Schreckliche Engel treten hervor, unbestechlich,
frei von der Bürde der Meinung.
In der Zwischenzeit habe ich verstanden, dass nicht nur jede/r seine oder ihre persönliche Coronakrise hat, sondern jede/r hat sein oder ihr ganz eigenes Weihnachten, untermauert mit Urgefühlen aus der Kindzeit, als das Glöckchen bimmelte, die Tore sich öffneten und alle möglichen Herrlichkeiten sich auftaten, während die erschöpfte Mutter die nächste Heldentat vorbereitete. Vielleicht sollte man bei derlei Ausflügen in die Einst-Ebene versöhnlich die ganzen Untaten kurz außer Acht lassen, die auch im Raum waren, oder man benutzt die Pandemie genau für solche Möglichkeiten des Hinterherkontemplierens, damit der Schatten, der zwischen dem, wie es scheint, und dem, was es ist, besser hervortreten kann. Aber vielleicht gibt es ja gar keinen Schatten, da, wo man ihn vermutet hat. Im Freundeskreis erzählte jemand von einem Mann, der es gewohnt war, jedes Jahr eine schöne, fette Gans über Tage hinweg sorgfältig zuzubereiten, und auf einmal, also letztes Jahr, wurde er Vegetarier, was natürlich seinen Haushalt vor eine Zerreißprobe stellte. Jeder wünschte sich weiterhin die Gans, und die Kunst der Ganszubereitung war nicht weitergereicht worden. Ich weiß leider nicht, wie es ausging, ob nun der Rest der Familie ganslos blieb oder einen Ausweg aus der Bredouille fand. Ich beschäftige mich mit diesem Flow der Dinge möglichst schon vor Weihnachten, damit ich, wenn es oder er da ist, dann einen freien Kopf habe. Obwohl man natürlich auch innen im ganz persönlichen Drinnen die verschiedenen Ebenen schmücken kann, das hat nichts mit Glauben zu tun, sondern mit geistigem Gastrecht. Ich kann mir also ein paar wuchtige Engel einladen, Bildebene Gustave Doré, nein, nicht wirklich, meine sehen nochmal anders aus. Sie sitzen mit dem Rücken zum Bild an Abgründen herum und schauen erstaunt ins Menschengetümmel hinein. Was sie da sehen, wissen wir nicht, aber wir können es ahnen. Man weiß natürlich, dass ihre sorgsamen Augen auch Kinder sehen, die vertieft sind in Märchen. Klar, es ist Weihnachtszeit, und man kann mal so richtig schön traurig sein, zum Beispiel die Geschichte vom Streichholzmädchen lesen, das in der Kälte der Nacht erfroren ist, weil kein Streichholz mehr übrig war zum Verkaufen oder zum Wärmen. Da ist man doch froh, dass man zu Hause ist und nicht in Moria im Flüchtlingslager, auch wenn die meisten dort keine Christen sind, aber wer weiß. Man muss tief nachdenken, was man feiern kann. Wenn nur das Festessen übrigbleibt oder das Nachlassen der Erschöpfung, nein halt, wo bin ich!, haben wir doch alle die Maschinen. Bald darf man ja eh nicht mehr hinaus, und man muss auch nicht hinaus. Man beschert einfach die OnlineverkäuferInnen und katapultiert sie in die Millionärsoasen, während draußen in der Fußgängerzone die Lichter erlöschen. Wenn ich also weiß, dass es keine Engel gibt, kann ich sie trotzdem symbolisch zulassen, denn sie sind ja kein Dorn im Auge. Außerdem kann ich selbst mit meinen Augen an den Abgründen herumsitzen und auf die Weltfelder schauen und hineinlauschen, um zu hören, was ich so denke.