Ruf

Ein „Ruf“ ist ein interessantes Phänomen. Man hat ihn meist unabhängig vom eigenen Selbstverständnis. Er bildet sich aus den Erfahrungen der Menschen mit einer Person heraus, von der sie jeweils glauben, etwas mitbekommen zu haben, was sie zu einer mehr oder minder soliden Meinung berechtigt. Als ich hier im Dorf ankam, war ich eine der ersten Fremden und auch noch Frau allein, die sich entschieden hatte, zu bleiben und Teil der Gesellschaft zu werden. Da ich meinen ersten öffentlichen Auftritt als (Kali) Tänzerin hatte, war es sicherlich förderlich, wenig genug Hindi zu verstehen, um von den wilden Bewegungen meines Rufes etwas mitzubekommen. Als dieser „Öffentlichkeit“ aber klar wurde, dass ich mich auf einer für sie nachvollziehbaren Fährte befand, wurde ich darin ziemlich gut unterstützt. Man brachte mich vom Verbrennungsplatz, wo ich mich niedergelassen hatte, um mein neues Leben zu gestalten, in einen Garten am See, wo derzeit ein Sadhu saß mit einem „guten Ruf“. Er war auch ein netter und harmloser Mensch, der täglich laute Gespräche mit Gott führte und ihn einen Schlingel nannte. Man hatte ihn beauftragt, mir alles Nötige beizubringen, was keine kleine Herausforderung für ihn war. Da ich dann voll beschäftigt war mit lernen, wie man ein Feuer am Leben hält, Blumenknospen mit einem Faden zusammennäht, Kuhfladen mit Wasser gut vermischt und rings um den Feuerplatz aufträgt, und wie man durch Aussortieren der groben Teile der Asche ehrgeizig die feinste Asche produziert usw, also sehr beschäftigt war und klar in der Richtung meines Daseins, da nehme ich an, dass sich im Hintergrund auch mein Ruf wie von selbst gestaltete. Als mir die Sprache ermöglichte, einiges von den Fragen, die meistens pilgernde Hindus über mich hatten (wer ist das? Und was macht die hier?), da war ich doch verblüfft z.B.zu hören, ich würde Tag und Nacht die Zimbeln schlagen, obwohl ich noch nie eine Zimbel geschlagen hatte, oder ich hörte, dass ich sehr schön Flöte spielen könnte, davon hatte ich auch keine Ahnung. Ich versuchte ein paar Mal, die Dinge klar zu stellen, aber das war nicht sehr erfolgreich, denn hatte man nicht etwas Gutes über mich berichtet? Was die Frauen in den Häusern betrifft, so geisterte ich länger als furchterregende Gestalt durch ihre Haushalte als eine, die rauchend mit Männern am Feuer saß und wer weiß, was sie noch alles tat, obwohl ich da einiges „Schlimme“ schon hinter mir hatte. Der Aufenthalt am heiligen Feuer mit seinem Drumherum wurde von mir ernsthaft und ausgiebig geliebt, das sickerte wohl in den öffentlichen Raum, und der Tanz, mit dem ich noch ein paar Mal als Pflichtprogramm bei einem ihrer Feste auftreten musste, wurde nun als eine Darbietung an den Gott Shiva gesehen. In der Zwischenzeit sind viele Jahre vergangen, und da ich nun ganz meines eigenen Weges gehe, ohne viel zu stören, ja, eher die Freude des Daseins mit denen teile, die mir begegnen, interessiert es kaum mehr jemanden, an meiner Reputation zu kratzen. Nun wurde ich gestern mal wieder Zeugin einer Unterhaltung über mich zwischen einem Brahmanen und einem Mönch, der wissen wollte anhand des freundlichen Grußes, wer ich denn sei. Der Gefragte schwang sich auf zur Lobesstimme und beschrieb mich als jemanden, die „kuch lena, kuch dena, also sehr friedlich sei. Wie!, murmelte das egoische Stimmlein in mir, „nix geben und nix nehmen“!? Na also, was weiß der schon, was ich so mache. Am  Nachmittag habe ich es Lali erzählt, vermutlich um meinen „Ruf“ besser einordnen zu können, und nein-nein sagte sie, hier ist lena-dena ein Begriff für jemanden, der sich nicht einmischt, sondern seines bzw ihres Weges geht, was ich ja tue. Der Ruf also. Manchmal muss man sich hier, etwa von besuchenden Dörflern umringt,  schon glücklich schätzen, dass manche mitbekommen dass man des Lesens und Schreibens kundig ist. Lesen und schreiben können!!! Ist das nicht wunderbar!?

 

Das erste Bild zeigt den Banianbaum, unter dem ich jetzt öfters im Schatten sitze. Heute ist offizieller Frühlingsanfang.

 


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