vermissen

Was ich am meisten vermissen werde von Indien, wenn ich (wieder einmal) Abschied nehmen muss, fragt mich Sakshi. Zuerst rauscht die Überflutung an, dann ist sie wieder weg. In der entstehenden Ruhe wird klar, dass es ein Gefühl ist. Ein Gefühl, das sich mühelos in die Zeitlosigkeit der indischen Geschichte ausdehnt, die ja nicht wirklich Geschichte ist, sondern ein Seinszustand, der in unerschöpflichem Reichtum bevölkert wird von Menschen und Göttern, ohne dass klare Trennungslinien sichtbar sind. Man kann auch heutzutage öfters mal die beeindruckend narzisstische Politiker-Gemeinde vorüberziehen sehen in langen Kolonnen, und Unmengen von Blumenketten werden um ihre Hälse gehängt mit andächtigen Verbeugungen, vor allem, wenn es die eigene Blumenkette schafft, am politischen Hals zu landen. Die meisten Hindus brauchen den Halbgott. Für einen Hindu, wie auch immer man ihn letztendlich definieren würde, aus diesem vermischten Menschen-und Götterkreis einen Ausstieg zu finden, ist auch für mich jetzt ziemlich undenkbar geworden. Da sehe ich doch gestern die junge Frau, von der ich einen Tag zuvor in einem guten Gespräch ein ganz klares Statement gehört hatte, wie sinnlos sie das ganze religiöse Getue findet, sehe sie also einen Tag danach im feinen Outfit sich vom auf Menschenschultern vorbeigetragenen Oberpriester mit einem seltsamen Stab den Segen auf den Kopf geben. Klar, warum nicht. Kann ja nicht schaden. Warum finde ich, dass es doch schadet? Hat es mit meinem Widerstand gegen das „mat socho“ (nicht denken) zu tun, das als spirituelle Glanzleistung hier durchgängig gepriesen wurde, erwartet und gefordert vor allem von den Gläubigen, den Devotees. Ja, da ist die Akzeptanz des Unvermeidlichen, super gut zu praktizieren in Indien. Indien, der Weltnabel. Das Unvermeidliche an sich. Hier schaut man her nach Lösung, was im Westen als unlösbar befunden wurde. So auch Sigmund Freud am Ende seines Lebens, auf seine asiatische Statuensammlung schauend und rätselnd.  Oft wird vom Westen her der Buddhismus bevorzugt, weil er den Gott und das Selbst beiseite geschafft hat. Dabei gibt es, wenn man dem näher kommt, was in Indien ausgebrütet wurde, enorme Komplexitäten, die alle das „Eine“ als Background benutzen: da, wo man herkommt, überschattet von illusionären Ich-Einstellungen, und das, was man sein kann, wenn man das Glück (das gute Karma) hat, unbeschadet durch das Dickicht der Abstraktionen zu gelangen, bis man wieder mit sich selber zusammenkommt und lächelt, vielleicht sogar laut lacht. Dann ist man natürlich auf ewig dankbar, denn wer wäre man ohne Indien gewesen, obwohl es auch ohne Deutschland nicht gut gegangen wäre. Ja, dieses Gefühl unendlicher Weite und unermesslichem geistigem Reichtum, davon gibt es schon einen, wenn auch vorübergehenden, Abschied, denn ohne das lebendige Hiersein wird es ein innerer Ort, wo die Erfahrungen sich sammeln. Ohne das pulsierende Draußen. Und dann die paar Frauen, wie Sakshi zum Beispiel, die mir zeigen, dass es doch weitergeht und nicht stagniert, und dass bei aller Gewalt, die sichtbar wird, sich genau das tut, was ich mir einmal in einer alten Sanskritschrift habe übersetzen lassen über diese Zeit (wir leben hier zyklisch und im Eisernen Zeitalter), nämlich dass die Shakti, die weibliche Kraft, erwachen wird, da es die einzige universelle Kraft ist, die das Festgefahrene wieder in Bewegung bringen kann.

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