc. und möge das alles zu einer eigenen Sprache führen und zu freiem, bewusstem Ausdruck, und zur Freude an unserem Sein, und möge die Liebe die einzige Autorität sein und bleiben. Shakti swarup ki jai ho!*

 

*“Es lebe die Verkörperung der weiblichen Kraft“

Sinn

In einer Mail wurde mir zugesprochen, immer „guten Zugang zu haben dazu, „Sinnhaftes“ zu entdecken“. So wohlgemeint es war, fühlte ich mich an mein gestriges Thema (Ruf) erinnert und die Zimbeln, die ich nie geschlagen habe. Das mag jetzt wie ein bombastisches Statement erscheinen, wenn ich sage, dass ich mich nicht erinnern kann, jemals nach einem Sinn gesucht zu haben (der meine Existenz erläutert?), d.h. die „Sinn-Suche hatte nie so ein Gewicht für mich, vielleicht, weil ich vom kosmischen Vorgang, so, wie ich ihn wahrnehme, gar nicht erwarte, dass er einen Sinn macht. Dass wir als Menschen aus Angst vor der absolut realen Gewissheit des Ungewissen, in das wir geworfen werden, unser Leben und die Welt, wie wir sie erfahren, mit „Sinn“ und der Suche danach vollstopfen, ist auch offensichtlich. Ich musste daran denken wie Menschen, die in der totalen Entfesselung eines Krieges (so wie jetzt in Syrien) jenseits von Sinn und Sinnlosigkeit geworfen werden, oft als Überlebende ihre wahrhaft schrecklichen Geschichten erzählen, ich aber auch in den Augen meiner Mutter dabei so ein tiefes Leuchten gesehen habe, das von der Erfahrung eines direkten Kontaktes mit dem „nackten Leben“ herrührte, als es aller imaginären Sinnhaftigkeit beraubt war und doch ein tief menschliches Erleben möglich wurde, das sie von äußerster Bedrohung über die eigenen Begrenzungen gebracht hat. Das ist der Krieg, wie kann man ihm Sinn zugestehen. Ansonsten findet die Befreiung von der Sinnsuche nur in der Praxis meditativer Wege statt. Vom prächtig missverstandenen „be here now“ oder dem „sieh alles, wie es wirklich ist“ geht es um das Loslösen von der Sinnverhaftung, obwohl die meisten Suchenden gerade an solchen Orten den „Sinn“  suchen, und deshalb oft nicht zu Findenden werden. Auch hier in Indien kann ich keinerlei „Sinn-Suche“ sehen, außer man sieht Gott oder die Welt der Götter als das einzig Sinnhafte, das sie anstreben. Aber Hindus empfinden die unangezweifelte Gottverbundenheit ja nicht als einen „Sinn“, sondern sie benutzen die angebotenen Wege, um in größere Nähe zum göttlichen Sein zu kommen. Auch in meiner „Tempel-Zeit“ habe ich keinen Sinn gesucht und auch keinen gefunden außer dem Angebot der Erfahrungsmöglichkeit. Das Universum wird gesteuert von Gesetzmäßigkeiten, die zu erkennen und zu verstehen sind. Die Sinn-Bemühung ist nicht eines seiner Ausdrucksformen, vielleicht wird es deswegen oft als kalt empfunden. Ursache und Wirkung ist eines der grandiosen Gesetze, die zu befolgen uns überlassen ist, deswegen die mächtige Bürde und das Geschenk der Freiheit. Zu sehen, wie es wirklich i s t, letztendlich wie und wer ich wirklich bin, was ich tue und was mein Tun bewirkt, und ob ich bereit bin, dafür die volle Verantwortung zu übernehmen.

 

 

Ruf

Ein „Ruf“ ist ein interessantes Phänomen. Man hat ihn meist unabhängig vom eigenen Selbstverständnis. Er bildet sich aus den Erfahrungen der Menschen mit einer Person heraus, von der sie jeweils glauben, etwas mitbekommen zu haben, was sie zu einer mehr oder minder soliden Meinung berechtigt. Als ich hier im Dorf ankam, war ich eine der ersten Fremden und auch noch Frau allein, die sich entschieden hatte, zu bleiben und Teil der Gesellschaft zu werden. Da ich meinen ersten öffentlichen Auftritt als (Kali) Tänzerin hatte, war es sicherlich förderlich, wenig genug Hindi zu verstehen, um von den wilden Bewegungen meines Rufes etwas mitzubekommen. Als dieser „Öffentlichkeit“ aber klar wurde, dass ich mich auf einer für sie nachvollziehbaren Fährte befand, wurde ich darin ziemlich gut unterstützt. Man brachte mich vom Verbrennungsplatz, wo ich mich niedergelassen hatte, um mein neues Leben zu gestalten, in einen Garten am See, wo derzeit ein Sadhu saß mit einem „guten Ruf“. Er war auch ein netter und harmloser Mensch, der täglich laute Gespräche mit Gott führte und ihn einen Schlingel nannte. Man hatte ihn beauftragt, mir alles Nötige beizubringen, was keine kleine Herausforderung für ihn war. Da ich dann voll beschäftigt war mit lernen, wie man ein Feuer am Leben hält, Blumenknospen mit einem Faden zusammennäht, Kuhfladen mit Wasser gut vermischt und rings um den Feuerplatz aufträgt, und wie man durch Aussortieren der groben Teile der Asche ehrgeizig die feinste Asche produziert usw, also sehr beschäftigt war und klar in der Richtung meines Daseins, da nehme ich an, dass sich im Hintergrund auch mein Ruf wie von selbst gestaltete. Als mir die Sprache ermöglichte, einiges von den Fragen, die meistens pilgernde Hindus über mich hatten (wer ist das? Und was macht die hier?), da war ich doch verblüfft z.B.zu hören, ich würde Tag und Nacht die Zimbeln schlagen, obwohl ich noch nie eine Zimbel geschlagen hatte, oder ich hörte, dass ich sehr schön Flöte spielen könnte, davon hatte ich auch keine Ahnung. Ich versuchte ein paar Mal, die Dinge klar zu stellen, aber das war nicht sehr erfolgreich, denn hatte man nicht etwas Gutes über mich berichtet? Was die Frauen in den Häusern betrifft, so geisterte ich länger als furchterregende Gestalt durch ihre Haushalte als eine, die rauchend mit Männern am Feuer saß und wer weiß, was sie noch alles tat, obwohl ich da einiges „Schlimme“ schon hinter mir hatte. Der Aufenthalt am heiligen Feuer mit seinem Drumherum wurde von mir ernsthaft und ausgiebig geliebt, das sickerte wohl in den öffentlichen Raum, und der Tanz, mit dem ich noch ein paar Mal als Pflichtprogramm bei einem ihrer Feste auftreten musste, wurde nun als eine Darbietung an den Gott Shiva gesehen. In der Zwischenzeit sind viele Jahre vergangen, und da ich nun ganz meines eigenen Weges gehe, ohne viel zu stören, ja, eher die Freude des Daseins mit denen teile, die mir begegnen, interessiert es kaum mehr jemanden, an meiner Reputation zu kratzen. Nun wurde ich gestern mal wieder Zeugin einer Unterhaltung über mich zwischen einem Brahmanen und einem Mönch, der wissen wollte anhand des freundlichen Grußes, wer ich denn sei. Der Gefragte schwang sich auf zur Lobesstimme und beschrieb mich als jemanden, die „kuch lena, kuch dena, also sehr friedlich sei. Wie!, murmelte das egoische Stimmlein in mir, „nix geben und nix nehmen“!? Na also, was weiß der schon, was ich so mache. Am  Nachmittag habe ich es Lali erzählt, vermutlich um meinen „Ruf“ besser einordnen zu können, und nein-nein sagte sie, hier ist lena-dena ein Begriff für jemanden, der sich nicht einmischt, sondern seines bzw ihres Weges geht, was ich ja tue. Der Ruf also. Manchmal muss man sich hier, etwa von besuchenden Dörflern umringt,  schon glücklich schätzen, dass manche mitbekommen dass man des Lesens und Schreibens kundig ist. Lesen und schreiben können!!! Ist das nicht wunderbar!?

 

Das erste Bild zeigt den Banianbaum, unter dem ich jetzt öfters im Schatten sitze. Heute ist offizieller Frühlingsanfang.

 

abschließen/nachwehen

Als ich dann gestern wegen den bedrohlichen rosa Staubwolken nur kurz hinausging, um was zu holen, habe ich das Frauenheer der Sweeper-Kaste gesehen, die offensichtlich organisiert wurden, um die Plage zu bewältigen, diesmal mit Hilfe eines Wassertanks. Für das indische Auge sind solche Bilder keineswegs verstörend, denn dafür sind die Sweeperinnen ihres Erachtens ja da, eben um alles, was sonst keiner säubern will, zu säubern, die Straßen mit den üblichen Dreckhaufen, die Toiletten, und nun das, was die Horden zurückgelassen haben, eine unvorstellbare Masse von Müll. Ansonsten wurde klar, dass nichts passieren würde im folgenden Jahr. Zu viele Interessen sind damit verbunden, und obwohl ein paar gute Ideen auftauchten unter uns, wurde mir eindeutig vermittelt, dass es hier um Politik geht und es besser ist, sich keine Feinde zu machen. Sicherlich werden Angst und Diplomatie oft verwechselt, was eben nur dazu führt, dass dann das „unvermeidlich“ Genannte auch nicht vermieden wird und weiter in verderbliches Gedeihen rollt. Manche Dinge können einfach weiter gehen, ohne zu schaden, wie gute Kunst z.B., vor allem, wenn sie dem Kunstmarkt nicht anheim gefallen ist. Aber kollektive Auswüchse, scheint mir, werden im Allgemeinen nur gestoppt, wenn genug schreckliche Dinge passieren, und das kann leider lange, lange dauern, wie wir mit dem Krieg in Syrien wieder einmal drastisch vor Augen geführt bekommen. Auch da das herzlose, politisch kontrollierte Toben, dem keiner mehr Einhalt gebieten kann. Uns werden dann die untröstlichen Bilder vor Augen gehalten, bis auch d a s wegen fehlendem Aktionsraum unendlich ermüdet, wissen wir doch, dass alles auch ganz anders laufen könnte, und dann doch nicht, denn es läuft ja bereits so, wie es ist. Das kenne ich in Indien von meinen ersten Tagen an: dass inmitten all des schönen Götterhimmels und seiner devoten Bewunderer eine gefährliche und dunkle Gefühlsmasse mitschwingt, eine inhärente Grausamkeit, die immer mehr zur Oberfläche drängt, je unzufriedener die Menschen mit ihrer Lebensform werden. Auch in der westlichen Philosophie wird zwischen Haben und Sein ein Unterschied gemacht, der zu bedenken ist. Denn das Immer-mehr-haben-wollen, wenn es die Masse trifft als ein Selbstverständliches, Unumkehrbares, ist mit Sicherheit einer der Auslöser, der durch sein Zurückgeworfensein auf das persönliche Wunschfeld dort den individuellen Neigungen nicht unbedingt, aber doch häufig, zum Opfer fällt. Dann wurde ich am Samstag Abend informiert, dass ein Tanzprogramm am See stattfindet, eine Stunde vor der täglichen Abend-Puja. Der Priester war der Initiator, das gibt’s auch. Es war ein wunderschöner, professioneller Tanz, ein junger Mann mit voll tätowierten Armen und offensichtlich vielen, vielen Jahre von Praxis hinter sich. Wie würdevoll die Kunst ist!, wie erfreulich! Immer noch muss sie um ihren Raum ringen, und wenn sie ihn bekommt, geht es allen so gut. Die Kunst verbindet und lässt doch die anwesenden BezeugerInnen frei in ihrer jeweiligen Eigenart, sie wahrzunehmen. Das ist ihre große Kraft.
Das Bild oben zeigt den Künstler. Da ich nicht öffentlich sichtbar mit meinem Smartphone photographiere, konnte ich nur bescheidene Aufnahmen machen. In der Spiegelung der beiden Bilder ist dennoch etwas geschehen, aber nur, wenn sie nebeneinander stehen.

Hilde Domin

Bildergebnis für Hilde Domin

Wen es trifft

Wen es trifft,
der wird aufgehoben
wie von einem riesigen Kran
und abgesetzt
wo nichts mehr gilt,
wo keine Straße
von Gestern nach Morgen führt.
Die Knöpfe, der Schmuck und die Farbe
werden wie mit Besen
von seinen Kleidern gekehrt.
Dann wird er entblößt
und ausgestellt.
Feindliche Hände
betasten die Hüften.
Er wird unter Druck
in Tränen gekocht
bis das Fleisch
auf den Knochen weich wird
wie in den langsamen Küchen der Zeit.
Er wird durch die feinsten
Siebe des Schmerzes gepresst
und durch die umbarmherzigen
Tücher geseiht,
die nichts durchlassen
und auf denen das letzte Korn
Selbstgefühl
zurückbleibt.
So wird er ausgesucht
und bestraft
und muss den Staub essen
auf allen Landstraßen des Betrugs
von den Sohlen aller Enttäuschten,
und weil Herbst ist
soll sein Blut
die großen Weinreben düngen
und gegen den Frost feien.

Manchmal jedoch
wenn er Glück hat,
aber durch kein kennbares
Verdienst,
so wie er nicht ausgesetzt ist
für eine wissbare Schuld
sondern ganz einfach weil er zur Hand war,
wird er
von der unbekannten
allmächtigen Instanz
begnadigt
solange noch Zeit ist.
Dann wird er wiederentdeckt
wie ein verlorener Kontinent
oder ein Kruzifix
nach dem Luftangriff
im verschütteten Keller.
Es ist als würde eine Weiche gestellt:
sein Nirgendwo
wird angekoppelt
an die alte Landschaft,
wie man einen Wagen
von einem toten Geleis
an einen Zug schiebt.
Unter dem regenbogenen Tor
erkennt ihn und öffnet die Arme
zu seinem Empfang
ein zärtliches Gestern
an einem bestimmbaren Tag des Kalenders,
der dick ist mit Zukunft.

Keine Katze mit sieben Leben,
keine Eidechse und kein Seestern,
denen das verlorene Glied
nachwächst,
kein zerschnittener Wurm
ist so zäh wie der Mensch,
den man in die Sonne
von Liebe und Hoffnung legt.
Mit den Brandmalen auf seinem Körper
und den Narben der Wunden
verblasst ihm die Angst.
Sein entlaubter
Freudenbaum
treibt neue Knospen,
selbst die Rinde des Vertrauens
wächst langsam nach.
Er gewöhnt sich an das veränderte
gepflügte Bild
in den Spiegeln,
er ölt seine Haut
und bezieht den vorwitzigen
Knochenmann
mit einer neuen Lage von Fett,
bis er für alle
nicht mehr fremd riecht.
Und ganz unmerklich,
vielleicht an einem Feiertag
oder an einem Geburtstag,
sitzt er nicht mehr
nur auf dem Rande
des gebotenen Stuhls,
als sei es zur Flucht
oder als habe das Möbel
wurmstichige Beine,
sondern er sitzt
mit den Seinen am Tisch
und ist zuhause
und beinah
sicher
und freut sich
der Geschenke
und liebt das Geliehene
mehr als einen Besitz,
und jeder Tag
ist für ihn
überraschendes Hier,
so leuchtend leicht
und klar begrenzt
wie die Spanne
zwischen den ausgebreiteten
Schwungfedern
eines gleitenden Vogels.
Die furchtbare Pause
der Prüfung
sinkt ein.
Die Schlagbäume
an allen Grenzen
werden wieder ins Helle verrückt.
Aber die Substanz
des Ich
ist so anders
wie das Metall, das aus dem Hochofen kommt.
Oder als wär er
aus dem zehnten oder zwanzigsten Stock
– der Unterschied ist gering
beim Salto mortale
ohne Netz –
auf seine Füße gefallen
mitten auf Times Square
und mit knapper Not
vor dem Wechsel des roten Lichts
den Schnauzen der Autos entkommen.
Doch eine gewisse Leichtigkeit
ist ihm
wie einem Vogel
geblieben.
*
Du aber
der Du ihm
auf jeder Straße begegnest,
der Du mit ihm
das Brot brichst,
bücke dich und streichle,
ohne es zu knicken,
das zarte Moos am Boden
oder ein kleines Tier,
ohne dass es zuckt
vor deiner Hand.
Lege sie schützend
auf den Kopf eines Kinds,
lasse sie küssen
von dem zärtlichen Mund
der Geliebten,
oder halte sie
wie unter einen Kranen
unter das fließende Gold
der Nachmittagssonne,
damit sie transparent wird
und gänzlich untauglich
zu jedem Handgriff
beim Bau
von Stacheldrahthöllen,
öffentlichen
oder intimen,
und damit sie nie,
wenn die Panik
ihre schlimmen Waffen verteilt,
„Hier“ ruft
und nie
die große eiserne
Rute zu halten bekommt,
die durch die andere Form
hindurchfährt
wie durch Schaum.
Und dass sie Dir nie,
an keinem Abend,
nach Hause kommt
wie ein Jagdhund
mit einem Fasan
oder einem kleinen Hasen
als Beute seines Instinkts
und Dir die Haut
eines Du
auf den Tisch legt.

Damit,
wenn am letzten Tag
sie vor dir
auf der Bettdecke liegt
wie eine blasse Blume
so matt
aber nicht ganz so leicht
und nicht ganz so rein,
sondern wie eine Menschenhand,
die befleckt
und gewaschen wird
und wieder befleckt,
Du ihr dankst
und sagst:
Lebe wohl,
meine Hand.
Du warst ein liebendes
Glied
zwischen mir und der Welt.

Sehfeld

  

Die gekritzelte Zeichnung habe ich gestern während des Tobens gemacht, und ich bräuchte auf der berühmten Insel u.a. einen funktionierenden Stift, genug Papier, Make-up, noch ein menschliches Wesen und ein paar Kleinigkeiten zum Durchkommen. Interessant, dass ich heute bei meinem Rundgang um den See nur Leute getroffen habe, die das Fest, wie es gerade läuft, total ablehnen. Natürlich stimmt es, wie mir in einer gestrigen Mail humorvoll vorgeschlagen wurde, dass hier ein Satz der Borg aus Raumschiff Enterprise zutrifft: „Widerstand ist  zwecklos.“ Man kann z.B. so eine Masse, die unisono in technogesteuerter Ekstase hüpft, als eine Maschine betrachten, die in ziemlich jede beliebige Richtung der Initiatoren gesteuert werden kann. Die Beobachtungen sind ja nicht nur lokal begrenzt, sondern ich habe oft in Indien etwas beginnen sehen, wovon ich im Westen nur  Resultate kenne, nicht aber seine Anfänge, und ob und wann ihnen zu wehren möglich ist. Wie es zum Beispiel einer kleinen Gruppe von Menschen gelingt, eine Masse mit gewissen Gedanken zu ergreifen, die dann zwanghaft zur Verkörperung dieses Gedankenguts wird. Einer der Sätze, die in spirituellen Kreisen gerne zitiert werden ist, alles, was es gibt, zu akzeptieren als das, was es ist. Es sind diese einfachen Sätze, die schwer zu erfassen und zu realisieren sind. Deswegen war es für mich gestern auch eine wertvolle Erfahrung, mich auf einmal wegen des Lärmpegels aus meinen Wänden bewegen zu müssen, da ich vorher nicht ahnen konnte, dass sie brummen und wackeln würden und ich mir einen Zufluchtsort suchen musste. Da bin ich bei aller notgedrungenen Akzeptanz ausgestiegen aus dem „Fest“ und habe nach Optionen für mich gesucht, die mir noch offen standen. In meinem Haus gingen Menschen ein und aus, weil sie das Ganze aus sicherer Entfernung auf dem Dach sehen wollten. Alle waren schon durch die Farbmühle gegangen und froh, irgendwo Sicheres zu landen. Das ist der Widerstand, der möglich ist. Akzeptieren, wie es nun mal ist, aber kein Zugzwang zum Mitspielen, wenn einem das Spiel nicht gefällt. Aber um bei einem Spiel, das einem nicht gefällt, nicht mitzuspielen, muss man vorher einiges durchdacht und für sich geklärt haben, um dann vor Ort die jeweils adäquate eigene Entscheidung fällen zu können, auch wenn einem eine große Mehrheit etwas anderes vor Augen führt oder vortanzt.

tob-süchtig

Die beiden Bilder sind noch von gestern Abend, wo tatsächlich ein milder und dunstverhangener Vollmond sich zeigte und das Feuer-Ritual von Brahmanen-Experten wieder einmal ins Leben gerufen wurde, und die Flamme konnte man auch ganz gut lesen, das ist ein Teil davon. Dann allerdings spielten gleich hinterher die exzellenten Trommler auf, und die Zuschauermasse fing an zu tanzen. Das ging die ganze Nacht und ziemlich nahtlos in den Tag  über, wo wir dann heute sind. Die Lautstärke um 5 Uhr früh war schon beim Einstellen der Lautsprecher extrem ohrenbetäubend, und es wummerte gravierend in die Herzgegend hinein, und da so viele noch wach waren, war gar kein Übergang, sondern es ging einfach weiter. Verängstigte Tiere und Kinder wurden vom Platz entfernt, das finde ich unakzeptabel. Man sollte sich nicht verpflichtet fühlen, das Ausgerastete, wenn es als Kollektiv auftritt, als Norm wahrzunehmen, da die Wirkung sehr schädlich sein kann. Das Austoben von Erwachsenen miteinander hat sicher auch gute Seiten und ist oft ein Ventil für die persönliche Ladehemmung. Das Toben hier sollte eigentlich den Sieg des Guten zelebrieren und wurde einst als friedliches, heiteres Fest beschrieben, aber ich sehe bereits von meinem Zeugen-Posten aus einige Fliehende, und wahrlich, da tobt eine Sucht der Zeit: die Entgrenzung. Vor allem die Frauen ziehen sich im Laufe des Vormittags aus dem Spiel zurück. Es gibt zwar am Rande Hüter und Polizisten, aber keine Harmlosigkeit mehr – alles kann passieren. Man erfasst auf dem Marktplatz mit einem Blick ungefähr tausend Menschen, und eine weitere Menge, die sich auf Plätze und Nebenstraßen ausdehnt. Es gibt auch zwischen dem BUMBUMBUM einen Mikrofonsprecher, sehr begabt, der sich manchmal einschaltet und was Einleuchtendes sagt. Ab 9 Uhr hat er die Tobenden im Griff. Er sagt ihnen was vor, und sie brüllen es einstimmig nach. „Wollt ihr die totale Techno-Tob-Sucht!!!??? Jaaaaaaa!!!! Beängstigend. Und das Anfassen ist wegen der Farben, die man auf die Körper der Anderen schmiert, auch erlaubt. Kein Fest für Zimperlinge, denn wer reflektiert schon in besoffenem und sonstigem Zustand das Wo und das Wer und das Wann und das Wem. Daher sieht man im Verlauf der Stunden nahezu nur noch Männer mit nacktem Oberkörper, die Oberbekleidung muss auf die Drähte geworfen werden, dafür ist der Ort hier berüchtigt. Bald sehen alle gleich aus, auch wieder ein Phänomen. Ich habe mir einen Ort mit minimaler  Herzfrequenzbelastung gesucht und immer, wenn ich mal rausschaue, sehe ich massenhafte Bewegung zu dröhnendem Brummen. Albernerweise habe ich das Buch mitgenommen „Verlorenen Narrenfreiheit“, aber der Titel passt doch ganz schön. Man kann es wie ein Bedauern sehen, aber kann es auch anders denken. (siehe Thürmer-Roth). Am Nachmittag war dann zum Glück der ganze Zauber vorbei, der Berge von Abfall und pinkem Staub hinterlässt. Kühe lassen sich darauf nieder. Hier noch ein paar Eindrücke:

mittendrin:

 

und danach:

 

 

 

Holika

Bildergebnis für Holika and Prahlad

Das Fest läuft ja von selbst ab, und ich bin vermutlich eine der wenigen, denen nochmal einfallen möchte, wie das eigentlich war mit dieser Geschichte, denn heute Abend ist das sogenannte Holika-Feuer. Da war eben einst dieser Dämonenkönig mit dem beeindruckenden Namen Hiranyakshyapu, der befahl allen, nur ihn anzubeten und war ziemlich enttäuscht, als sein eigener Sohn namens Prahlad ihm partout keine Verehrung zeigte, sondern dem Gott Vishnu. Der Vater wollte ihn deswegen  mehrmals töten lassen, aber es gelang nicht. Da fragte er seine Schwester, die mal durch einen Schal den Segen bekommen hatte, im Feuer nicht zu verbrennen, den Kleinen auf ihren Schoß zu setzen und dann ein Feuer entfachen zu lassen. Es gibt verschiedene Versionen über diesen Vorgang. Eine ist, dass Holika auch nicht so böse war und letztendlich das Tuch, das sie schützte, im letzten Moment auf Prahlad warf, sich also opferte, und der Kleine ungeharmt entkam. Nun soll das alles bedeuten, dass das Gute über das Böse siegt. Deswegen also am nächsten Tag das farbige Freudenfest, das auch ich vor vielen Jahren noch als durchaus harmlos erlebt habe. Das hat sich ziemlich verändert. Ganze Horden strömen in die Stadt, und es wird immer enger und voller. Man möchte den Bazaar gerne meiden und nach dem Fest wieder auftauchen. Wer weiß, ob nicht Hiranyakashyapu seine Leute eingeschleust hat, um im „heiligen Teertha“, wo Gutsein noch angestrebt wird, mal richtig Remmidemmi zu machen, oder er will unter keinen Umständen will, dass Prahlad ihm dieses Mal entkommt. Letztes Jahr hat es wohl noch nicht so geklappt, aber es war schon ziemlich beängstigend, wie sie, die Tobenden, sich die Kleider vom Leib rissen und auf die Leitungen warfen, bis die Polizei alle nach Hause, bzw in ihre Herbergen schickten und empfahlen, sich mit einem Bad zu entfärbn und abzukühlen. Jetzt warten wir erstmal ab, wie sich die Dinge entwickeln. Es ist ja auch Vollmond, der den Frühling einleiten soll, obwohl nach deutschen Maßstäben schon Hochsommer ist. Zum Glück wird im Westen nur der Farbteil von Holi gespielt, wahrscheinlich bei freundlichem Wetter, sonst würden ja bei der derzeit klirrenden Kälte dort alle Eiskristalle schmelzen und es gäbe noch mehr Husten und Heiserkeit, die wir hier allerdings auch wegen der Hitze und dem vielen Staub haben, den die unendlich vielen Füße aufwirbeln. Nicht so bekannt ist, dass wir derzeit gemäß des  Vikram Kalenders ins indische (und nepalesische) Neujahr trudeln, und zwar ins Jahr 2057, also zeitlich immer ein bisschen voraus, dann aber in der kreisförmigen Anpassunggewohnheit immer sehr beweglich, das hinduistische Denken und Sein.
Auf dem Bild sieht man den kleinen Prahlad im Schoß von Holika, wie er Vishnu um Rettung bittet…..