inmitten

Noch ein Feiertag, an dem es wenig zu feiern gibt, außer man hat das Glück, am richtigen Ort zur richtigen Zeit zu sein, und das obligatorische „Noch“ nicht vergisst, die Flüchtigkeit des Daseienden also, wenn es nicht gleichzeitig dröhnt als ein schweres Verbrechen. Wie sagt man doch gerne zur Zeit: „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“, so als wüssten wir auf einmal alle, was Menschlichkeit eigentlich ist, oder vor allem, was sie nicht ist. So gibt es gleichzeitig die Freude und Dankbarkeit für den Gast, mit dem oder der man die Gespräche führen kann, die man noch für möglich hält, konzentriert gedacht und weit gefächert, und dann sieht man auf einmal, beziehungsweise sehe ich auf der inneren Leinwand zwei zu Todfeinden mutierte Gruppen aufeinandertreffen, und wenn nicht schon jetzt, sich bald einander wieder Tod und Verderben bringen. Auf der einen Seite vermutlich nur Männer unter dem atemberaubenden Druck der Befehle, die sie oft  nicht richtig begreifen (weil gar nicht müssen), auf der anderen Seite auch Frauen bei der Verteidigung von etwas, was es schon  nicht mehr gibt, und trotzdem machen sie alle weiter in der unsinnigen Hoffnung, dass sie wenigstens nicht d i e Art von Verstümmelung trifft, bei der man den Tod vorziehen würde, könnte man das entscheiden. Millionen von uns Menschen wiederum in verhältnismäßiger Sicherheit schauen dann in der jeweiligen Abendsendung zu, wie das alles vor sich geht, und wie die Dosierung unserer Machtlosigkeit zunimmt, was auch mit der Angst passieren kann oder der Heuchelei oder der Besserwisserei oder der Gleichgültigkeit usw., je nachdem, an was man gewohnt ist. Ohne die Wunde der Ohnmacht unbedingt weiter aufreißen zu wollen, kann ich zumindest nicht behaupten, ich hätte mich an eure Qualen (in der Ukraine) gewöhnt, auch wenn man durchaus nicht auf alles antworten muss und kann, was einem Mensch in größter Not logisch vorkommt. Wie habe ich diese verherrlichten Filme gehasst, wo zwei feindliche Heere aufeinander stoßen und alle Statisten, die niemandem in der Story was bedeuten, einfach niedergewalzt und zertrampelt werden. Und dann wird man auch noch in die Zwangsjacke der Hoffnung gebracht und hat bereits einen Wunsch-Sieger erwählt, ohne den es unter Umständen, wie gerade im Ukraine -Krieg, noch schlimmer werden würde. Aber es ist eh schlimmer, als man denkt: viel schlimmer. Viele werden also wieder heute und morgen und übermorgen ihr kostbares Leben verkürzt oder verstümmelt haben, und man zögert, das Ganze eine bodenlose Dummheit zu nennen, eingefädelt von eben diesem einen Mann, den keiner stoppen kann, weil der seinen heimlich visionierten Lorbeerkranz unterwegs verloren hat und es sich und andere auf keinen Fall wissen lassen darf, dass ihm die Felle wegschwimmen. Auf jeden Fall habe ich durch dieses wahrlich unselige Geschehen etwas verstanden, für das ich keine Worte habe, weil ich auch keine dafür suche. Ich lasse also das wortlos Nicht-Verstandene mal in die Tiefe sinken und schaue, ob es sich meldet und ob es überhaupt in Worte zu fassen ist, sich also als Rahmen oder Einbettung oder Struktur gar nicht eignet. Nichts bietet es zum Festhalten, keinen Haken, keinen Gurt, keinen Felsenvorsprung. Die letzte Spur der Deutungssucht möchte es vielleicht eine gähnende Leere nennen oder den nackten Abgrundsgletscher. Aber dann hätte es nichts Befreiendes an sich und würde einen wiederum überwältigen. So sitzt man also (z.B.) nur da und atmet hinein in die Stille. Das kommt einem dann doch sehr kostbar vor, und das inmitten des Grauens.

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