dann…und wann…

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Es soll zur Zeit also ungefähr 120 gezählte 100-Jährige in unserem Land geben, wahrscheinlich ist die Dunkelziffer noch größer…aber halt, nein!, denn wenn „sie“ hundert werden, bekommen sie ja vom Rathaus einen Glückwunsch zugesandt, eine Hundertjahrelebensjubiläumsurkunde, bzw., wenn  Bürger-und Bürgerinnen diese frappierende Zahl eines Jahrhunderts erreichen, werden sie womöglich besucht oder interviewt wie in einer „Zeit“- Ausgabe geschehen. Manche fürchten schon die Frage „Ja, wie macht man das denn?“, so als wüsste es jemand, warum es so lange gedauert hat und wodurch sie da hingekommen sind. Auch sind ja dann nicht viele um einen herum, mit denen man das auf Augenhöhe  diskutieren könnte, ganz abgesehen davon, dass man wahrscheinlich an diesem Punkt gar nicht mehr viel diskutieren möchte.  Das rührt  auch verdächtig an den geheimen Unsterblichkeitswunsch, der in manchen Kulturen stärker im Unbewussten lagert als in anderen. Das Hundertjahredasein kommt auf die Menschheit zu, kein Zweifel. Da fällt mir ein ganz schrecklicher Satz ein, er muss aus dem Biblischen kommen, so gewaltig, mit einem Tintentropfen von Wahrheit drin, der vom Licht noch nicht getroffen ist: „Sie werden sterben wollen, und sie werden es nicht können.“ Das kann ich mir gut vorstellen, wenn der Wunsch nach langem Leben mit den technischen Konsequenzen gepaart sein wird. Wer könnte schon widerstehen, wenn nach dem berüchtigten Lifecrisis-Schema nochmal so viel Lebensraum hinterherkommt und die Frage sich nähert, wie dieser verbleibende Raum zu gestalten ist. In Indien habe ich mal während einer 10-tägigen Kamelwagen-Reise extra einen Mann besucht, der mir jahrelang vorher schon als 127 -Jähriger verklickert wurde. Da lag tatsächlich in einer Tempelanlage ein gekrümmtes Häufchen Mensch herum, dessen sterbliche Hülle immer noch dafür diente, dass ein paar Andere von den Besuchen und Spenden leben konnten. Wie alt er wirklich war, steht in den Sternen. In Indien habe ich lange niemanden getroffen, der wusste, wie alt er oder sie war, denn es gab vor allem indische Horoskope, die nicht an solche Daten gebunden waren. Selbst eine gebildete Frau wie meine Freundin Lali, die nach dem Schulabschluss Lehrerin wurde, weiß nicht, wann sie geboren ist. Vielleicht wird bei Söhnen genauer notiert. Dann gibt es Frauen, die schon mit vierzig Großmutter werden und besorgt die weißen Strähnen verdunkeln und mir mitteilen, dass das Leben jetzt vorbei ist. Was machen sie, wenn sie hundert werden? Millionen von älteren Frauen sitzen genauso erschöpft und tödlich gelangweilt in Ashrams herum wie hier in Altersheimen, wo die Wurzeln von Demenz auch noch nicht nachvollziehbar geklärt sind. Klar, wer möchte nicht lieber Albus Dumbledore sein als jemand, der fürchten muss, dass ihm oder ihr ab einem bestimmten Alter ein Rollator vorgeschlagen wird, weil es so praktisch ist. Irgendwo ist die Einstellung, dass ein einigermaßen würdiges Alter nur durch ein einigermaßen würdig bzw. lebendig gelebtes (reflektiertes?) Leben erreicht werden kann, verloren gegangen. Es soll ja nicht alles Bewusstsein auf den unvermeidlichen Tod hin zugespielt werden, aber dass doch die Wichtigkeit der Nähe zur Todesschwelle in uns lebendig bleibt, damit wir wachsam erleben können, wie das dann an gegebenem Zeitpunkt so ist für uns ganz persönlich, vom Leben in den Tod zu gehen.

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