Ein Grundsatz ist bedenkenswert, der die Weisheitslehren ins Leben rief und der dem Altertum als eine Selbstverständlichkeit galt, ehe moderne Entwicklungen ihn zersetzten. Beim Philosophen, dem Menschen der Wahrheitsliebe und des bewussten Lebens, müssen Leben und Lehre zusammenstimmen. Das Zentrum jeglicher Lehre ist, was ihre Anhänger von ihr verkörpern. Dies lässt sich idealistisch missverstehen, als sei es Sinn der Philosophie, Menschen auf die Spur unerreichbarer Ideale zu setzen. Doch wenn der Philosoph in eigener Person berufen ist, zu leben, was er sagt, so ist seine Aufgabe in einem kritischen Sinn doch viel mehr: zu sagen, was er lebt. Seit jeher muss sich jede Idealität materialisieren und jede Materialität idealisieren, um für uns als Wesen der Mitte wirklich zu sein. Eine Trennung von Person und Sache, Theorie und Praxis kommt in dieser elementaren Sicht überhaupt nicht in Betracht – es sei denn als Zeichen einer Wahrheitstrübung. Eine Lehre verkörpern heißt: sich zu ihrem Medium machen. Dies ist das Gegenteil dessen, was im moralistischen Plädoyer für streng idealgeleitetes Handeln gefordert wird. Im Hinhorchen auf das, was verkörperbar ist, bleiben wir geschützt vor moralischer Demagogie und vor dem Terror der radikalen, nicht lebbaren Abstraktionen.