anrichten

Im Gespräch mit einer Afrikanerin aus Nigeria reden wir über die endlosen Gräuel in ihrem Land und die Erleichterung und den Schutz, den sie hier in Deutschland erfährt. Wir haben ja hier noch vor ein paar Jahren auch ganz schön was angerichtet, sage ich. Sie ist entrüstet. Wie, du! Du hast doch nichts angerichtet, sagt sie. Das waren deine Eltern und Großeltern vielleicht, aber nicht du. Ganz abgesehen davon, dass ich mich nie wirklich wie jemand fühle, der nichts angerichtet hat, so ist mir dieser Gedankengang natürlich auch vertraut. Es ist jetzt eine Weile her, dass bei „uns“ Krieg war,  und neu und unbelastetere Generationen ziehen durchs Land, dh. unbelastet von diesem einen Krieg, den Deutschland noch am Verdauen ist. Wir wissen ja, dass es schon immer Kriege gab und weiterhin gibt, sodass es naiv ist zu denken, irgendeine extreme Form der Finsternis könnte die Großmogule der Welt von ihren Psychosen befreien, für die Mord nicht nur der unbewusste Verzicht auf Liebe bedeutet, sondern lediglich die blindwütige Erringung einer Macht, die nichts als Vernichtung zurücklässt. Wie gesagt, aus der Asche kann wieder aufgebaut werden, aber selten genug wird es ein Phoenix, solange in der Asche noch das Unverdaute brodelt, oder der gedankliche Märchenwunsch, aus dem Erkennen der eigenen Taten möge reifere Frucht entstehen. Auch mit zeitlicher Messung können einem 70 Jahre entweder sehr lang oder sehr kurz vorkommen. Auf jeden Fall kann man so einen Durchgang nur einmal erleben. Die 70 oder mehr Jahre, die Syrien und alle weiteren Länder, die sich gerade im Krieg befinden, brauchen werden, um wieder zu relativ „normalen“ Verhältnissen zurückzukehren, wer wird sie mitempfinden können, und wie wird die neue Ordnung aussehen? Und ja!, ich vertrete auch die mir überzeugend scheinende Einsicht, dass die persönliche Ohnmacht dem sich abspulenden globalen Irrsinn gegenüber sich nur ausgleichen kann mit einer erhöhten Aufmerksamkeit auf das eigene Wirken und Anrichten, denn aus Erfahrung weiß man doch inzwischen, dass da, wo sich wirklich was ändern konnte, auch was erkannt worden ist. Es geht ja nicht darum, sich eine Welt vorzugaukeln, wo Lämmlein und Löwlein friedlich zusammensitzen, sondern um die Klarheit, mit der Menschen sich irgendwo orten, bevor sie eingeordnet werden von Anderen. Das Ausmaß des Schreckens, dem Deutsche gegenüber standen, als der Albtraum des höheren Menschseins  endlich vorbei war, hatte schon Wirkung, das lässt sich nicht leugnen. Aber hängt weitere Entwicklung der Individuen aller Himmelsrichtungen nicht vor allem davon ab, wieweit die überall lauernde Gefahr eines autoritären Soges den Einzelnen bewusst wird und dadurch zu eigenem Denken führt und zu eigener Verantwortung? Das ist ein Hoffnungsstrahl, den ich mir noch gönne, nämlich, dass diese voneinander unabhängige Gruppe sich leise und unentwegt erweitern möge, bis sie der anderen Kraft gleichermaßen kraftvoll gegenübersteht: die Teilnehmer eines Wachwerdens Einzelner aus dem Griff einer Kollektiv-Ohnmacht. In diesem Sinne erkläre ich alle verbleibenden patriarchalischen Befürwortungen und Zuspielungen  in mir und außerhalb von mir für beendet.

 

Es fasziniert mich immer mal wieder, wie Worte zwei so gegensätzliche Bedeutungen in sich bergen können. Im Falle von „anrichten“ kann man z.B. für beide vollkommen unterschiedlichen Begriffe dasselbe bedeutungsvolle Ausrufezeichen setzen: Es ist angerichtet!


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