Purnima

Eigentlich wollte ich den Vollmond aufnehmen, aber er kam von meiner kleinen Terrasse aus gesehen direkt neben schrillen Lichterketten hoch, die nun so beliebt sind an Hotels und Restaurants, und wild und irritierend vor sich hinblinken, so als wollten sie dringend herausfinden, wer sie wirklich braucht, nun ja, vielleicht brauche nur ich sie nicht. Der Mond selbst war hinter Dunstschleiern versteckt, so entdeckte ich genau darunter meine Nachbarschaft im Abendlicht, so hübsch und gleichzeitig geisterhaft, da das „heilige“ Baden im See vorbei ist und das menschliche Treiben im Bazaar stattfindet. Auch die Brahmanen hängen nicht mehr traubenweise auf den Plätzen herum, bis zuhause serviert wird, denn es wird kalt. Dazwischen gibt es immer wieder kurze Zeiträume, wo die Temperaturen angenehm sind. Gerade haben sie die enorme Hitze hinter sich gelassen, die seit Jahren nicht mehr durch den Monsoon erleichtert wird, denn es regnet kaum mehr, und das Wasser, das zum Geldverdienen mit den Pilgern dringend nötig ist, wird aus der nahe gelegenen muslimischen Stadt hergeleitet. Die Inder waren Meister der göttlichen Zusammenhänge, und unter dem leidenschaftlichen Glanz ihrer Glaubensformen brach (und bricht immer noch) jede westliche Vernunft zusammen. Die indische Intelligenz aber fand ihre Zweitgeburt in der Technik. Wie sich das in ihren Gehirnen eingerichtet hat, ist schleierhaft geblieben, aber es muss von den strikten Götterordnungen herrühren, dass ihr Genius sich hier niederlassen konnte. Im Smartphone stößt das Ganze nun auf die Weltader. Der phallische Halt war genau das Richtige in einem permanent abstürzenden Strudel, in dem keiner mehr die Richtung angibt. Das Resultat könnte durchaus aufbauend sein. Doch es scheint eher ein innerer Kampf gegen die Menschenermüdung zu sein. Vielleicht bewegt sich auch was. Lali, die mich gestern zu gemeinsamem Espressotrunk besucht hat, hat mir erzählt, dass es nach Asaram Babu, einem inhaftierten, einst gerühmten Guru, der sich kleine Mädchen bringen ließ, dass es also nach ihm noch eine ganze Reihe von Guruverhaftungen gab mit lebenslangen Haftstrafen wegen Vergewaltigungen und Morden an Frauen und Mädchen, wenn sie drohten, alles zu erzählen. Ich fragte sie, ob es im Volk auch Gespräche darüber gibt, und sie meinte, vor allem die Frauen seien aufgewacht und verlieren jeden Respekt vor diesem tausende von Jahren sich fest etabliert habendem Zirkus. Vielmehr weiß man ja oft nicht, wann der Zirkus wirklich begonnen hat, das ist doch in allen Religionen so, wenn keiner mehr kritisieren darf oder klar sehen, was da wirklich ist, und wer kann schon wie von Jesus behauptet wird, durch die Tempel toben und tacheles reden. Im WDR5 gibt es ja auch diese paar Minuten „Religion“ vor den Nachrichten um 7 Uhr, da wird mir auch schwummrig bei diesen Stimmen, die einem irgendwas einsäuseln wollen, was nicht mehr zur Debatte steht. Sicherlich ist es schön für ein Kind, einen Papa zu haben, aber der Erwachsene muss zumindest eine klare Wahl treffen können, wie und wo er den Papa (und die Mama) haben will. Prakash wiederum, den ich vorgestern besucht habe, will durch hektisch durchgeführtes Pranayam zu den ewig Junggebliebenen gehören, das fand ich auch ein bisschen erschütternd, er ist bald 50. Wir konnten nicht wirklich einen gemeinsamen Faden finden, weil er derart „stoned“ war an Bang, dass ich schon vom Anblick etwas „high“ wurde, so viel zum alten Sprachschatz. Heute auf dem Rückweg habe ich eine Vogelfeder auf dem Boden liegen sehen, die war über die Hälfte ganz schwarz, dann oben weiß. So kommt es mir auch ein bisschen vor, dass ich mich vom Dunkel ins Hell durcharbeute, vielleicht täglich, um dem Gefüge irgendwie gerecht zu werden. Vielleicht auch, weil ich selbst als ein Glückskeks mit dem Schlüssel meinen burgähnlichen Wohnort aufschließen kann und, wenn ich möchte, die Türen hinter mir schließen, so muss ich doch auch mit der Ohnmacht umgehen, dass mir so wenig einfällt, was helfen könnte. Vorbei die philosophischen Schulen, die Religionen, die Ashrams. Man kann sie bereits als leere Hüllen sehen. Man will es den Menschen zutrauen können, sich selbst zu erziehen. Vertrauen erschaffen in Inseln und Oasen.

One thought on “Purnima

  1. Patrizia Antworten

    Wie schön. Oder schrecklich – je nachdem. Die Stimmung kommt so gut rüber! Diese Absurdität und dennoch irgendwie Faszinosum. Die Erde aus dem Weltall ist seit der Erfindung dieser LEDs enorm viel heller geworden habe ich neulich gelesen. Vielleicht wird sie ja nun deshalb endlich von einer intelligenten Spezies irgendwo im Weltall wahrgenommen.
    Ja, diese leeren Hüllen, die einstmals soviel Sinn vermitteln konnten – das sehe ich auch. Die Inhale sind offensichtlich umgezogen – haben jetzt wohl ein neues Äusseres. Vielleicht auch ganz viele neue, andere Hüllen. Dieser Wandel ist für uns alle nicht leicht mitzuvollziehen. Manche müssen sich in die endlose Wiederholung der Vergangenheit flüchten, stoned sein, ansammeln oder verrückt viele hektische Zukunftspläne schmieden. Vielleicht braucht es so eine Art Surf-Brett durch die Zeiten…

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