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Erst wollte ich das dunkle Profil nach links rücken, und das helle in die Zukunft blicken lassen. Aber so erscheint es mir angemessener, und ohne, dass es beabsichtigt war, stimmt dieses Auge in Auge auch besser mit meiner eigenen Befindlichkeit überein. Es ist ein seltsames Phänomen, wenn man einerseits froh ist, sehen, ertragen und mittragen zu können, wie es (um einen herum) so ist, aber andrerseits sich dennoch auch eine Trauer beginnt auszudehnen, des großen Verlustes wegen, der manche Veränderungen begleitet. Ich denke und habe es auch viele Jahre so erlebt, dass es der indische Mensch, auch durchschnittlich gesehen,  über seine Tradition zu einer ziemlich ausgereiften Menschlichkeit gebracht hat, oder muss ich schon ‚hatte‘ sagen. Ich fand immer erstaunlich, dass alle Hindus ihre für uns unvorstellbaren Pflichtprogramme so geliebt haben. Das Schwierige, aber Hoffnungsvolle daran hat sie durchgebracht durch die ebenso unvorstellbaren Tragödien, die ich allein in meiner Zeit miterleben konnte. Der ‚karmische Fluch‘, wie er auch schon genannt wurde, hält zwar den Weg nach vorne frei, wo man immer in anderen Leben noch herumwandern und verbessern kann. Aber in dieser Zeit nimmt das Prinzip des Karmas geradezu ‚mystische‘ Züge an. 35 Jahre lang hat es hier vor Ort nicht mehr monsoonartig geregnet, immer woanders war guter Monsoon, nie hier. Der entstehende Wassermangel drückte schwer auf das heilige Kollektivkarma, schließlich hat hier der Schöpfer höchstpersönlich sein Opferfeuer (Yagya) zelebriert, bei dem seine Ehefrau, Savitri, sich wutentbrannt entfernt hat, weil er, der Schöpfer, eine junge Kuhhirtin an seine Seite geholt hatte, um den präzisen Ablauf  des Rituals nicht zu stören. (Savitri war von einem Narren aufgehalten worden). Sie verfluchte auch damals alle Brahmanen, was sie in der Geschichte verständlicherweise immer weglassen, weil die Pilger ja auch gar nichts hören wollten von so einem Götterfluch. Nun könnte man wegen des reichhaltigen Regens ja kollektiv aufatmen und dankbar murmeln, dass das Feld ja nun entflucht sei, aber wehe! (rief Kassandra), ihr habt überall so viel Dreck und Plastik weggeworfen, sodass der See, erzählte mir Lali, vollgeschwemmt wurde mit Abfall und aussah wie eine Müllhalde. Man musste AbfallfischerInnen einstellen. Wenn die Not zu offensichtlich wird, reicht es bis zur Scheinherstellung, zum Fast-wie-vorher, zum Beinahe-wie. Ich wusste schon vor vielen Jahren, dass ich das Glück hatte, noch auf einem letzten Faden in ein bestimmtes geistiges Gut eingefädelt worden zu sein, beziehungsweise haben sie mich mitfädeln lassen, nachdem klar wurde, dass meine Neugier auf ihre Kultur fast unersättlich war. Die Götter und die Göttinnen fand ich schön und voller Erotik und Lebensfreude, und wenn man sich ein bisschen auskannte und sich ein gewisses Knowhow angeeignet hatte, konnte man seiner eigenen Spur nachgehen und Herrin am eigenen Feuer werden, ja, klingt doch wesentlich fremder als ‚Herr im Haus‘, isn’t? Diese Zeiten sind also jetzt vorbei, das war ja prä Television, gerade war elektrisches Licht eingeführt worden, Jaiho!, Schalter, Gott ist Licht, und es war natürlich vor der digitalen Revolution, und Prä Trump. Manchmal verschwindet unendlich viel, ohne, dass es weiter auffällt. Dann gibt es auch die andere Seite, zum Beispiel wenn es einem verhältnismäßig gut geht, nicht zuletzt, weil man viel von diesen Menschen und ihrer Kultur gelernt hat, und man hat keinerlei Absicht, unnötig im Ich zu versinken. Daher ist man gespannt, was einem noch alles an Förderlichem einfällt inmitten des sich formierenden Tages.

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