erzählen

Ich bin ja nicht die Geschichtenerzählerin im klassischen Sinn, aber gut, überall liegen die Geschichten drin und herum und drumherum, auch in den Gedichten oder in Texten, wo das Erlebte zwar Teil oder Auslöser sein kann, aber nicht unbedingt das gezielte Tasten nach Worten ist, um den tieferen Klang des Unaussprechlichen und das sich im Reich des Wortlosen Befindende an den Rand seines möglichen Ausdrucks zu bringen. Aber dann bietet einem der Moment doch manchmal Geschichten an, die man gerne erzählen möchte. Ich war also gestern Abend bei Freunden eingeladen, die wiederum eine Gruppe von Foreigners zu sich gebeten hatten, die, fand ich dann heraus, mit einem gewissen (schon das Zeitliche gesegnet habenden) Guru, „Babaji“, verbunden waren, der an einem Ort namens Haidakhan seinen Ashram hatte bzw hat, als Avatar von Shiva gesehen wird und offensichtlich den an ihn Glaubenden viele Lieder beibringen konnte, denn sie sangen unermüdlich ein Lied nach dem anderen. Bevor all das begann, kam ich mit einem Mann aus Italien, der neben mir saß, ins Gespräch, der Künstler war und viel schrieb und auch Papier und Stifte mochte und am Erhalt der Handschrift interessiert war. Als ich erfuhr, dass er aus Neapel war und Pozzuoli gut kannte, erzählte ich ihm, dass ich dort einige der dunkelsten Stunden meines Lebens verbracht hätte, als wir, eine lockere Gruppe von Freunden in verschiedenen Häusern an der Amalfiküste wohnend, von einer damals üblichen Antidrogenrazziatruppe nachts alle abgeholt wurden und nach Pozzuoli in ein „Manicomio“, ein kriminelles Irrenhaus, transportiert wurden, da die Caribinieri, an Dummheit und Unerfahrenheit kaum zu überbieten, dachten, wir würden alle zusammenbrechen und dem Wahnsinn gefeit sein. Sie nahmen alles aus den Häusern mit, von der Puderdose bis zum Mehl und der Zahnpasta, nicht wissend wie das, was sie suchten, eigentlich aussah. Das hatte fatale Folgen vor allem für eine Frau, mit der ich sehr eng und lange befreundet war, die zu der Zeit an Gelbsucht erkrankt und in ärztlicher Behandlung war. Da sie uns dort nur öltriefende Spaghettis zu essen gaben, wurde sie immer kränker. Ich machte so viel Aufstand wie möglich und landete deswegen zwar für einige Zeit in der Zwangsjacke, aber sie brachten Carol letztendlich doch zu einem Krankenhaus in der Stadt, wo sie einige Tage später starb. Als die Substanz-Analyse endlich durch war und nichts gefunden wurde, kamen wir heraus. In mir wühlten Trauer und Hass auf die Ungerechtigkeit und die Grausamkeit des Manicomio-Direktors, der das alles zugelassen hatte, und ich ging nach New York und fand dort exzellente Unterstützung. Der Fall wurde unter großem öffentlichen Interesse noch einmal aufgerollt und der Gefängnisdirektor entlassen. Es war eine Genugtuung, auch wenn es Carol nicht mehr zurückholen konnte. Ab und zu dachte ich mal in den folgenden Jahren an die trostlose Lage der Insassinnen der Heilanstalt, die wussten, dass sie nie wieder da herauskommen würden, und an die unglaublichen Geschichten, die sie zu erzählen hatten. Nun sitze ich also gestern Abend neben diesem Mann, und er erzählt mir, er kenne das Gebäude sehr gut, weil es 10 Jahre leer stand und dann von einer organisierten Gruppe, die für mietfreies Wohnen ist, besetzt wurde und bis heute von ihnen bewohnt wird. Der lange und komplexe Arm bzw Finger der Geschichte streckte sich in mir aus und setzte einen Punkt, den wohl allerletzten des entschwindenden Dramas: (so gut) zu wissen, dass über 10  Jahre lang in den düsteren Hallen des Manicomios keine Lebensberaubten mehr herumgeirrt waren, und dass nun andere Energien den Platz beanspruchen.
Shivaratri läuft auch draußen ab mit der jährlichen Götterparade auf schier endlosen Wägen, von der ich „zufällig“von gegenüber ein Photo (s.o.) von d e m Mann machen konnte, den ich beim Vorbereiten für seinen Job (Blogbeitrag „Gebilde“) photographiert hatte. Jedes Jahr darf ein Anderer mal Shiva sein, dieses Jahr er, vermutlich wegen seiner überzeugenden Darstellung

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