pilgern

So, hier nochmal ein Photo von der Bühne des Festivals, ziemlich bescheiden für den photogenen Glamour, der dort installiert war und das einzige in der wilden Schlacht der Bilderzeugung, das ich aufgenommen habe. Nach gehörigen Widerständen und einem chai mit Lali hatte ich mich dann doch entschieden, mich in die Festivalpilgergruppen einzureihen, und siehe da, es ist immer auch gut zu schauen, woher die Widerstände kommen, denn es war in der Tat eine gemütliche und festliche Stimmung dort und ich habe einen höchst angenehmen Platz bekommen zum Einsinken in das Ganze. Was mir die Leute aus dem Dorf vorher mitgeteilt hatten, war natürlich auch wahr: es gab kaum jemanden, den ich kannte, und die befürchtete Ansammlung von Foreigners war auch nicht da, da die meisten schon nach Goa abgezwitschert sind. Und so waren es vor allem indische Touristen, die herumströmten, und natürlich die niemals fehlen dürfenden VVVVVIPs, deren Reden mit der üblichen Arroganz strotzten, der Herr Minister und der Herr von der Zementfirma, viel Reichtum, viel Bauen, ab und zu mal sponsern und die Pausen zukleistern mit Advertisements auf den riesigen Screens. Wahrscheinlich fühlen sich die Einheimischen ausgebootet aus ihrem Lotusreich, und sie mögen auch nicht, dass die Performer mit dem Rücken zum heiligen See spielen, und sogar Ausländer dürfen da singen, na sowas. Die Performances sind exzellent, ein Franzose organisiert das zusammen mit einem indischen Event-Hecht, das ist schon beeindruckend. So saß ich wohlig herum, und ab und zu setzte sich mal einer aus dem Dorf neben mich und freute sich wie ich, dass Familie anwesend war. Vorne auf der Bühne und auf den Screens sang eine Frau souverän die meisterhaften Lieder, deren Sog einen von der Verblüffung ins ungläubige Staunen transzendieren können, und in die Dankbarkeit, an einer Kunst teilgenommen haben zu dürfen, die ohne ihresgleichen ist. Und dann: ein Lied nach dem anderen, kein Nachlassen in der Qualität. Währenddessen waren im Publikum hauptsächlich Smartphones anwesend. Mit einer ungebremsten Intensität knipsten sich unentwegt Menschen selbst und in schnell wechselnden Gruppen, alle schon vollkommen fixiert mit dem selbstverliebtesten Ausdruck im Gesicht, wo man die erfrorene Phantasie über die eigene Selbstwahrnehmung mühelos ablesen konnte. Noch selten habe ich so eine unverblümte Ich-Leidenschaft am Werke gesehen, so als erschienen überall Spiegel im All, wo man geht und steht, und ist unter Zwang, immer denselben optimalen Eindruck zu hinterlassen, den man sich durch gnadenlos anerzogene Kritik am stets schnell studierten Selfie abgerungen hat. Die mystische Substanz des Universums, das Lebendige genannt, weicht hier wie automatisch zurück vor dem Unvermeidlichen, das keinen Namen mehr trägt. Hält man die lineare Kontinuität des sich ständig Entwickelnden für grenzenlos, so kann man sich einiges Natürliche und Interessante noch vorstellen im Zusammenspiel von Mensch und Maschine, denn wer sagt, dass es nicht spannend ist, halb Mensch, halb Maschine zu sein, ist der Umschwung doch bereits im Gange. Läuft die Zeit dagegen kreisläufig wie die Jahreszeiten z.B., so wird klar irgendwann, dass der dritte Akt im Drama auch ein Ende hat und dadurch nicht jeder Logik entbehrt. Die viel besprochene und als solche auch erfahrene Verdunkelung des Bewusstseins ist hier das notwendige Mittel einer Weltermüdung, ohne die kein gelungener Ausklang stattfinden kann. In der Zwischenzeit singen die Sänger ihre Lieder, und wer kennt schon die ekstatischen Zustände der Indigo-Färber. und der noch lebenden Meister der altenTempel-Architektur, oder wenn man sich als Glyphe wiederfindet im Buch der Steine. Warum ich, wegen meiner derzeitigen Nüchternheit, den Weg der mystischen Erfahrung zurückgelassen hätte, fragt mich Leslie, der gerade aus Australien angereist ist. Wie kam’s dazu. Beim Angrübeln der interessanten Frage bemerkte ich, wie es drohte, bei der Geburt, gar schon vorher, anfangen zu müssen. Da wurde ich (hihi) vor mir gerettet. Verlassen, sagte ich zu ihm? Wer sagt, ich hätte ihn verlassen. Ist nicht der nüchterne Blick vielleicht auch der mystische Weg?

Leave a Reply

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert