Da ist dieses Phänomen, dem man immer mal wieder begegnet und sich selbst erklärt: zum Beispiel, wenn mich auf einmal ein Thema beschäftigt, sagen wir mal „Labyrinthe“, und plötzlich fällt mir alles mögliche dazu ein, oder dass ich sogar ein Buch darüber habe, in dem ich mal vor Jahren geblättert habe. Und dann kann es unheimlich werden, denn auf einmal sehe ich auf einmal alles in Labyrinthen und erschaudre vor der Offensichtlichkeit der Wahrnehmung, dabei ist es meist nur eine vorübergehende Fixierung, die allerdings ihr Körnchen Wahrheit birgt. Alle sind innerhalb und außerhalb des Labyrinthes zugleich, und die Frage, ob es überhaupt einen Ort gibt außerhalb der Systeme, ist schwierig zu beantworten, wenn überhaupt. Es ist behauptet worden, dass es ihn gibt, eben so, wie einmal behauptet wurde, dass die Erde flach ist. Man kann ergiebig auf den theoretischen Feldern lustwandeln, aber selbst wenn es einen Menschen gäbe, der alle Systeme verlassen hat, wer würde das erkennen können außer einem weiteren, der alle Systeme gesprengt hat. Auch „Systeme sprengen“ heißt ja nicht unbedingt, dass man wissen kann, wo man sich nach einer Sprengung befindet. Auf jeden Fall nicht in einem systemlosen Raum, denn wo kann er nur sein. In letzter Konsequenz bin ich ja selbst das System, das gesprengt werden müsste, um zu erfahren, ob es überhaupt geht, und würde ich mir vorgaukeln, so einen Raum betreten zu haben, dann würde gerade das Bewusstsein darüber wieder auf eine Struktur hindeuten. Alle Identitäten, die ich mir über die Jahre angeeignet habe, um mich selbst zu verstehen, müssten sich also an diesem Tor freiwillig zurückziehen, denn man bräuchte sie ja nicht länger, um zu sein. Aus was aber bestünde dann das Sein an sich. Man könnte sich neu orientieren und anstatt das Sein zu bestimmen und bewusst zu gestalten, das Sein für sich selbst sprechen lassen. Doch wäre auch dann die Quelle immer noch das eigene Sein, und je mehr ich mich gedanklich und gefühlsmäßig da hineinbegebe, desto wahrscheinlicher kommt es mir vor, dass es möglich ist, es theoretisch zu verstehen, aber sehr schwer, es praktisch zu manifestieren. Sich selbst also nicht im Weg zu stehen, d.h. die Weite und Schönheit des Horizontes nicht durch meine Form zu begrenzen, damit alles als das erscheinen kann, was es wirklich ist, ohne dass ich (z.B.) durch meine Ängste begrenzt bin in der Wahrnehmung. Einmal, es war in Marokko während meiner Arbeit mit dem „Living Theatre“, wurden wir einmal von einer Gruppe von dort berühmten und gefürchteten Dervischen eingeladen, „Maschoon“ zu nehmen, ein Gemisch aus, so geht das Gerücht, 40 gefährlichen Substanzen, die wohl (bei ihnen) dazu führen konnten, dass sie sich die Körper in gewissen Ritualen aufschneiden und dann wieder heilen konnten, was wir natürlich nicht zu sehen bekommen haben. Von dem leckeren Gebräu habe ich etwas mehr genommen als geraten war und verlor den Zugang zu meiner Vernunft. Das sage ich heute so. Damals führte es dazu, dass nur noch zwei Dinge in meiner Welt existierten, als ich mich unbemerkt nachts aufmachte und tagelang auf marrokanischen Sraßen zum Glück Richtung Tanger lief, wo jemand mich entdeckte und mich in eine relative Sicherheit brachte. Ich hatte kurz davor „Dune “ gelesen von Frank Herbert und das dort vorkommende Mantra gegen Angst offensichtlich auswendig gelernt, denn es rotierte in meinem Kopf. Das war der einzige Text und in der minimalen Erinnerung, die ich noch davon habe, war ich vollkommen angstlos trotz einiger gefährlichen Momente. Dann, deswegen erinnere ich mich gerade daran, war da der Horizont, oder ein Horizont als einziges Bild in meinem Kopf. Die Worte und die helle, lichte Linie des unbegrenzten Horizontes. Dass ich von da aus zurückkehren konnte, fand ich selbst ein Wunder, obwohl ich gar kein Bewusstsein von Rückkehr hatte. Meine gewohnte „Realität“ war ver-rückt. So ungefähr könnte ich mir allerdings den systemlosen Raum vorstellen, hier bewusst und wach in einer verhältnismäßig einfach gestalteten Grundausstattung, auf die man sich verlassen kann, weil ja alles vorhanden ist, was man braucht, zumindest in den geistigen Lagerhallen und den Archiven. Man könnte sich dem lebendigen Sein ungestört überlassen. Doch die Frage nach den Systemen oder der Möglichkeit des Systemlosen muss also noch offen bleiben. Auf manche Fragen wird es unter gegebenen Umständen nie eine Antwort geben, vielleicht da, wo nur die Frage relevant ist.