arm?

In den Gesellschaften der Welt gibt es Einstellungen, die wirklich für niemanden hilfreich sind. Eine davon ist das Älter-und Altwerden. In Indien habe ich noch die letzte Spur eines Verstehens darüber erlebt, dass Alter durchaus als etwas gesehen werden kann und wird, was mit souveräner Gelassenheit die Brücke zu neuen Vorgängen auf der Erde bauen kann, wenn es denn gesellschaftlich auch so gesehen und ermutigt wird. Die Botschaft wurde durch alle Zeiten elegant zusammengefasst mit „einfach leben – hoch denken“, eine denkwürdige Aussage für so ziemlich alle Alter. Nun sind wir alle auch durch die Jugend gegangen und wissen, dass die Dinge ihre Zeit und ihre dazugehörigen Bedingungen haben. Nicht, dass ein lieber Gott uns das erklären muss, dass vieles Erleben einfach den dafür vorgesehenen natürlichen Gesetzmäßigkeiten folgt. Dann gibt es noch das indische Sprichwort „old is gold“, und wenn ich es höre, füge ich immer gerne hinzu: „aber nicht automatisch.“ Nichts wird automatisch zu Gold, und selbst Rumpelstilzchen brauchte noch was Lebendiges dazu, obwohl leider nie erklärt wurde, warum ihm das bei der Goldmacherei gefehlt hat, und was er mit dem Kind gemacht hätte. Aber gut. Auch in den Altersheimen, generös übers Land verstreut, kann man sich nicht vorstellen, dass Gold gesponnen wird, eher geisttötende Beruhigungsmittel verteilt, damit die überforderten Pflegekräfte dem noch vorhandenen Lebensimpuls einen Bann entgegensetzen können. Das ist ja nicht verwunderlich, dass Angst vor dem Alter eingeflößt wird mit ohoh!, die Altersarmut, und achach, die Demenz und Alzheimer, so als müsste sich schon jeder darauf vorbereiten, dass ihn oder sie das weniger Lebenswerte trifft, die Armut oder der Schlag. Und da eh so viele, wenn sie nicht mehr geachtet und beachtet werden, dem, wenn ich’s mal modern ausdrücken darf, „binge-glotzing“(uneingeschränktes Fernsehen) verfallen sind, wundert nicht, dass Jahre von Fremdschaltung im Alter nicht zu eigenem Denken, oder was man auch immer dann noch gerne tun würde, führt. Es gibt aber auch immer diejenigen, die man vom Volk aus gerne als Randfiguren oder Grenzgänger oder Tut-nicht-genuge bezeichnet hat, die aber ihr eigenes Leben erschaffen haben und ihre eigene Zeit. Denen geht es meist ganz gut, denn es gibt keinen Herrn, der sie bestimmt, auch wenn der Preis manchmal ganz schön hoch ist. Der letzte Teil des Lebens ist der Glanz, der irgendwann auf der Strecke zu leuchten beginnt. Es scheint nicht wirklich eine Grenze zu geben von den Ebenen, die sich weiterhin auftun können. Der Blick, genährt von den eigenen Archiven, in denen das Reflektierte aufbewahrt wird, lernt etwas, das vorher nicht möglich war: das gelassene Schweifen über das Gelebte und über das Seiende. Die Starrheiten von Meinungen und Projektionen lösen sich auf. Da steckt oft noch sehr viel Arbeit drin, aber es ist spannend. Neue Zusammenhänge werden sichtbar. Man selbst ist wie eine locker angelegte, bewegliche Sphäre, ähnlich den Gestirnen, und obwohl man in den vorhandenen Konstellationen nur den eigenen Standort hat, ist er doch einzigartig und muss und kann nur von sich selbst erfasst werden. Warum sollte das auf einmal aufhören? Gut, das muss noch gelebt werden, wie man es denkt. Aber wenn man es nicht denkt, kann es auch nicht gelebt werden. Und was „l’amour“ (z.B. bei Haneke) für jeden war und ist und sein wird, bleibt das zu lösende Rätsel, in dem man zusammen mit Anderen gewohnt hat, und auch allein damit war und ist.

Bild: Stein auf kinetischem Sand


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