verhalten

Unterwegs hörte ich gestern die Nachricht, dass in Deutschland wieder mehr Kinder geboren werden. Das zählt ja sicherlich zu den guten Nachrichten, deren Mangel immer wieder beklagt wird. Was heißt das, mehr Kinder!? Ich war auf dem Weg zu einer befreundeten Familie aus Afghanistan, deren Fluchtgeschichte uns vertraut ist, aber da die afghanischen Familienclans ziemlich groß sind, dauert es eine Zeit, bis man weitere Zusammenhänge mitbekommt. So habe ich zum ersten Mal von Asib, dem Ehemann, gehört, dass er eines von 11 Kindern ist. Er hatte einen Bruder, der mit 16 Jahren von Talibankämpfern auf der Straße angehalten wurde und befragt, warum er englische Bücher bei sich habe, die seien doch von den Ungläubigen. Daraufhin haben sie ihn erschossen und dann tot vor die Haustüre gelegt. Asib hatte nur noch e i n Bild von ihm auf seinem Smartphone, ein hochgeschossenes Kind. Ich sage jetzt nicht, warum mehr Kinder haben, die können doch erschossen werden, aber man staunt  immer mal wieder darüber, dass all diese Menschen, über die wir uns gern beklagen und die in der Überzahl scheinen, vor kurzem noch Kinder waren. Das Staunen kann man auch auf Friedenszeiten ausdehnen, die wir gerade genießen dürfen und uns umschauen können, was so alles in dieser paradiesischen Fülle aus uns geworden ist, und was wir den kommenden Erwachsenen anbieten. Ich habe mal kurzzeitig notiert, was einem etwa in Statistiken verklickert wird, da sie meistens aus größeren Menschenmengen geprüfter Tatsachen hervorgehen wie z.B. dass allein in NRW 10.000 Menschen an Aids erkrankt sind, oder dass sich alle 40 Sekunden in der Welt jemand umbringt u.s.w, sodass man froh ist, dass Lebende übrigbleiben, und nicht wenige, auch wenn von kerngesundem Menschentum kaum die Rede ist. Was ist schon kerngesund? Kleine Kinder sind oft kerngesund, da schaut dann jeder gern hin und freut sich auch darüber, wenn diese Kinder genügend Raum haben und liebevolle Aufmerksamkeit, um zu werden, wer sie sind. Als ich die kleine Asna (1 1/2 Jahre) gestern mit dem Smartphone ihrer Mutter ziemlich kompetent umgehen sah, fiel mir der Ausdruck  eines Philosophen ein, den ich neulich gehört hatte und der vor „digitaler Demenz“ gewarnt hatte, da das ewige Fingern auf der Tastatur einiges im menschlichen System aussterben lässt. Das klingt schon wieder, als würde ich vor dem Kinderkriegen warnen, aber das würde mir nicht in den Sinn kommen. Was mir aber in den Sinn kommt ist die Frage, ob wir selbst schon bewusst genug mit unserem Verhalten umgehen, sodass wir das Menschsein nicht nur leben, wie es zu kommen scheint, sondern die notwendige Mühe im Umgang mit Anderen einsetzen und erkennen, wie wahrlich schwer es ist, ohne Verlagerung auf Gott und die Welt und ohne Erwartungshaltung an alle Menschen außer uns selbst zu suchen und zu finden, wie das geht, ein sogenannter „guter“ Mensch zu sein, dem man gerne Kinder anvertraut. D.h, m.E. wenigstens zu sehen, was ich anrichte und wie vernichtend die Wirkung meines eigenen Verhaltens sein kann, wenn ich mich nicht in das Blickfeld nehme als jemanden, der durchaus darüber nachdenken muss. Neulich hat mir eine Mutter erzählt, wie erschüttert sie war, als ihre kleine Tochter sie wutverzerrt angestarrt und geschrien hat „ich hasse dich“. Ja, Kinder sagen so was, aber ernst nehmen darf man es trotzdem. Vielleicht ist Liebe wirklich der Verzicht auf unangemessenes und vernichtendes Verhalten. Es sind die Kinder, die uns mit ihren wachen Beobachtungen begegnen, überall auf der Welt. Von wem sollen sie lernen, wenn auch wir noch von Anderen ein menschliches Verhalten erwarten, zu dem wir selbst oft  nicht fähig sind?


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