einheimisch

Es kann genau so schwer sein, sich wieder von etwas zu entfernen, was einmal ganz nahe war, wie sich von etwas zu entfernen, was nie nahe war, aber aus unterschiedlichen Gründen nicht verlassen werden konnte. So bin ich auf viele verschiedene Weisen dieser indischen Kultur zutiefst verbunden und kann sagen, dass ich dem Gefühl dieser Erde, und was auf ihr gediehen ist, so nahe kam, wie es eine Fremde vermag. Wie gesagt, es lag nicht nur an mir, dass ich mir einen Weg durch diesen kultivierten Dschungel bahnen konnte, sondern sie haben mich zugelassen. Nicht, weil sie Fremden gegenüber grundsätzlich so freundlich und offen waren (das auch), aber in meinem Fall und bei meiner Ankunft hier an der Pilgerstätte, da passten einfach ein paar Dinge gut zusammen. Mein damaliger Lebenspartner und ich hatten uns freundlich und wohlgesonnen getrennt, und ich fühlte mich beflügelt am Beginn der neuen Strecke, die mich endlich von jahrelangem Aufenthalt in Nepal nach Indien bringen würde. Es war nicht beabsichtigt, unser gemeinsames Haus in Kathmandu aufzugeben, aber so kam’s, heißt: ich kam nie mehr zurück und hatte das Glück, dass dort eine Freundin wohnte, die das Haus gerne übernahm. Denn dieser Ort hier am Rande der Wüste, der war für mich, das war allen bald klar. Meine Beflügelung zeigte sich als etwas , was an diesen Platz gebunden sein konnte, ohne den Flügelschlag einschränken zu müssen. Ich fand auch die hinduistischen Ordnungen, auf ein episches Chaos gesenkt, nachvollziehbar. In der Mitte davon zu leben, jahrelang ohne Pass und Visa, und nur zu fühlen, wie mein Abenteuer an Kräften zunahm, an Unvorstellbarkeit, an Direktheit, an innerem Leuchten, das alles verdanke ich ihnen, wer auch immer sie gewesen sind und immer noch sind, oder wahrscheinlich gar nicht mehr sind, weil sie nie so waren wie da, als ich ankam. Ich brachte ihnen etwas mit, an was sie ihre Furcht messen konnten, und von ihnen habe ich auch meinen Namen, der für mich mit Liebe verbunden ist. Eine Tarnkappe der Liebe, ein offizielles Kostüm, eine tiefe Verborgenheit, ein Wissen um die Dunkelheiten des Menschseins. Und zu erfahren, dass das Belichtete so viel anspruchsvoller ist, genau, es spricht einen ständig an und lässt einen nicht los, so gerne ich es manchmal täte, zum Beispiel das Loslassen von dem, was mir einst so heilig war. Mir war es heilig, kein Zweifel, sonst hätte ich den weiten Weg durch die Wüste nicht geschafft. Fällt das Heilige dann eines Tages weg, ich weiß gar nicht, wann genau das war, als meine vertrauten Götter entschwanden, oder ich selbst ihnen entschwand. Jetzt bin ich eine Vertraute, die auch eine Fremde ist. Seit ich selbst meine Fremdheit wieder an mich genommen habe, kommt es mir vor, als bin ich für die Anderen auf ganz natürliche Weise die Einheimische geworden. Gestern sagte jemand im Vorübergehen zu mir: „Ah, wieder zuhause, Kalima?“ Ja, warum nicht, wieder zuhause, auch wenn es sich vor allem im Inneren  abspielt.

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