Seit Tagen sitzt oder liegt eine Frau vor meiner Tür. Es ist ganz klar, dass sie keine Bettlerin ist, aber es ist auch nicht klar, was sie ist. Hinausgeworfen aus einem Haus, auf jeden Fall durch komplizierte Umwege auf diesen schwierigen Pfad gekommen. Zuerst habe ich sie frühmorgens am Rand des Wassers in den ersten, wärmenden Sonnenstrahlen sitzen sehen. Sie sprach mich mit makellosem Englisch an, allerdings auch mit „Hello, Darling“, was mich mundtot vorüberziehen ließ. Dann wieder vor meiner Tür, auch keine normale Eingangstür, sondern eine große, solide Holztür, vor ihr noch ein geschmackvolles Gitter gegen die allgegenwärtigen Tiere. Ich trete ein in eine geräumige Halle mit eingebauter Küche und allem Drum und Dran. Draußen die Frau. Eines Tages muss ich auf meinem Weg an ihr vorbeigehen und frage sie, ob sie denn keinen Wohnort hat. Sie hat nichts, sagt sie, kein Geld, kein Essen, nichts. Fühle ich mich unkomfortabel, weil ich alles zur Verfügung habe, was ich brauche, und da ist jemand, den das Schicksal, oder das „Karma“, wie sie es nennen, wirklich umgehauen hat. Und warum ist es mir so unangenehm, damit in Kontakt zu kommen. Als ich mir dann doch die Rede von A.Kram-Karrenbauer angehört habe, war ich an e i n e m Punkt irritiert, nämlich, als sie das große „C“ betonte, also die christlichen Werte des Ganzen, so als wüsste jeder in der Union, wie wichtig das für die Christen ist. Jesus, der durch die Gegend läuft und Gutes tut, Kranken hilft und Arme tröstet und was er nicht alles konnte. Offensichtlich kann ich das nicht, mit oder ohne Christentum. Ich dachte an Geld, aber das stimmte irgendwie nicht. Ich dachte an ein Angebot, oben bei mir eine Dusche zu nehmen, um mal wieder frisch zu sein, stimmte auch nicht. Die Story will ich auch nicht hören. Mitleiden will ich auch nicht. Am klarsten spüre ich, dass ich nicht helfen kann oder will. Gestern Abend habe ich in dem Raum, in dem ich schlafe, das Fenster geschlossen. Da saß sie direkt vor mir und las ein Blatt der indischen Tageszeitung, das sie wohl irgendwo aufgelesen hat. Sie hat mich nicht bemerkt und ich habe in Zeitlupe das Fenster geschlossen. Mitleid ist bedrückend, es ist mir unangenehm. Wie ist es möglich, dass ein Mensch sich in so eine Kälte manövriert, meine ich nun sie oder mich. Vielleicht fällt mir ja noch was ein, vielleicht ein freundliches Lächeln, ein Zulassen von der Dunkelheit menschlicher Not, ein Moment menschlicher Wärme, den ich mit ihr noch nicht erschaffen konnte. Denn es sollte letztendlich ja nicht abhängig sein von Sympathie oder Antipathie, auch nicht von unnützen Schuldgefühlen, auch nicht von der Tatsache, dass hier eine Frau eine sehr dunkle Zeit durchlebt. Und nachts unter meinem Fenster kauert, bis es stiller wird im Bazaar.