tote Ecken

Tote Ecken kennt man ja auf verschiedenste Arten und Weisen. Die einfachste Variante ist wahrscheinlich das Staubsaugen, wenn man hofft, dass das Gerät auch da herauspustet und an sich nimmt, was nur durch sehr viel Aufwand zu erreichen wäre, zu dem man nicht immer bereit ist. Oder die toten Ecken in den Bücher-und Kleiderschränken, wo sich lange nichts mehr bewegt hat, aber wo man immer wieder zulässt, dass etwas aus dem lebendigen Gebrauch fällt, was dann mit der Zeit eine gewisse Schwere an sich haften hat, da es nur noch aus Haftung besteht. Dann gibt es die toten Ecken in der Geschichte, und auf einmal, wenn sich wieder etwas bewegt, fällt Licht auf die Ecke, und wenn da dann was lange Verborgenes herumliegt, kann es auch ziemlich erschreckend sein, wie die Filmrollen zum Beispiel, die man aus dem Warschauer Ghetto gefunden hat und verstanden, dass das Entsetzen  selbst sich in die Ecke flüchtet und sich tot stellt. Oder man erfährt durch Belichtung einer toten Geschichtsecke, dass in Wirklichkeit alles ganz anders war, als viele dachten oder hofften.. Oder Dinge nisten sich ein und versuchen, das zu beleben, was man nicht totglauben kann wie zB. die mir neu vorkommende Nachricht, dass Luther an Hexenverfolgungen beteiligt war, der Gute. Wie geht das? Irgendwann merkt man dann, dass das Staubsaugerrohr eben nicht in alle Ecken kommt, man muss rücken und genau hinschauen, wo sich das Ganze festgesetzt hat, was man zu übersehen neigt. Oder die Maus setzt ihren Cursor ein und wittert und beschnuppert das Material auf seine Verwertbarkeit. Ist also zB der Besuch von Donald Trump jun. bei der russischen Anwältin ein toter Winkel, in dem der große Happen nicht zu finden war, oder nährt sich hier bereits die Substanz der Amtsenthebung? Und in den eigenen psychischen Aufenthaltsorten kennt man doch selbst das Totgeschwiegene, von dem man nicht weiß, ob es noch Worte braucht, damit es in den lebendigen Strom einfließen kann. Leichen haben bekanntlich beachtliches Gewicht. Natürlich gibt es auch kein Gesetz und keinen Diktator, der einem befehlen kann, die toten Ecken ans Licht zu bringen, damit ersichtlich wird, was drinsteckt. Aber ich denke, dass sich mit der Zeit alles meldet, was sichtbar werden will, und dann muss man schauen, ob man die Kraft und die Reife hat, es zulassen zu können. Es gibt ja auch die lebendigen Felder wie die Himbeerfelder, die gerade draußen im Wald in voller und einladender Frucht stehen. Auch hier sieht das Auge hinter der Fülle noch mehr Fülle, in die der menschliche Fuß ungern vorstößt, weil sich Zecken und Dornen im Gebüsch tummeln. Oder man sieht vom Flugzeugfenster aus mit tiefer Beruhigung, dass es noch Gebiete gibt, zu denen kein Mensch vordringen kann. Aber vielleicht ist auch das eine Illusion. Dann kann man sich immer noch an den Wolken erfreuen, wenn sie dicht und geheimnisbeladen vorüberziehen, bis der innere Gong wieder zurückholt in die  Korridore.


One thought on “tote Ecken

  1. Erika Kenter Antworten

    Liebe Kalima,

    heute möchte ich mal mit meiner Begeisterung an die „Öffentlichkeit“, weil der Text mir einfach zu gut gefällt – bravo!!!
    Herzliche Grüße von Erika

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