Selbst wenn man morgens zwecks Schnellinformation die neu hereingekommenen Zeilen überfliegt, kann einem schwindelig werden, und es kann niemanden wundern, dass geistige Überforderung eine zunehmend beunruhigende Krankheit werden wird, beziehungsweise bereits ist. Neulich habe ich in einer Gesprächsrunde Harald Welzer darauf hinweisen hören, dass neben den undendlich komplexen Themen, die seit der digitalen Revolution auf uns zuströmen, die meisten Menschen außerdem ja noch immer ihre ganz persönlichen Alltagsaufgaben zu bewältigen haben, was dazu führt, dass jede/r zwar das Gefühl hat, einigermaßen mithalten und mitreden zu können, aber herzlich wenig Zeit bleibt für die Überprüfung, ob das, was ich zu wissen glaube, sich auch tatsächlich umsetzt, und vor allem: wie. Mir kommt es erforderlich vor, dass ich erst einmal meine eigenen Themen oder Werte verstehen und nennen kann, um auf diesem Weg zu den gesellschaftlichen und politischen Themen zu kommen. Ich persönlich mag die Bedeutung dessen, was ‚am Herzen liegt‘, damit ich mich nicht verwirren lasse von der ungeheuren Masse der zu bedenkenden Dinge. Die Nennung meiner eigenen Wertvorstellungen führt auf jeden Fall nicht nur heraus aus der häuslichen Blase, wie es jedes ernsthaft durchdachte Thema tut, sondern ich erschaffe mir dadurch einen gewissen Anker im ozeanischen Weltgefüge, der es mir erleichtert, Anwesenheit zu erlangen, indem ich mit meinem Wesen in Verbindung stehe. Nein, es ist nicht automatisch verbunden, den diese Vorstellung ist ein herumgeisternder Irrtum, der zwangsweise in einen Mangel an Einschätzung führt. Auch Künste bleiben nicht einfach da, auch wenn sie mal gut ausgeführt wurden. Aber ohne ständige Neubetrachtung erlahmt alles Kreative und gleitet, oft kaum wahrgenommen, vom Lebendigen ins Leblose. Das ist zum Beispiel auch, wenn wir uns fragen, wie es sein kann, dass manche Gehirne gewisse ungeheuerlichen Dinge schmieden, ohne sich direkt für die katastrophalen Wirkungen solcher Ausgeburten verantwortlich zu fühlen. So hilft erst einmal das tiefere Hineinschauen, um dann beim Hinausschauen die Zusammenhänge besser erfassen zu können.


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