erinnern

Als ich über das Lied im gestrigen Beitrag den Namen „Grace Jones“ mal wieder hörte, kam eine Erinnerung zu mir, die schon eine ganze Weile zurückliegt. Ich landete „damals“, nach Jahren aus der indischen Wüste emportauchend, direkt in der Notwendigkeit deutscher  Lebensfinanzierung. Das einigermaßen Vorstellbare fand sich in einem Verlag, den ein Paar leitete. Er war ein intelligenter, blasser Bücher-und Wissenswurm, sie eine wesentlich jüngere, frische und aufgeweckte junge Frau, mit der ich oft in den Pausen Gespräche führte. In einem dieser Gespräche erzählte sie mir in keineswegs verstörtem Ton, dass sie ihn im sexuellen Kontakt immer peitschen musste. Ich kann mich nicht erinnern, wie mein Geist, beschäftigt mit meiner persönlichen Neu(er)findung in deutschen Gefilden, das aufnahm. Etwas später schickte mich eben dieser damalige Chef mit einem Kuvert in die naheliegende Stadt zu einem weiteren Angestellten, da ich nach der Arbeit in dieselbe Richtung fuhr. In die Wohnung dieses Mannes eintretend, fiel mir die extreme Leergefegtheit der Räume zuerst auf. Kein Schnipsel nirgendwo. Wohnte er hier wirklich? Dann erst fiel mein Blick auf die Wände. Sie waren mit riesengroßen Glanzfotos, alle von Grace Jones, bedeckt und lagen dort in keineswegs billigen Rahmen unter Glas. Staunend fragte ich nach. Ja, diese Bilder bedeuteten ihm viel, und auch hier war es nicht in Form eines sich stockend enthüllenden Beichtgeheimnisses, als ich vernahm, dass er einmal die Woche in ein bestimmtes Bordell ging, um sich dort von einer von ihm hoch geschätzten Domina in die höchstmöglichste Nähe des Ertrinkens bringen zu lassen, damit das gewünschte Ergebnis in Todesnähe stattfinden konnte. Die „Regierung“, sagte er, wertschätzt diese Frauen, da sie wissen, dass dort potentielles Unheil, wenn auch auf seltsame Weisen, vielleicht nicht ganz verhindert, aber doch vielleicht gemildert wird. Ob die beiden wohl voneinander wussten? Nutzlose Frage, denn was heißt schon wissen? Was hätten sie denn voneinander wissen können, was miteinander austauschen? Die Sucht nach als normal geltendem Auftritt in der Gesellschaft ist ja sehr vorherrschend, die Definition von „normal“ schwankt wie eh und je in Absurdistan herum. Wer erschafft die Norm? Wie, du hast kein Tattoo!!!??? Man darf also nicht rauchen  bei euch im Haus, sagte meine Mutter einmal mit gedehnter Stimme, in der das Bedauern lag, dass aus mir so ein kleiner Spießer geworden war. Das geht schnell. Das Ringen um Verstehen ist nicht nur mühselige Arbeit, sondern es warten weder Thron noch Krone, da es nicht um Erfolge geht, sondern um ein Ringen um das schwer Fassbare. Da haben es die Religionen der Welt einfacher. Sie wissen, wo´s langgeht und wer, wenn das Spiel vorbei ist, rechts und links vom heiligen Vater sitzen wird. Dort ist natürlich auch ein Gedränge und wahrscheinlich geht der Kampf weiter, oder der Herr persönlich schlägt die „Reise nach Jerusalem“ vor, damit jeder mal drankommt und versteht, dass genug Nebenthrone für alle da sind. Woher Menschen kommen und und wohin sie damit gehen, um in den paar vorüberziehenden Jährchen d a s zu tun und zu bewirken, was ihnen unerlässlich erscheint, wer kann das wissen und wer kann es verstehen. Ich höre aus einem Raum fachlicher Kompetenz, dass die Schulung und die Expertise vor allem darin bestehen, einen Raum zu ermöglichen, wo Schmerz und Leid und vor allem die verborgenen inneren Vorgänge, die oft den erwünschten Lebensraum zunichte machen, sein können, damit sichtbar wird und zu einem gewissen Grad verständlich, wie gravierend doch das Verborgene in den nüchternen Tag hineinwirkt, und wie zeitaufwendig es werden kann, die eigenen Gewölbe und Labyrinthe und Gärten in den Blick bzw. den Augenschein zu nehmen.

Das Bild zeigt das Tor in einem Garten in Lissabon. Dahinter war ein schöner Sitzplatz mit chinesisch gestaltetem Holzrahmen, auf dem mit Filzstift eine Botschaft (in Französisch) stand, und zwar „Madame Katastrophe, sie ist da, sie wartet auf dich im Sand des Kindergartens. Sie empört sich, sie verlässt dich, sie zwingt dich dem Tod entgegen, sie wirft dich über Bord.“
Oft so nah beieinander, das leuchtende Tor und die bedrohliche Botschaft.


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