azurn

Ich hatte den Vogel schon gepinselt, als ich ‚zufällig‘ ein Gedicht von Jaques Prévert in die Hände bzw. unter die Augen bekam, das beschreibt, wie „man“ einen Vogel malt. Das Gedicht wird morgen hier erscheinen, sein Anspruch hat sicherlich auch Prévert etwas nervös gemacht. Auf meinen Bildern erscheinen öfters Vögel, die ich keineswegs naturgetreu erfassen möchte oder könnte, aber meistens denke ich dann an einen Adler. Irgendwie war ich sehr früh mit dem Adler von Zarathustra in Berührung gekommen, und in meinem täglich beschrifteten Tagebuch fanden sich neben kindlichsten Formulieren die Sätze aus diesem Werk von Nietzsche, das mich damals vor allem in Bildern und Begriffen ansprach, in denen ich mich zuhause fühlen konnte, dazu gehörten sein Adler und der Begriff „azurne Einsamkeit“, eine gegenseitige Beflügelung, die als Gefühl in mir ans Ekstatische grenzen konnte. Später hatte ich dann die Gelegenheit, in Kathmandu, wo ich neun Jahre verbracht habe, auf dem Bazaar spontan einen Adler zu kaufen, hauptsächlich, um ihn aus den Krallen des Verkäufers zu befreien. Ich nannte ihn Zarathustra, und sogar die buddhistischen Mönche lernten seinen Namen aussprechen, denn als er sich eines Tages zu meinem großen Leidwesen in die Lüfte hob, berichteten uns die Mönche, dass er manchmal auf der goldenen Kuppe ihres Tempels saß, das gefiel ihnen auch. Es ist mir bis heute ein Rätsel gebliebenl, dass man mit Tieren, auch ohne, dass man sich selbst als speziellen Tierfreund betrachtet, so eine tiefe Zärtlichkeit empfinden kann, um nicht zu sagen eine massive Anhänglichkeit, ja an was? Vielleicht einerseits diese unschuldige Souveränität der Tiere, ihre Freiheit, nur sich selbst sein zu können, wobei sie gar keine Wahl haben. Und vielleicht diese Zartheit bei all dieser Kraft, die sie haben, und bei einem selbst die Momente des Schmerzes, der sein kann wie ein Messer, dass man bei aller Liebe sie doch nur begrenzt verstehen kann, wobei die Akzeptanz dieser Tatsache befreiend wirkt, ja, auch hier: keine Wahl. Wir Menschen bewegen uns stets im Bereich geistiger Mutation. Morgens kann ich Adler sein, wenn ich das Glück habe, meine Augen an der zur Zeit existierenden azurnen Bläue weiden lassen zu können, bevor ich beim Frühstück auf die Anderen treffe, die auch gerade aus ihren Gehäusen treten und wie ich leise und aufmerksam vor sich hin morphen. Eigentlich lehne ich den Vergleich mit Tieren ab, weil ich ihn respektlos den Tieren gegenüber finde, aber ja, mir rutscht das auch noch ab und zu heraus, die Kuh oder die Schlange oder der Ochs, what to do. Die Jaguarfahrer schaue ich mir auch immer genau an, halb in der Erwartung, mal einen am Steuer zu sehen, der des Tieres würdig ist, andrerseits mit meiner eigenen dumpfen Bewunderungsecke für Wagen und Tier. In der von uns abonnierten „Zeit“ gibt es eine Seite, die mich regelmäßig in Empörung versetzt, wobei sie noch nicht dazu  gereicht hat, endlich mal diese Notiz an die Redaktion zu verfassen mit der Bitte, gelegentlich tief darüber nachzudenken, wie weit man als Mensch gehen sollte, die Gesichter der Tiere mit unserern eigenen Zuständen in Verbindung zu bringen. „Du siehst aus, wie ich mich fühle“, heißt dieser unselige Beitrag. Wenn etwas unbedingt lustig sein will, klappt es meist nicht, das hat jeder mal erproben dürfen. Aber zurück zum Adler, beziehungsweise einem Vogel mit weiten Schwingen, bei dem einem das Herz aufgeht vor Schreck und Freude gleichzeitig, wenn er vom Ast ablässt und sich in den Raum erhebt, zu dem wir keinen Zugang haben, zumindest nicht auf diese Weise. Nun gibt es auch die Geier, die aus beeindruckender Höhe ihre Beute erkennen können und auf sie herabstoßen und sich hauptsächlich von Aas ernähren. Neulich habe ich unterwegs im Radio von einem indischen Mann gehört, der sich um ihr bedrohtes Aussterben kümmert. Auch die Pelikane, die in Indien auf einmal auf dem See landeten und mich wochenlng in Atem hielten, haben diese Flügelspannweite. Aber ihr Körper ist so schwer, dass sie einen langen Anlauf auf der Oberfläche des Wassers brauchen, bis sie sich,  die Schwerkraft überwindenund, in die Lüfte erheben können. Der Adler ist der Vogel, der es einem leichter  macht, sich Beflügelung vorzustellen und Aufbruch und Weite und Höhe. Aber auch hier (in Deutschland) ist mit dem Tier ein Makel verbunden durch die Symbolik des Menschen, die macht auch an Nietzsche und seinem Zarathustra nicht halt und entspricht in letzter Konsequenz dem Zusammenbruch seines Meisters auf dem Pfad der Umnachtung. Aber gut, auch das, was sich festsetzt, kann gelockert, der Adler von der Belastung menschlicher Ritualistik entlassen werden, und mal schauen, so wie damals in Kathmandu, ob die gestutzten Flügel für immer geschädigt, oder aber noch wachstumsfähig sind und zu neuem Flug bereit, die wohltuende Wärme des weiten Raumes erspürend.

Leave a Reply

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert