reden

In Deutschland würde ich nie auf die Idee kommen, wenn ich mal irgendwie schräg oder verstimmt drauf bin, auf die Straße hinauszugehen, weil es mir dann gleich besser geht, wenn ich ein paar Menschen getroffen und mit ihnen geredet habe. Ich würde vielleicht im Wald eine Runde drehen und ziemlich ungern jemandem unterwegs begegnen. Hier ist das anders. Natürlich vereinfacht es den Zugang zu freundlichen Begegnungen oder Gesprächen, wenn man mal ein paar Jahre an einem Ort gelebt hat. Aber die Garantie einer gutgesteuerten Laune kommt vor allem daher, dass die meisten „Inder“ gesprächsoffen sind, oder vielleicht passt hier dieses Wort „redselig“. So weit wie selig würde ich nun nicht gehen, aber „das  Reden“ kann doch eine sehr schöne Sache sein, vor allem, wenn auch die Erfahrung des Schweigens dabei ist oder mitschwingt. Und immer wieder gibt es Überraschendes zu erleben. Gestern war ich bei Krischna, einem (brahmanischen) Brotbäcker, zu dessen Familie ich ab und zu einen Kilometer pilgere, einerseits für das Brot, andrerseits für die Gespräche mit ihnen. Wir saßen alle zusammen beim süßen Schwarztee, eine Spezialität der Hausfrau, Sunita, und mit einem der Söhne, Janak. Krishna hatte sich in diesem Jahr einen Bart wachsen lassen und Janak meinte, sein Vater solle doch bald in eine Höhle ziehen, um als Mönch zu leben. Krishnas Frau war begeistert, und das Gespräch ging so leicht und spielerisch um alle Themen herum, und alles wurde gesagt und doch nicht tierisch ernst genommen, sondern wegen der geistigen Freiheit, die möglich war, blieb der Grundton heiter. Ja, „Hindus“ sind in vieler Hinsicht extrem fixiert, aber freies Denken wird auch durchaus geschätzt, wenn man es kann. Ich finde es interessant, wie alle, mit denen ich zur Zeit rede, gerade mit den politischen Themen umgehen. Die Schlammschlacht zwischen den führenden Politikern ist auf einem so peinlichen Level, dass die meisten zwar wählen gehen, aber bis zuletzt warten, welchen Namen letztendlich ihre Hand schreibt. Alle finden es unangenehm, dass es nur um persönliche Macht geht, und dafür braucht man eine Menge Geld, und da wird es ja auch schon ziemlich langweilig, und nur die Philosophen sind manchmal noch bestürzt, wohl wissend, dass es kein Klacks ist, seine Seele für ein paar Groschen zu verhökern. Der Priester, mit dem ich darüber rede am See, trägt einen „Dhoti“ (indisches Kleidungsstück für Männer, ursprünglich bestehend aus einem Tuch, das man wie einen Rock trägt und einfach zuknotet). Dieser Dhoti fällt mir ins Auge, weil er aus feinstem Baumwollstoff ist mit einem schlichten Goldrand. Ich dachte, solche Qualität wäre ausgestorben und frage ihn, wo er ihn her hat. Bereitwillig erzählt er mir, dass er es bei Amazon bestellt hat, und nein, nicht mehr als Tuch, sondern schon fix und fertig als Dhoti mit Seitentaschen und einer Gürtelschnalle. Amazon hat hier eingeschlagen wie ein Komet. Nun bin ich leider keine Bania-Natur (cleverer Businesskopf), sonst wäre ich schon längst croremami (Millionärin). Gerade merke ich, dass meine heutigen Worte nicht so sehr die geistigen Dimensionen beschreiben, die ich bei Indern im Dialog für möglich halte, sondern es ist diese erheiternde Menschlichkeit, die ich so schätze. Auf dem Weg zurück von Krishna hält ein Motorrad neben mir, und der Fahrer fragt mich, ob er mich nach Hause fahren soll. Ich steige sofort auf, weil er auch meinen Namen kennt, habe aber keine Ahnung, wer er ist. Unterwegs höre ich, dass er früher  im selben Hotel gearbeitet hat, in dem ich mal gewohnt und eine Drama Performance für das ganze  Dorf organisiert habe. Ein paar Minuten tiefer Verbundenheit wehen durch die Atmosphäre. Man hat was richtig Gutes erlebt und das Herzgefäß wird in eine Weitung gelockt.

Das Bild zeigt Sokrates im Dialog mit einem seiner Schüler (why not).


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