Da einerseits für einen persönlich so unendlich viel erlebbar ist, und andrerseits von dem Möglichen her gesehen wirklich so wenig, bleibt die Tatsache, dass das ganze Drama, all players included, aus Geschichten besteht, hochinteressant, und es ist ratsam, diesen Faktor nicht aus den Augen zu verlieren. Ob es einen Ort gibt außerhalb der Geschichten ist diesselbe Frage wie, ob es ein System außerhalb der Systeme gibt. Man muss in der Lage sein, vieles für möglich zu halten, bevor man entweder eines Besseren, oder auch eines Schlechteren belehrt wird, wobei es auch Raum geben kann für ein drittes Element, das dann eine ganz neue Ebene hervorruft, wo die Andockung an vergangenes Leid nicht mehr absolute Priorität haben muss. Das kann dauern, hängt aber letztendlich von der Bereitschaft ab, mich der Beschaffenheit meines Blickes zu widmen, da dieser Blick in direkter Konsequenz mein Dasein formt. Manchmal, wenn ich zu den Pinseln greife und zu den Farben, die zu meiner Mini-Ausstattung gehören, erlebe ich des öfteren zuerst einen unsichtbaren Kampf gegen das Auftauchen von Gesichtern. Es reicht schon die Andeutung eines Auges, um ein Gesicht bildlich herauszuholen, doch ich will gerade das nicht, sondern strebe eine abstrakte Form an, die in sich gut balanciert und vor allem so frei ist wie möglich von Figuren, die auf Geschichten hindeuten. Dann gibt es aber auch die Form, die auftaucht und mir den Atem raubt, und ich werde gezwungen, das, was mir so wesentlich scheint, loszulassen, um das von selbst Erschienene zuzulassen. Bin das dann ich, oder bin das dann nicht ich, who cares! Zumindest kann ich es sehen und Raum dafür lassen, und mich erfreuen an dem Überraschungseffekt. Doch egal, wie man es sehen möchte, der Vorgang bleibt mystisch, da nur erfahrbar, nicht klärbar. Da fällt mir doch tatsächlich eine Geschichte dazu ein: ein alter Freund von mir, der jetzt in New Zealand lebt, verbrachte einige Tage im indischen Städtle, und in einem unserer Gespräche erzählte er mir von seinem neuen Buch über die Natur mystischer Erfahrungen, das gerade verlegt wurde. Ich war nie eine Freundin betont mystischer Erfahrungen, traue jedoch dem Universum, wie oben bemerkt, einiges an Staunenswertem zu. Als es zur Klärung einiger Begriffe kam, sagte ich einmal in einem Kontext, eine letzte Sicherheit sei „not haveable“, also „nicht habbar“. Er wollte den Ausdruck noch am Anfang seines Buches eingefügt haben, aber der Verlag lehnte ab. Dann habe ich gestern noch eine unglaubliche Geschichte gehört, die mit Mystik wirklich nichts am Hut hat, aber dennoch ein Mysterium in sich birgt. In Amerika, so hieß es, würden täglich 5oo Millionen Plastik-Strohhalme verbraten, weil die Getränke nur noch durch diese Halme gesuckelt werden, was eine katastrophale Wirkung auf den eh schon nicht mehr bezähmbaren Plastik-Müll hat. Wer bedenkt schon, dass so ein kleiner Halm so viel anrichten kann, und dass es vor Kurzem noch eine Welt gab, wo es ganz einfach schien, direkt aus Gläsern und Tassen zu trinken.