Diese Zeichnung hat mir Ramesh heute früh bei meiner Runde geschenkt, ein junger Verkäufer von religiöser Paraphernalia, der in letzter Zeit einen hochbetrübten Eindruck macht. Die Zeichnung bringt es auf den Punkt, denn er ist im heiratsfähigen bzw. notwendigen Heiratsalter, wohnt mit seiner Mutter zur Miete in einem Raum mit Küche und hat natürlich keinen Platz „for my girl“, wie er sagte. Das ‚girl‘ muss ja noch gesucht und gefunden werden, aber das bedrückt ihn verständlicherweise zutiefst. Ob mein Humor mir denn helfen würde in all dem größeren und kleineren Leid, das sich bei mir zur Zeit stapelt, und ja, musste ich zugeben, es hilft schon, wenn es auch nur die vielen kurzen Momente sind, die auch wahrgenommen werden möchten, wie der winzige Affe, der gerade an meinem Fenster hochgeklettert ist und den ich in ein paar Minuten von den Pflanzen verscheuchen muss, die in meiner Obhut gedeihen. Man muss ja nicht krampfhaft nach erfreulichen Dingen Ausschau halten, denn es gibt sie immer und überall und zuhauf, man darf es nur nicht vegessen in der Mitte all dieses Elends, das sich auch zu häufen scheint. Wenn die Regeln und Ordnungen, die eine Gesellschaft gemeinsam erschaffen hat, einfach nicht mehr zeitgemäß sind, aber stur daran festgehalten wird, sodass Variablen und Alternativen gar nicht vorstellbar sind, nur verzweifeltes Festhalten an den Konstrukten, die alle nur einengen und verkümmern lassen, dann ist es Zeit….gut, Zeit, es zumindest mal zu merken und nicht (weiterhin) so zu tun, als wäre es immer noch die göttergeschöpfte ‚Parampara‘, Tradition. Eher das, für was sie allerdings auch schon einen sehr schönen Begriff geprägt haben, nämlich ‚duplicate Maya‘, bedeutend, dass das natürlich Illusionäre ersetzt wird durch das künstlich Illusionäre. Also zum Beispiel wenn jeder Einheimische weiß, dass das Wasser im ‚heiligen See‘ nicht mehr aus natürlicher Quelle kommt, sondern aus Pipelines zugeführt wird, das ist dann duplikate Illusion, ich hoffe ich mache mich verständlich, auch wenn ich selber lachen muss. Ich dachte von diesem indischen Gedankengut immer als etwas Geniales, das jede Phase des Lebens und der Zeiten bedacht hat, und man kann schon staunen, mit welch akrobatischer Leichtigkeit sie z.B. in die digitale Welt katapultiert sind, führend auch im Silicon Valley mit ihren vom Unvorstellbaren gedehnten Gehirnen, unendliche Lebensformen meisternd, an denen jeder Nicht-Hindu schnell zerbrechen würde. Auch habe ich eine Menge Heiraten zwischen Indern und westlichen Frauen mitbekommen und kenne nur eine, die nicht an den Unvereinbarkeiten gescheitert ist. Das erste, was von zwei zukünftigen Partnern bis heute gewünscht wird, ist ein Horoskop, das alle Familienmitglieder miteinbezieht. Der brahmanische Priester kalkuliert stundenlang durch, wie das ganze Ding laufen könnte unter den gegebenen Bedingungen. Dass da trotzdem einiges schwer schiefläuft, kann man dann beim Chaitrinken hören oder in der Tageszeitung nachlesen, wer wen in ein lebensverdunkelndes Schicksal befördert hat. Und da ich keinen Ausweg sehe in meiner Art, es wahrzunehmen, denke ich zuweilen an ihre Konzepte, die auch nachvollziehbar sind: dass das schwarze Zeitalter hereingebrochen ist, noch in seinen Anfängen, und die Seher und Weisen berichtet haben, dass sie sich nicht vorstellen können, dass Menschen in so einer Zeit überleben können. Aber was bleibt uns anderes übrig, als durch unsere gegebene Zeit zu wandern und zu schauen, was uns dazu einfällt.