Ich habe „Raju“, der immer morgens für ungefähr 3 Minuten zu meinem Platz kommt, schon 2x in Beiträgen erwähnt, einmal mit seinem Sarkasmus-Shirt, und dann, weil er drei Töchter hat und die Geburt eines 4. Kindes erwartet hat. Ich war 3 Tage nicht an meinem Platz, was selten vorkommt, aber lo! und behold!, wer kommt denn da gesprungen, schon von weitem rufend „wo warst du, wo warst du denn?“ Es ist Raju, doch so kenne ich den eher Verhaltenen gar nicht, nun ein strahlender Tänzer! Es folgt eine dramatische Pause vor meinen staunenden Augen, dann darf es endlich heraus: es ist ein Sohn! Er hat einen Sohn! Über Nacht ist er vollendet. Das Glück und die Erlösung toben nicht nur durch ihn, sondern durch sein Haus. Es ist vollbracht. Angst und Opfer haben sich gelohnt. Sofort geht der Virus auf mich über und ich jauchze mit, weniger wegen der Genderklärung, sondern weil ich mir die Morgenminuten mit einem geistigen Betonklotz ersparen kann, bzw. meine feurigen Reden über die extrem günstige Zeit für das weibliche Geschlecht, und was soll’s, würde ich überzeugt gesagt haben können, 4 Mädels ist doch super! Nein! Ist eben nicht super! Eine tiefe Depression hätte sich in alles eingeschlichen. Keiner, der einem beim Ableben auf dem Scheiterhaufen die Schädeldecke mit einem Stab öffnet, damit die Seele entfleuchen kann, und überhaupt: weiterleben ohne Sohn! Der Sohn, der alles abrundet, denn er ist es ja auch, der später mit der zukünftigen Braut im Haus bleiben, das Geschäft weiterführen und sich um alle und alles kümmern wird! Er macht das Kopfweh erträglich wegen der drei anderen Wesen, Mädchen genannt, die eben auch da sind, ohne den großen Unterschied zu machen. Die werden nach dem schwer mit Gold belasteten Ehe-Arrangement eh in andere Häuser ziehen, wo andere Schwiegereltern nervös auf den Sohn warten und keine Ruhe geben, bis er da ist. Ja hat er denn schon einen Namen, frage ich, der 3 Tage alte, kleine Kerl? Ja, hat er! Er heißt Ravi. Muss mit „R“ sein, erklärt mir Raju, vom (indischen) Horoskop her. R wie er auch. Ravi also, einer der Namen für die Sonne. Ein Priester kommt vorbei, der Raju auch beglückwünschen möchte, denn der Zirkel der Erleichterten ist weit. Er erklärt vor allem mir, dass „Ravi“ ein Name ist, der das Schicksal des Trägers von innen nach außen leuchten lässt. Raju kann eh‘ nur noch lächeln. Man sieht ja nicht jeden Tag jemanden vor sich stehen, der sein Glück kaum fassen kann! Es wird mir nun, fast nebenher, sonnenklar, warum sich Männer oft so erwünscht und willkommen geheißen fühlen, denn sie haben bereits bei der Geburt alle Erwartungen glänzend übertroffen. Jetzt gilt es nur, sie vollendet durchzupäppeln, damit sie unterwegs keinen Schaden erleiden.
Nun wieder allein mit den Nachwirkungen der Freudegeburt, fährt mein eigenes Gemüt auf stocknüchtern. Mein innerer Blick schweift kurz über die Heerscharen herbeigesehnter und willkommen geheißener Söhne. Eine tiefe Denkmüdigkeit setzt ein.
Gestern abend beim Hören der vielen Brahmanensohn-Stimmen nicht weit von meiner Tür entfernt, staune ich mal wieder, wie oft und locker sie das Wort „mata chod“ gebrauchen, „motherfucker“ also, auf Deutsch klingt’s nicht so flüssig: „Mutterficker“. Es soll ja das allerallerschlimmste der schlimmen Schimpfwörter sein, aber selbst respektierte Sadhus benutzen es ständig, so als wäre der Begriff unerlässlicher Genuss im Sprachgebrauch. Wohl denen also, die bei der Geburt weder unterschätzt noch überschätzt wurden und werden, und ein klares Verhältnis erschaffen können zur Nabelschnur.
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Das Photo von heute früh zeigt einen Shiva-Lingam und dahinter einen Sadhu-Sohn.
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