Die Rose kommt aus unserem Garten und ist heute per WhatsApp (gesegnet sei WhatsApp) zu Asha gegangen, die junge Frau, die ich viele Jahre „meine Tochter“ genannt habe, hier und in Indien, obwohl alle wussten, dass sie nicht meine Tochter ist, und trotzdem ist sie eine Tochter geblieben. Ich freue mich und muss auch lachen, wenn ich am Muttertag Grüße von ihr bekomme, denn auch für sie bin ich ein Stück Muttergefühle. Wir haben die ersten sechs Monate ihres Lebens zusammen verbracht, nachdem ich sie, nicht weit von einem kleinen Krankenhaus entfernt, auf der Straße gefunden habe, in ein dünnes Tuch gehüllt, sodass ich sehen konnte im Vorübergehen, dass da etwas atmet, und dass sie es war. Kurz zuvor geboren und dann von einer vermutlich verzweifelten Mutter abgelegt, weil niemand es wissen durfte, dass sie ein Kind hatte. Man hatte erzählt, sie sei bei einem Onkel, aber sie war im Hinterzimmer des Krankenhauses, wo Dr. Shyama, eine Ärztin aus Kalkutta, sie betreute. Dr. Shyama hatte es sich zur Lebensaufgabe gemacht, die unerwünschten und bei ihr geborenen Kinder aufzunehmen und sie als ihre Kinder zu „adoptieren“, was in Indien damals locker gehandhabt wurde. In der Zeit, in der ich Dr. Shyama dann selbst kennen lernte, hatte sie bereits 56 Kinder aufgezogen, in die Schule geschickt und verheiratet, möglichst in einer gleichen Kaste, wenn das bekannt war. Als ich mit Asha, die ich damals „die Ayesha“ (die Schönste) genannt hatte, war Dr. Shyama weit über 80, und alle um sie herum stöhnten, sie wollten jetzt keinen Neuling mehr. Da hatte ich eine Tochter und verbrachte eine wunderbare Zeit mit ihr. Aber ich hatte auch ein Visa, das gnadenlos ablief und nicht verlängerbar war, und so fanden wir ein kinderloses Paar, das bereit war, sie aufzunehmen. Für alle um sie herum war sie ein wahrer Glücksbringer, gleichzeitig scheu und selbstbewusst zugleich, und als wir uns über die Jahre hinweg ihre berührende Geschichte zu erzählen begannen, da kam auch der Schmerz in die Höhe gespült, dass ihre Mutter sie einfach zurückgelassen hatte, wir wissen nicht genau warum. Als sich eines Tages herausstellte, dass sie tatsächlich im Hospital von Dr.Shyama geboren wurde, konnte ich diese überreden, ihre festgehaltenen Daten herauszurücken, und da kam noch eine Überraschung, denn sie war am selben Tag geboren wie meine Mutter, man stelle sich das vor. Solange meine Mutter noch lebte, freute sie sich mit mir darüber, und wir feierten manchmal zusammen mit zwei Kerzen den gemeinsamen Geburtstag und das unerwartete Erscheinen einer Enkelin in fernen Landen. Die neuen Eltern nannten sie dann Asha, was Hoffnung heißt, und man könnte sie auch eine erfüllte Hoffnung nennen, denn sie hat die Gabe, Liebe in einem zu erzeugen, und so ist ihr Leben gut geworden. Sie ist seit einem Jahr verheiratet, und ein guter Mann soll er sein, sagen sie mir: a gentle man. Such good news! Heute wird Asha 26 Jahre alt.