Gestern fiel mir vor allem der Unterschied zwischen nackten Fakten und der Kollektivhypnose durch die Europameisterschaft auf. Natürlich gibt es auch im Sport gruselige Vorkommnisse, aber die Vorstellung eines Treffens zwischen Wladimir Putin und Kim Jong-un für allerlei beidseitigen Profit, das macht die EM zu einer Verschnaufpause, in der sich etwas Entspannung breitmachen kann, durch die selbst Testosteronbomben aufgefangen werden können. Und das erfreut einen doch in jeder Hinsicht und überall, wo man es antrifft: ein gut gespieltes Spiel, das einen weder aufwühlt noch enttäuscht, sodass auch die Fans weniger Gefahr darstellen. Denn man fürchtet sie doch ein wenig, diese Turbulenzen rohgelegter Emotionen, an sich selbst schon erfahren, und nun durch eine Niederlage sich draußen millionenfach vergrößernd und potentielle Eskalationen hervorbringend. Aber so war es ja gestern gar nicht. Es war ruhig. Wir (das zuschauende Volk), waren froh, das Gemäßigte und elegant Trainierte betrachten zu können und man konnte ein bisschen im Wohlgefühl baden, denn es gab nichts Schweres zu verdauen außer dem dazugehörigen Tropfen Mitgefühl für die Verlierer. Wer hätte gedacht, dass ich mich noch einmal in Sportreportage übe, was es dann wiederum nicht sein kann, da mir die Regeln des Spiels, also des Fußballspiels, fremd sind. Aber man spürt es doch, diesen Bann über dem ganzen Land, so als würde einem die disziplinierte Form einer Bewältigungsstrategie angeboten, die dankbar angenommen wird. Denn draußen toben Kriege. Da planen Menschen unseren Untergang. Da schleichen Entwurzelte herum, die keiner sieht. Da werden Kinder misshandelt und sexuell missbracht. Die Worte helfen da nicht mehr weiter. Auch nicht die Spiele. Doch weiterhin gilt es, die geheimnisvollen Vorgänge des Alltags zu ergründen, damit einem klarer wird, woraus das menschliche Leben besteht. Daher die Nutzung der Freiräume, die dafür geeignet sind.