Niemand kann einem verbieten oder vorschreiben, wie man sich selbst sieht, aber unbedingt muss immer wieder mal abgecheckt werden, inwiefern sich dieses Bild, diese Idee von sich, einfügen lässt in ein überschaubares Etwas, das mit dem Weltstrom korrespondiert. Als mir die indische Bevölkerung des Dorfes, in dem ich dann die Hälfte meines Lebens verbrachte, den Namen ‚Kalima‘ schenkte, war es nicht, weil ich mich in dem ziemlich brissanten Rollenspiel bewähren wollte, sondern es war einerseits eine sofortige Akzeptanz und Verbundenheit mit dem Namenstitel, aber dann doch ein langer Prozess, in dem sich bestimmte Kräfte entfalten konnten, die ohne den Namen und den dazugehörigen Rahmen nicht hätten herausgekitzelt werden können aus dem Fundus der Möglichkeiten, die einem als Mensch in die sogenannte Wiege gelegt werden. Auch ein geschenkter Name kann mit einem verschmelzen wie ein gut sitzendes Kleid. Es soll Aboriginis möglich gewesen sein, je nach Bewusstseinserweiterung ihre Namen selbst zu ändern, das hat mir eingeleuchtet. Zum Zeitpunkt meiner Namensänderung habe ich auch meinen ursprünglichen Namen nicht abgelehnt, aber der neue war eine viel größere Herausforderung, die nicht darin lag, sich dem Titel anzupassen, sondern weiterhin sich, also mich selbst zu sein. Und so konnte ich mir genau wegen dieses Namens eine weit größere Reichweite bewohnen, denn er beinhaltete unter anderem, die bestehenden Konventionen infrage zu stellen, wenn die Notwendigkeit dafür sich zeigte. Die meisten Inder lebten bis vor Kurzem in einer außerordentlich gut funktionierenden mystischen Welt, in der alles gleichzeitig spürbar verbunden war und vollkommen voneinander getrennt. Von dem Geheimnis des Lebendigen durchdrungene Gister hatten das Sein minutiös erforscht und der Bevölkerung zugängig gemacht, und es gab viele Ebenen des Verstehens davon, von der Praxis radikaler Abstraktion bis hinein in den Haustempel, wo sich die Götter in unzähligen Variationen tummelten. Und genau diese phantastische Ordnung, die das totale Chaos durchdringt, ist die Voraussetzung für ihre Fähigkeit, mit Technik umzugehen. Nun, wir befinden uns im letzten Atemzug der Religionen, auch wenn es auf den ersten Blick nicht so aussieht. Aber die albernen Rollenspiele sind viel zu transparent geworden, und niemand würde Kim Jong-un außerhalb der nordkoreanischen Gehirnwäsche einen Gott nennen. Oder Trump, der auf einer Rally das Ave Maria spielen ließ in der vollen Entfaltung des narzisstischen Rausches. Und nun flog eine Delegation hoher Politiker ins einst heilige Land Indien , um dort die klugen Köpfe nach Deutschland einzuladen, und wer weiß?, vielleicht entsteht wieder die indogermanische Route, diesmal mit umgekehrten Vorzeichen, die tiefgründiger nicht sein könnten.