Gäste

 

Es hat mehrmals kübelweise gegossen, und Nebelschwaden zogen hin und her, da habe ich öfters mal das Fenster geschlossen. Dann ab und zu wieder aufgemacht und schon auch gestaunt, dass drunten im Wasserbecken die Rituale ungetrübt weitergingen, zum Beispiel das in voller Kleidung (Frauen!) vollzogene, ganzkörperliche Eintauchen ins Nass, klar macht da ein Regenguss keinen so großen Unterschied. Ein Priester, unter Dach (und Fach), hatte einige Pilgerinnen bis zur Taille in Reih und Glied vor sich im Wasser stehen, so lange, bis ich das Gefühl hatte, Zeugin eines perversen Vorgangs zu sein. Wer soll und will das alles beurteilen können? Faszinierend ist doch hauptsächlich die Tatsache, dass Gott und Götter so eine unglaubliche Macht haben, dass, würden sie endgültig entfallen, vermutlich ein zuvor ungeahntes Chaos ausbrechen würde, die Menschen noch gefährlicher werden würden wie Raubtiere, ja?, echt?, man weiß es ja nicht. Was man weiß ist, dass Menschen andere Menschen ohne Gottbezug sehr viel schwerer dazu bewegen könnten, in riesigen Gruppen in trüben Gewässern glücklich lachend herumzupanschen und unentwegt Lieder zu singen, die sie aus den Dörfern mitbringen, wo das Leben der Frau noch ganz und gar auf das Wohlergehen der Männer und Tiere ausgerichtet ist, und wo man Gefahr läuft, von Familienhand mit der Axt getötet zu werden, wenn man den Falschen  liebt. Nur die Götter können die Frau auf Reisen bringen und hinein in das Wasserbecken, wo sie (außer an den Menstruationstagen) ausnahmsweise nicht kochen muss, das allein ist ja schon das Heilige wert. Absolut bewundernswert ist aber auch, wie sie in den riesigen Massen miteinander umgehen. Es läuft ja gerade das Kamelfest an, und es sind immer Hunderttausende, die auf das Gebiet einströmen. Überall ist freies Lagern, seit Neuestem auch Polizisten an jeder Ecke, schlapp und müde auf ihre Smartphones starrend, damit sie beim Sitzen nicht einnicken. So kann man beobachten, wie der Strom der Menschheit sich vorwärtswälzt, bewegt von geheimem Antrieb, der den Namen Krishna erhält, oder Lakhsmi, oder Shiva. Wir Fremdlinge haben damals auch die Frage „Warum“ mitgebracht. Auch in der streng yogischen Praxis hat man uns geraten, das Wort abzulegen, was sich zwischen Ost und West als entscheidende Schwelle zeigte. Die Weiterfragenden trennten sich langsam aber sicher von den Mitschwimmenden. Auch da ging es viel um Position und Glsuben, der als Wissen vermittelt wurde. Nun weiß ich selbst nicht wirklich, ob es ohne vertikalen Antrieb wirklich gut geht, und vielleicht war d a s damit gemeint unter PoetInnen und PhilosophInnen, dass man um die Gottesfrage nicht herumkommt, das ist wohl wahr. Dann, wenn man sieht, dass die Frage bei unermüdlichem Weiterwandern sich selbst beantwortet und klärt, kann man tatsächlcih vielleicht den Garten eines Tages weit öffnen und alle einlassen, sind ja eh schon alle da, das Christkind, Jesus, Buddha, Allah und dieses wilde Gewusel von Hindu-Wesen. Und dann die Engel, wer wollte auf sie verzichten, weiß man bei ihnen doch wenigstens, wo sie herkommen und wo sie hingehen, und wann sie bei einem zu Gast sind.

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