vermuten

Vermutlich bin ich hier unter den EinwohnerInnen die Einzige, die keinen Glauben hat, bzw. an nichts glaubt. Das Wort „glauben“ ist einem ja geläufig am Anfang der Sätze mit der Gewohnheit, Glauben mit Denken zu verwechseln, wobei Glauben die eher verschleierte Variante ausdrückt, während dem Denken zumindest präzisere Formen möglich sind. Traditionen beruhen nun einmal auf dem kollektiven Einverständnis mit dem, was allgemein geglaubt und gedacht wird. Würde mich jetzt jemand ernsthaft fragen, an was ich zutiefst glaube, müsste ich dem Wort ausweichen und könnte zum Beispiel mein Vertrauen in das Licht des Bewusstseins erwähnen, oder in die Fähigkeit des Menschen, sich selbst zu sein und zu selbständigem Denken zu gelangen und einer Freiheit, die auf diesem Denken verantwortungsvoll basiert. Man wünscht es sich zuweilen und hält es für möglich, dass alle Zugang zu allem haben, aber wer kennt nicht die Bedingungen, auf die man auf einmal treffen kann. Nicht die, die ein Gott deklariert haben soll, sondern die, die ein Mensch erkennt als ein unumgänglich Wesentliches. Wie Schlüssel, die Tore öffnen zum Nichtgekannten. Auch „Göttliches“ kann sich einem durchaus zeigen zu jeweiliger Zeit und Stunde, aber auch diese Erfahrungen und ihre Formen muss man nicht unbedingt „Glauben“ nennen. Vielleicht eher das „Unentrinnbare“, das es zu erkennen gilt als das, was es für einen selbst ist und war. Dann, wenn die Komplexitäten sich lichten, kehrt man zurück zu den einfachen Dingen, die man von Anfang wusste und spürte in sich, mit der Liebe als einzigen verlässlichen Kompass, um durch das Dickicht der Meere sicher und wohlbehalten zu navigieren. Ich habe aber oft genug Formen eines „reinen“ Glaubens hier beobachten dürfen, die eine Berührung des tiefen Staunens in mir auslösen, und ich weiß, dass mir dieser Zugang nicht möglich wäre, aber es ist schön, Zeugin solch einer beseelten Innigkeit und Versunkenheit sein zu können. Wären diese einfachen und ehrerbietigen Wesen geschützt vor Ausbeutung und Missbrauch, könnte man ihre Nähe suchen und bei ihnen sitzen im Einklang mit allem anderen. Es ist aber meist das niemals Gehörte und niemals Gesehene, und das vielfach Geschundene, das nur durch ein göttlich empfundenes Oben in der eigenen Existenz Bestätigung findet und sicher auch erhält. Das wiederum bringt die oft ermüdende, wenn auch richtige, Bemerkung hervor, dass nur Bildung hier Abhilfe bringen kann, wobei es sich nicht wirklich gezeigt hat, dass Bildung allein den  Menschen von dem erwachen lässt, was er Anderen  an Unvorstellbarem antun kann.

Das erste Bild zeigt eine Wand, in die Arbeiter kleine Löcher gehackt haben, damit die aufzutragende Farbe besser hält.


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