Dann gibt es bestimmte Hefte, die bei einem herumliegen, weil man unbedingt noch einen Artikel darin lesen möchte, und dieses Möchten kann sich jahrelang hinziehen. Man gewöhnt sich an den Blick auf das Heft (oder den losen Artikel) und langsam reiht sich das Ungelesene ein in seine eigene Rubrik. Dann kann allerdings der Tag kommen, wo man es merkt. So nehme ich (gestern) ein mir wohlbekanntes Literaturheft aus dem Jahre 2013 zur Hand und mir wird klar, dass es vor allem der Titel war, der zum Behalten des Heftes geführt hat. Hier sind sie, die drei herrlichen Worte: ‚Luxus des Denkens‘. Da erwärmt sich das Strömende in den Synapsen, es erfreut sich lebendige Einsamkeit an sich selbst, da formt sich herzergreifende Bereitschaft des Willens, und es wächst die tiefe Dankbarkeit des Denkgeschenkes, hallo, hallo! Hier ist Luxus des Denkens, das jedem erlaubt ist, obwohl es, wie alles andere, Bedingungen hat. Und es gibt Beispiele wie Nelson Mandela, der nach 27 Jahren unschuldiger Gefängnishaft den Bau verließ als ein ungebrochener Mann, das kann nur Denken. Nein, nicht nur, es muss Nahrung geben, von der man nicht erkrankt oder gar stirbt, wie Nawalny, der allerdings gewusst haben musste, dass er den Gulag nicht überlebt. Aber es hat doch eine gewisse Tragik, dass Menschen eben diesen vorhandenen Luxus des Denkens viel zu wenig in Anspruch nehmen. Es ist nicht, weil sie nicht können, sondern wer zur Quelle des Denkens durchkommen will, muss sich dort hinbewegen, und steinig und schwer und vor allem gefährlich kann dieser Weg sein, und er ist es immer noch. In den östlichen Schulen wird vom Denken oft abgeraten, weil man den ‚Lernenden‘ nicht zutraut, die angebotene und meist tief in der Tradition steckende Ideologie nicht zu verstehen. Und so kommt viel Gehirngewaschenes dabei heraus, wenn man der Illusion verfällt zu glauben, dass man Gehörtes automatisch dadurch weiß, ohne es selbst zu durchdenken. Es braucht viel Mühe, eigenes Denken zu entwickeln, und die Gefahr begleitet einen auf jeder Ebene. Bis es offener und sicherer ist und Freunde gewonnen wurden, die einen noch rechtzeitig zurechtbiegen können, wenn die Fußspitze den Abgrund berührt. Wenn die Sicht klarer wird, der Atem ergiebiger, das Lachen leichter und tiefer zugleich. Wenn Reichtums, der nicht an Materie gebunden ist, sich durchsetzt als Glücksgefühl, dann ahnt man, was Luxus auch sein kann. Was sind schon elf Jahre, um diese drei Worte zu spüren.