ungehindert

*

Das Bewusstsein drängt uns in regelmäßigen Abständen bestimmte Fragen auf, die vielleicht nach neuen Antworten suchen, anderen Sehensweisen, anderen Denkkonstrukten. So die Frage, ob uns das wirklich, hätten wir unterwegs im Leben und an bestimmten Kreuzungen andere Entscheidungen getroffen, die Prägung eines scheinbar anderen Menschen gegeben, das denke ich schon. Aber hätte ich wirklich souverän diesen anderen Pfad wählen können, oder gibt es doch eine Art Script, das man, wenn man wollte, irgendwo anders in der Welt auf Palmblättern nachlesen könnte, oder so wird es zumindest erzählt. Aber das ist ja nicht die letzte Erzählung von uns Menschen, der wir lauschen, sondern wir müssen uns so wachsam wie nur möglich durchackern durch den kosmischen Wust der Erzählungen, günstigerweise an einem Faden entlang, den wir selbst spinnen, oder aber der Illusion des Selbstspinnens erliegen im guten Glauben an die Großzügigkeit des Universums. Deswegen, und nur aus diesen wogenden Hintergründen heraus, wird von dem zeitlosen Chor uralter Stimmen her gerne dazu ermutigt, das Dasein im direkten Nu wahrzunehmen als den präzisesten Ort, an dem Schöpfung und das daraus resultierende Schicksal sich unter unserer Obhut ungehindert manifestieren kann. Unter gewissen Bedingungen, die allerdings zu erfüllen sind, bis ein noch anderer Ort sich darbietet als Bühne für das Bedingungslose. Schauder der Freiheit!, ich grüße hinein in das namenlose, noch formlose Voraus.

 

*Collage von C,M. Brinker

befreien

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Irgendwann und vielleicht durch irgendwas oder irgendwen angeregt dämmert’s einem, dass das tiefere Nachdenken über bestimmte Dinge unerlässlich ist.  Der Wunsch nach Freiheit ist in vielen Formen und Vorstellungen vorhanden, doch wie geht das: befreien. Mich befreien?, und von was? Wo befindet sich aktuell das Überflüssige, das ich rechtzeitig als eine Last erkennen kann? Die Bücher? Die Objekte? Die umfangreichen Ansammlungen dessen, was man für wesentlich hält? Oder muss man nur innen in den Lagerräumen mal ordentlich durchpusten, damit die Staubschichten des Vergänglichen sich lüften und man dahinter oder darunter auch die Vergänglichkeit dessen erkennt, was man für unverzichtbar hielt. Nun dauern diese Prozesse gewöhnlicherweise ziemlich lange, denn man selbst hängt an der Maske des Todlosen, um den Hals einen Gauklerkragen, an dem die Glöckchen der Weisheit baumeln, bis sie von einem selbst gehört werden. Bis der Ton näher kommt und aufhorchen lässt, denn erst später im Leben kann man erfahren, wie kurz das alles war trotz aller tief bewegender Auftritte des Unsterblichen. Hohe Kulturen haben uns gelehrt, dass das Sterben gelernt sein will, und dass jeder Tag zählt, jede Stunde, jede Minute, jeder Nu. Lang lebe der Nu!, denn er hört niemals auf. Nur wir verschwinden.

 

  • Collage von C.M.Brinker

abspielen

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Ich bin sicher, dass sich im Bereich des Sterbens und Erbens und Trauerns großartige Tragödien und Komödien abspielen und abspulen, denn es ist doch der eigene Film, der hier zum Tragen und zum Vorschein kommt. Und noch einmal von sich selbst zur Besichtigung freigegeben werden kann. Natürlich nur, wenn die Bedingungen dafür gegeben sind, oder meine ich (auch): jeder stirbt, wie er oder sie gelebt hat? Aber kann man denn an der Kunst des Sterbens tatsächlich ablesen, wie und als wer jemand gelebt hat? Es kann ja Jahrzehnte dauern, bis man überhaupt mal die Gelegenheit hat, einen sterbenden oder todkranken Menschen zu begleiten bis hin zum geheimnisumgaukelten EXIT. In einer der möglichen Varianten möchte man, wenn man denn darüber nachdenken kann oder will,  zum Beispiel gerne sofort weg sein, eben ohne das lange Leiden, die schmerzvollen Durchgänge bis hin zur Palliativmedizin, wo man dann allerdings den technischen und medizinischen Fortschritten zutiefst dankbar ist, denn sonst käme alles noch schlimmer. Wo doch eh schon alles schlimm genug ist, sodass einem der Gedanke kommen mag, ein Tod könnte auch in einer zeitgemäßen Stimmigkeit stattfinden (also zum Beispiel nicht in einem Krieg), und man hätte noch die Muße, sich dem Gate of Departure kontemplativ zu nähern, um Hände und Geist rauslockern zu können aus den Verstrickungen, den Anhänglichkeiten, den Bedürfnissen, den Zerwürfnissen, den Meinungen undsoweiter. Es weht ja, unbeirrt von unseren Einwänden, unbeirrt durch die Räume der epische Gong des Finalen, dessen Klang (unter sehr streng geordneten Bedingungen) vielleicht weitere Anekdoten auf Lager hat für die, oder besser „uns“ Weiterreisende, die wir ganz offensichtlich mit unserer Form sehr verknüpft sind, sodass das berühmt gewordene Prinzip des Loslassens sich beim Absprung als der eigentliche Geheimcode enthüllt.

 

* Venedig Biennale 20o7

Gottfried Benn

Ob Rosen, ob Schnee, ob Meere,
was alles erblühte, verblich,
es gibt nur zwei Dinge: die Leere
und das gezeichnete Ich.

ahnen

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Manchmal fühle ich selbst die großen, schwarzen Schwingen aus meinen Schulterblättern herausragen, und ich muss ihre Schwere und Wucht ausbalancieren, meist mit einem Hineinstarren in die schweigsame Substanz der Leere, wo Atem und Atemlosigkeit sich gegenüberstehen und um ihre Vorherrschaft ringen. Denn das Eine ist uns bekannt als das Leben, und das Andere will sein eigenes Geheimnis preisgeben, nämlich wenn es klar wird, dass die eigene Rolle im Drama zu Ende geht. Mächtige Gewässer tun sich auf, und auf ihrem dunklen Glanz lassen Frauen in grauen Gewändern die Nachen mit Stäben durch die Fluten gleiten. Ob die Körper, die sie befördern, am anderen Ufer empfangen werden, das wissen wir nicht. Aber da ich die Szene von hier aus beleuchtet sehe, gehe ich davon aus, dass es eine Lichtquelle gibt, vermutlich die eigene Energie, die da noch aktiviert ist, wie gesagt und auch verstanden: wir wissen es nicht, fühlen es aber im Bereich des Ahnens.

 

*Collage von C:M:Brinker

versuchen

Zu Hause zu sitzen im Trockenen und sich Meinungen zu bilden über die Gräueltaten da draußen ist anders, als wenn man mittendrin steckt oder aufpassen muss, wem man was sagen darf in der tödlichen Hitze der Gefechte. Wenn Männer und Söhne, auf die man stolz sein wollte, ohne Beine zuhause erscheinen, oder gar nicht mehr, und die scheinbar männliche Selbstverständlichkeit wieder einsetzt, sich an den Frauen des Feindes zu vergehen, so wie es dann andersherum auf gleiche Weise geschieht, sodass man ein Erwachen des Menschen zu sich selbst zuweilen nicht mehr für möglich hält. Und muss trotzdem versuchen, bei sich zu bleiben, wo die Idee und auch die Praxis und die Erfahrung kursieren, dass ein Mensch, der gelernt hat, das innere Auge auf sich selbst zu richten, an sich selbst und den Anderen weniger Schaden anrichtet. Man muss und kann das überprüfen, und auch hier geht es ohne Kampfgeist nicht wirklich zur Sache. Es ist die Sache, für die man einsteht, die klar sein muss, damit man die „richtigen“ Entscheidungen trifft, also solche, die nicht geeignet sind zum Bereuen. Dass man lernen konnte, den tödlichen Gefahren nicht auszuweichen, das Morden aber zu vermeiden, auch mit Gefühlen und Worten. So sitzen wir auf unseren Stühlen und starren dorthin, wo sie sich täglich um die kostbare Erfahrung des Lebens bringen, sinnlos, namenlos, ausweglos. Derweilen ringt gerade bei uns im Haus eine Frau um die Würde ihrer letzten Stunden in diesem Abenteuer. Auch hier kann man noch vom Glück sagen, dass es aus Ritzen und Lücken hervorscheint und auf seine eigene, oft humorvolle Weise leuchtet. Wenn es noch Zeiträume gibt für das Unerklärliche, der Strom des Verstehens sich jedoch unbeirrt in die ihm logisch erscheinende Richtung bewegt.

Die Euphorie des Ichseins

In der verfügbaren Lebensspanne ist man immer wieder genötigt, eine gewisse Aufmerksamkeit auf das Ich zu lenken. Wo es hinwill, wo es herkommt. Welches Maß hier angestrebt werden soll, wo soll es überschritten werden. Wo tut auch mal das tiefe Dunkel gut, wo kann zu viel Gier nach dem Licht ungesund sein. Aus was besteht überhaupt das Ich, und wie weit gelangt die dort angebrachte Vorstellung dieses Identitäts-Puzzles zur lebendigen Daseinsfähigkeit als ein ent-ichtes Ich im Sinne eines aus der eigenen Haut geschlüpften Papilios, ganz zum Entzücken der  eigenen Selbstwahrnehmung. Vielleicht nur die pure Form einer verkörperten Existenz (mit mir als Spiegelloses), ich weiß es nicht. Oder der Druck in der Kohlekammer ist noch nicht groß genug, um Anteilnahme zu beanspruchen an der Logik des geistigen Triebwerks. Was ich weiß aus Erfahrung und im Dienstkreis einer Sterbenden ist, dass die unvermeidbare Nähe des Abschiedes von dieser uns bekannten Seinswelt viele Möglichkeiten bietet, dem Ich neue Erfahrungen zuzuführen, die vorher nicht möglich waren. Man weiß ja meistens nicht, was sich hinter dem Satz „nach langem Leiden“ alles verbirgt: ob die Liebe stärker oder die Abneigung flacher, oder die Sehnsucht größer, die Trauer über das Ungelebte mächtiger wurde. Oder die Trunkenheit am eigenen Steuer nach einer Bahn sucht aus der Blase, in der alles so weltlich geordnet schien, aber nur schien. Auch bietet der Tod, beziehungsweise das Mysterium des Todes, eine straffe und klärende Ordnung an. Die Auswege sind versperrt, das Ganze besteht auf einmal nur noch aus Zugang zum Erahnbaren: immense Weiten im Spiel mit dem innen Gehüteten. Genau d a s darf nun draußen die Performance anleiten, eben solange sich ein Draußen noch von einem Drinnen absetzt. Man behält die alchemische Hochzeit im Auge und erfrischt sich am Champagnerbrunnen, beziehungsweise am Nektar der großen Befreiung.

 

x it

Gerade musste ich über meine eigenen Gedanken lachen, beim Herumgrübeln über die Begriffe „Exit“, also Ausgang, oder auch „access“, Zugang und dann „Eingang“, introitus, und mich bei dem Gedanken ertappte, dass die Welt aus Eingängen und Ausgängen besteht. Aber der Tropfen Wahrheit in der Suppe des Allgemeinen ist auch nicht schwer zu finden. Wie oft am Tag geht man irgendwo hinein und kommt dann irgendann oder wo wieder heraus, die Tür oder das Tor immer beides zugleich, oder Drehtür, nach allen Seiten offen. So auch Ankunft und Abschied gern beides zugleich. Dafür braucht es eine gewisse Wahrnehmung, die geschult werden kann. Oder die religiösen Erzählungen nehmen den Platz ein und produzieren für die Gläubigen all diese Bilder, die sie brauchen, um das ungeheure Wagnis der Lebensdurchquerung aushalten und  bestehen zu können. Und verhältnismäßig wenig unverrückbar Wahres  hat sich in der Menschheitsgeschichte bewährt, sodass niemand mehr Zweifel anlegen kann darüber, wo die Reise des Menschen noch alles hingeht, vielleicht hinein in Welten, die für uns noch nicht erschließbar sind. Das Unvorstellbare, das in das Vorstellbare  hineinmorpht. Morphen ist ein schönes Wort und hat eine beruhigende Wirkung. Und solange man am Leben ist, kann man immerhin die Einstellung zur letzten Reise kontemplieren, also wenn man da steht, inmitten des kosmischen Raumes,und vielleicht eine Einstellung schon gewählt hat, oder keine. Nun wartet da etwas, das tatsächlich nicht vorstellbar ist, denn manche behaupten zwar, sie waren dort, sind aber wieder zurück gekommen. Auf jedem Level kann der Geist produzieren, was gewünscht wird, und der Preis kann zuweilen sehr hoch sein. Aber es gibt auch Zugänge zu Räumen, in denen von Preisen nicht mehr die Rede ist. Denn das Wort war angeblich am Anfang, und am Ende wird es auch sein, bevor der Flug beginnt in die Wortlosigkeit.

führen

*

Heute früh bin ich doch tatsächlich aufgewacht mit einem indischen Mantra, das ich gar nicht freiwillig gelernt habe, sondern gewissermaßen wie nebenher damit beträufelt wurde, als in meiner damaligen Wohnherberge eine Gruppe Sinnsuchender auftauchte. Alle hatten eine gemeinsame, charismatische Herrenfigur vor sich, von der sie allerlei lernten. Als mich einer seiner Followers eines Tages  ansprach und meinte, es (ich) wäre arrogant, wenn ich die absolute, verkörperte Wahrheit verpassen würden wollte. Das fand ich auch ziemlich bescheuert, schloss mich dann aber aus Neugier (wer will schon die absolute Karotte verpassen) eines Tages den Morgenstunden direkt vor meinem Fenster an und hatte in der Tat einige anregende Gespräche mit dem Meister, wohl auch, weil ich Hindi spreche und im Dorf einen guten Ruf habe. Reichlich gequält habe ich mich durch die täglich gleichen Mantren, wie das in Indien üblich ist mit dem Eingebläuten, von dem man hofft, dass es durch die geistigen Dickhäute sickert und dort etwas vom Wesen des Wissens hängenbleibt wie Majnoors Gedichtfetzen an den Dornbüschen der Wüste. Das Mantra bittet um Führung von der Unwirklichkeit in die Wirklichkeit, von der Unwissenheit ins Licht und von der Sterblichkeit in das ewige Leben. Das kann vermutlich nur durch einen Gott geleistet werden, oder kann es auch von einem Menschen geleistet werden, dass er oder sie sich von der Unwirklichkeit (z.B.) in die Wirklichkleit führt usw. Zum Glück habe ich es eine geraume Zeit zutiefst genießen können, mich den göttlichen Kräften zuzuwenden und mit ihnen Verbindung aufzunehmen. Das wird einem in Indien leicht gemacht, denn alle Anwesenden ohne Ausnahme verbinden sich mit irgendwem und irgendwas, das einen dann beschäftigt. Denn die Welt dort ist voll mit Schriften und Gedanken und Göttern, die zur Verfügung stehen und zum Leben gehören wie der Teig und die Süßigkeiten. Die meisten von uns Foreigners hatten eine glühende Romanze mit Shiva, was wiederum von Hindus fröhlich resoniert wurde, waren sie doch schon ziemlich erstarrt in ihren Ritualen und erfrischten sich an unseren Fragen, bereit, sich selbst und uns unwissende Warums  gleichzeitig zu erwecken. In dieser Atmosphäre konnten wunderbare Dinge geschehen, wobei die dazugehörigen Anekdoten einen im Westen eher zu Märchenunterhalter.innen machen. Ich erwachte also mit dem Mantra auf den inneren Lippen und dachte: ja, kein Wunder! Über unserem Haus hat sich der dunkle Baldachin des Vergänglichen ausgebreitet. Noch ist das Tor offen und wartet auf die (ihre) Ankunft. An einem bestimmten Punkt muss man sich selbst an die Hand nehmen.
* Der tanzende Shiva, Statue aus dem 16. Jahrhundert, ein Geschenk unseres ehemaligen Hausbesitzers (Dr. Helmut Kenter) an unser Haus.

zart besaitet

Was für zartbesaitete, gleichermaßen empfindliche und empfindsame Geschöpfe wir doch sind. Das könnte man allerdings auch über Tiere und Pflanzen sagen, obwohl  unter ihnen auch nicht alle zartbesaitet sind. Sie sind argloser, weil sie kein Bewusstsein haben, das eingreifen kann in die sich unter und mit Menschen gestaltende Geschichte, auf allerlei Palmblättern dokumentiert und reflektiert, und die immer wieder genau d a erschüttert, wo man mit dem Erwachen des Menschen aus der Gruft seiner Untaten nicht mehr rechnen kann und möchte. Und so bricht das fremde, aber auch das eigene Leid immer mal wieder bei uns ein, flutet über uns hinweg und verhilft zu tieferen Ebenen der Stille, des Schweigens, der Worte. Die Ohnmacht schmerzt, und es schmerzt das Entweichen oder Verschwinden  des Sommers, der anderen Kulturen durch Kriege und Feindseligkeit, der relativen Zeit als ein Phantom, das es bei aller Präzision der Darstellung in Wirklichkeit gar nicht gibt. Zurück also, zurück in die Haupthöhle. Das geht am besten über das Auge. Mit d e m fühlt man sich durch, da es ja sieht, man ist sozusagen  gleichzeitig Eremit:in und Laterne. Jetzt kommt es darauf an, mit wem ich dort zusammentreffe, und da ist er, der ganze Spielzeugladen, oder wer’s gern dunkler möchte, dort sind Höllenglut und Himmelreich, wo auch Luzifer und Gott am Schachbrett sitzen und sich erfreuen an einem anregenden Gegenüber. Es wäre albern, wenn das, was wir so gern „göttlich“nennen, nicht auch noch was dazulernen könnte und wollte. Aber immer, wenn dann so eine eher traurige, gedankenverlorene Zeit vorüberzieht, da möchte man gerne, dass ein/e  alles tief Erfassende/r einem das Kinn hochhebt und fragt: und du, wie geht es denn dir? Und man braucht nur die Kinder, irgendwelche irgendwo, sorgfältig betrachten, und man sieht sich selbst und, erfüllt von Mitgefühl, setzt man Fuß in den Sandkasten der Welt.

flow

Es ist ja klar, dass man sich nicht täglich den Gedanken an das eigene Verlöschen zu Gemüte führen kann oder will, obwohl es auch nicht die schlechteste Morgenidee ist, wie ein Löwe oder eine Löwin aus dem Bett zu springen und in den verfügbaren Raum zu brüllen: Ich bin noch da! Auf dieser Ebene der Existenz, wo wir uns ein bisschen auskennen, gibt es immer noch die Handlungs- oder Erkenntnismöglichkeiten, die tatsächlich im Raum persönlicher Spielarten liegen. Doch es scheint in der seltsamen Routine des Hierseins eine große und bewusste Anstrengung zu benötigen, sich bewusst zu machen, dass das Viele, das man sich vorstellen kann, sich nicht automatisch entwickelt, sondern zumindest eine gewisse Ausrichtung kultiviert werden muss, die einem einen potentiellen „Flow“ überhaupt ermöglichen kann. Wenn’s flowen soll, dann sollten die Hindernisse reduziert werden, sodass sich kein Stau bildet, sondern munter schnellt der Strom über die Ausbuchtungen. Oder aber man ist für die stoische Wahrnehmung geeignet, die ich neulich mal im Netz von einem Stoizismus-Liebhaber in moderner Translation „The art of not giving a f..k“ gehört habe, aber selbst darüber müsste man noch gründlich nachdenken. Es ist erstaunlich, wie lange man sich mit einem tief-oder todernsten Thema beschäftigen kann, ohne etwas davon zu verstehen. Das Konzept des Todes bringt die Lösung: man kann den Tod nicht verstehen. Sehr wohl aber könnte man, zumindest gedanklich, ein Sahnehäubchen daraus machen: ich, allein am Tor, lös mich vom Tellerrand, und hinein! in die ultimate Navigation, befreit von der Sucht der Erkenntnis.

 

Blätter fallen

Die Blätter fallen, kein Zweifel. Die Tage, an denen wir ankommen, sind ungewiss, und gänzlich ungewiss ist auch der Tag, an dem wir gehen, die Stunde, die Minute, die Sekunde. Wenn Dichter:innen an Zypressen denken, oder an das Tor, wenn es sich ins Nicht-Wissen öffnet, als wer, als was, und wie werden wir dem Unbekannten gegenüber stehen. Die Relativität der Zeitspanne wird einem klar, was nur durch Anwesenheit zu lösen ist. Anwesenheit ist ein tiefes Wort. Wenn sie erscheint, die Anwesenheit, so werden Dinge und Tiere und Menschen lebendig. Und obwohl es erfahrungsgemäß schwer ist, sich und einander zu verstehen, so ist es dann möglich. Auf einmal spürt man den Atemzug, er leitet und führt das Geschehen, oder „Unternehmen“ könnte man es auch nennen. Der Körper ist, solange der Atem durch ihn hindurchfließt, lebendig, auch wenn man den Begriff „lebendig“ vielleicht noch einmal neu bedenken muss. Es ist wie das Menschsein und das Menschlichsein, jede/r ist Mensch, aber nicht jede/r ist „menschlich“. Es muss ein verborgen unter Menschen lebendes Maß geben, an dem entlang sich Individuen  oder auch ganze Völker einigen oder aber entzweien können, auf jeden Fall sich bewusst oder unbewusst danach ausrichten. Eben, was man unter „menschlich sein“ versteht, oder nicht. Schicksalshaft wird es, wenn man dem Vernichtetwerden oder dem Vernichtungstrieb nicht ausweichen kann, und wer hat schon mal die Backe wirklich hingehalten, egal, (ihr Herren), wie schwächlich das Andere finden, oder ob es den Posten kostet. Und auf all den Feldern, auf denen der Tod sich bewegt, ist er nicht der Held der Unsterblichkeit, nein. Es sind die Spieler und Spielerinnen, die sich des Vorgangs bewusst sind, auf dem Weg durch den Tunnel ins Licht: also da, wo man sich selbst zurücklässt, um auf sich zuzugehen.

(un)bekannt

Wenn man mit etwas (einer Idee einer Vorstellung, einem Gedanken) in Kontakt gekommen ist, deren Umsetzung man auch gerne erreichen möchte, muss man sich nach den verfügbaren Pfaden umsehen, die einem diese Entwicklung ermöglichen. Das gilt für die geistige wie für die körperliche Ebene. So ist uns zum Beispiel durch Menschen, die darin Erfahrung gesammelt haben, mitgeteilt worden, dass es erstrebenswert ist, die eigenen Gehirnprodukte nicht nur zu bändigen, sondern so viel wie möglich zu beobachten, damit einem klar wird, was für ein ungeheurer Zirkus dort ablaufen kann. Natürlich werden diese hemmungslosen Strömungen oft gebündelt durch alle Arten von Arbeit, die aber auch verhindern können, dass man überhaupt etwas wahrnimmt von all dem irrwitzigen Treiben, das im eigenen Haus stattfindet, und sich von innen dann einen Weg nach außen sucht. Sein Lehrer, soll Sri Aurobindo erzählt haben, habe ihm mal geraten, sich auf die Lücken zwischen den Worten zu konzentrieren, woraufhin  Aurobindo sich hinsetzte und sich auf die Lücken konzentrierte, und in 3 Tagen war er durch. Durch mit was? Nun ja, er hatte dann den Platz zur Verfügung, hatte den wilden Affen gezähmt, war Herr seines Reiches, oder wie immer man es benennen will. Das Thema wandert auf mich zu, weil ich eine gewisse Müdigkeit verspüre in Hinblick auf das Nachdenken und das Verstehen, das ich andrerseits immer so vehement verteidige. Vielleicht geht es eher um einen Ausgleich. Auf der einen Seite der unbegrenzte Schatz der Wortarchive, die zur Manifestation des Benötigten zur Verfügung stehen, und dann, auf der anderen Seite: eine wortlose Dichte, die auch als Leere verstanden werden kann. Da ist es still, kein Windhauch, weder Gefühl noch Gefühllosigkeit. Ein Bewusstsein, das sich selbst, und dann wiederum nicht nur sich selbst ist.

 

durchhalten

Jedes langjährige Praktizieren von etwas, das man gerne lernen möchte, braucht Kräfte, vor allem Kräfte, die einem das Durchhalten ermöglichen. Man muss das Ganze und sich selbst darin einigermaßen ernst nehmen, also eine gewisse Leidenschaft für das Gelingen des Projektes „Ich“ entwickeln, damit aus dem Angestrebten keine Karotte wird, die sich obendrein noch immer weiter vom Standort entfernt. Auch muss man sich an einem bestimmten Punkt lösen von den Thronen, auf denen die Lehrenden sitzen. Nicht, ohne ihnen den gebührenden Respekt zu zollen, wenn sie vermitteln konnten, worum es ihnen und uns uns allen geht, die wir eine bestimmte Praxis gewählt haben, um dem eigenen Ziel näher zu kommen. Da, wo das gesteckte Ziel nicht zur Karotte geworden ist, bewegen sich die Möglichkeiten, die einem nun ins Auge sehen. Der ganze Lernstoff war ja nur ein Konstrukt wie alles andere, dienlich sehr wohl, aber nur als Anregung, mit der sich jonglieren lässt oder tanzen oder einfach hineinschauen in das Unergründliche, um von dort aus die Dinge, die einen begeistern, ans Licht zu locken. Ständig ist man umgeben von Strömungen, die auf einen einwirken können, wenn man nicht auf der Hut ist und bestimmen kann, was einem gut tut, und was nicht. Das klingt immer alles so einfach, basiert aber  enorm viel auf Technik, die immer wieder anzuwenden ist: erforschen, bedenken, ergründen etc. Wenn man etwas Ordnung ins eigene Getriebe gebracht hat, kann man die Werkzeuge wieder mal beiseite legen. Der Geist, der hier im Spiel ist, ist ja kein Gefängniswärter, sondern ein Potential, das jede Spielart beherbergt. Daher ist das, was wir sind, einerseits ein Windhauch, und andrerseits ist es alles, was wir von diesem epischen Ausmaß an Erfahrbarem erlebt und belebt haben (werden).

annehmen

Gerade fällt mir auf, dass dieser Satz, den ich gestern aus meiner Wortschatzsammlung zusammenfügte, auf ganz verschiedene Weise verstanden werden kann. Wenn man also das Nichtsein in der physischen Welt als den Tod sieht, also das Aufhören des Seins, wie wir es kennen, dann meinen die Worte einerseits, dass etwas sich weiterbewegt. Und angeblich geht nichts verloren von der geistigen Substanz, die den Körper verlässt und von der es das Gerücht gibt, man könne sie messen, die dann im Irgendwo andockt an etwas ihr Gemäßes. Ich versuche zur Zeit, die Zügel der Gedanken da etwas locker zu lassen, und gewiss können betsimmte Ideen und Konzepte die Angst nehmen vor dem gänzlich Unbekannten (dem Tod), dem wir beim Sterben gegenüberstehen (werden). Dann gibt es andrerseits auch die  Seinsfrage in der körperlichen Welt, vielmehr die Möglichkeit des Nicht-Seins, wie man es von Hamlets Verzweiflungsschrei her kennt. Und wessen Auge ist schon so geschult, dass es in den Wirren und Wogen des Menschheitsgedränges unterscheiden kann zwischen denen, denen es gelungen ist, zum Kernpunkt oder der Quelle des Daseins vorzudringen, und wem nicht. Ob ich mich also dem Lebendigen oder dem Toten verpflichtet fühle, ist in erster Linie meine eigene Verantwortung, obwohl man an den Kriterien nicht so einfach vorbeischliddern kann. Wenn man einmal keinen Meister mehr über oder vor oder neben oder unter sich hat, wird das Abenteuer umso komplexer. Wie dankbar man doch sein kann, wenn genügend Zeit und Raum zur Verfügung stehen, um zu beobachten, aus welchem Holz man eigentlich geschnitzt  ist und wieweit der Kern sich eignet für unbegrenzte Lebensdauer. Ich denke, dass unbegrenzt auch sein kann, wenn ich einen langen, geduldigen Blick nach hinten in meinen Lebenskanal (live channel) werfe und es nicht die Worte sind, die sich vorwärtsdrängen, sondern in den Mundwinkeln sich eine leise Bewegung zeigt, also ein freundliches Gesinntsein mit dem Schicksal, dem der Geist unbegrenzte Lebensdauer anbietet, die er ja selbst ist.

letzter Kiesel


Kiesel VII
Tatsächlich habe ich mir schon öfters vorgestellt, dass ein ganz bestimmter Satz, der meinen Weg kreuzt, sich vortrefflich eignen könnte als in Goldbuchstaben auf einen schwarzen oder dunkelgrauen Grabstein eingelassen. Da ich bereits weiß, dass ich so einen Grabstein nicht haben werde, dient diese Vorstellung lediglich einer konzentrierten Idee, wie sich durch ein paar Worte ein ganzes Leben in einen Stein hineinmeißeln lassen könnte. Zum Beispiel Rabindranath Tagore, der geradezu jubelte, was für ein Festival sein Leben doch war, und dass er getan hatte, was er konnte. Allein dieser Teil: dass man getan hat, was man konnte. Natürlich kann jede/r Sterbende sagen, dass er oder sie getan habe, was sie konnten, denn hätten sie bzw. wir mehr tun oder es anders machen können, dann hätten wir’s ja getan. Was wir mitbringen, ist das Eine. Das Andere ist das, was wir daraus machen. Das gilt für Obdachlose wie für Putin oder für muslimische Frauen in nicht gewollten Ehen. Manchmal ist der Ausweg verschüttet, das kann ganze Völker in die Kniee zwingen. Niemand weiß, wie das alles möglich ist. Junge Leute feiern auf einem Event ihr Leben, da stürmen auf einmal Mörder ins Land, das Fest ist vorbei, lebendige Körper werden in Autos gezerrt, überall liegen Leichen. Man kann es sich kaum vorstellen, und doch geschieht es immer wieder, so als würden sich nur die Kostüme des Spiels verändern, der Inhalt aber immer der gleiche bleiben. Zu recht zweifelt man zuweilen daran, ob man wirklich so frei ist, wie es in dieser Gesellschaft zumindest ermöglicht wurde. Man geht in die Schule, lernt lesen und schreiben, und die meisten können ungehindert losziehen in ihre Vorstellungen. Natürlich ist es sehr viel komplexer. Hat man mal Heim, Bett und genug Nahrung, dann kommt es auf einmal darauf an, welche Richtung ich einschlage. Wem gehöre ich. Wofür will ich mein Leben einsetzen. Worauf muss ich achten, damit ich alle Fallstricke im Labyrinth bewältigen kann und selbst, wenn der Faden reißt, den Kopf nicht verliere. Denn der Kopf muss zur Verfügung stehen, denn dort sitzen die Schalttafeln, aber auch die Bibliotheken, die Archive, die Schatzkisten, das Gold. Also all das, was lebendige Geister für uns zurückgelassen haben, damit aus der grausamen Mär ein Fest werden kann.

jetzt hier sein


Kiesel VI
Wenn alle Zugang zu so ziemlich allem haben, was auf den Weltmärkten zu haben ist, dann wehen auch die verborgenen Sätze der Geheimwissenschaften hinein in die Lebensräume der Bürger:innen, oder sind zu lesen in Artikeln ehrwürdiger Zeitschriften, und niemand würde groß staunen, wenn da als Haupttitel zum Beispiel „Be here now“, oder noch besser „Sei jetzt hier“ stünde oder schon  steht. Wo soll ich denn um Himmelswillen sonst sein, fragt sich vielleicht der Leser, doch wo ist „hier“,  und wer drückt hier den nobel gemeinten Befehl aus, und was heißt „jetzt“? Jetzt, in diesem Augenblick, mit mir hier sein, wie geht das, oder warum klingt das, als müsste man darauf aufmerksam gemacht werden, nicht im Woanders herumzuwandern, so, als könnte ich dort draußen, also im Außen, etwas erkennen, das ich nicht von innen her wahrgenommen habe. Selbst die Kulisse für menschliches Tun (die Natur) war nicht immer ganz so bedrohlich, wie sie jetzt erscheint, seit wir wissen, dass es genau der Mensch ist, also wir, der die Eingebungen des eigenen Geistes nun als Resultat einer ungeheuren Zerstörungslust beobachten kann, die sich mit den tiefsten und den höchsten Interessen der Menschheit kaum vereinbaren lassen. Selbst Freud sah seine hochangelegten Analysen eher fruchtbar für gesunde Menschen, die sich für ihre geistige Entwicklung interessieren und mit ihm einen Vergil zur Seite hatten, der sie beim Spaziergang durch die abgründigen Level der Hölle begleiten und sicher zurückführen konnte, wissend, dass aus diesem Wurmloch niemand unverändert herauskommt, wenn überhaupt. Auch wenn „Be here now“ wirklich mit einem geschieht, kann es unheimlich werden. Vor ein paar Jahren hatte es mich mal interessiert, zu welchem Prozentsatz Menschen (auch in Indien) sich als sich selbst seiend einschätzen. Also zu welchem Prozentsatz denke ich, mich selbst zu sein. Sehr überraschende Antworten kamen. Niemand stellte in Frage, dass man sich zu sich selbst aufmachen muss, und oft hing die Antwort unter 50 Prozent, also mit dem Kopf noch unter Wasser. Wurde man selbst gefragt, musste man aufpassen, nicht zu hoch zu pokern, oder aber zu seinem Einsatz zu stehen. In guten geistigen Schulungen wird beides gelehrt: die Gefahr des aufgebauschten Selbstgefühls wahrzunehmen, und mit der verfügbaren Entscheidungskraft und einer geistigen Rasierklinge Raum zu schaffen für das, was übrig bleibt, wenn die Ich-Blase ausgedient hat und das, was auch immer es ist, spürbar und sichtbar wird.

Impulse


Kiesel V
Mit den meisten Dingen, Menschen, Tieren, Gedanken usw. kommt man in Kontakt, also Berührung, wenn sie nahe genug an einen herangerückt sind, um die entstandenen Erfahrungen in eine als „real“ empfundene Betrachtung einzuordnen. Jede Form von Berührung, die einem das Schicksal ermöglicht, löst automatisch etwas in einem (uns) aus, und auch dafür ist die Skala der Möglichkeiten enorm weit. Tod oder der Prozess des Sterbens sind Meister/innen der Rubrik: Lernen bis zum Aschenrand. Wie von selbst verwischt ein bestimmtes Leiden, vor allem körperlicher Art, die Grenzen der Bedeutungen, die man den Dingen zugemessen hat. Auch als Begleiter:innen kann man sich mit den wesentlichen Fragen beschäftigen, die einem in den Sinn kommen. Hat man unterwegs den Sinn allerdings vollgestopft mit Ideen, die zum Ausweichen der gedanklichen Felsblöcke erzeugt wurden, dann kann jederzeit ein Moment kommen, in dem man das Steuer entweder sanft umlenken oder gerade noch herumreißen oder überhaupt erkennen wird, dass immer schon ein Steuer da war und es kein anderes gibt als d a s, was das eigene Körperschiff lenkt. Würde man ein kleines Experiment durchführen wollen und einer gewissen Anzahl von locker ausgewählten Beteiligten die Frage stellen, wo, wenn es ein Steuerrad gäbe, es sich befinden würde, könnte man sich der Antwort ziemlich sicher sein. Klar kann man das nicht beweisen, dass da, wo auch der Vogel sitzt, sich eine hochdosierte Technoebene befindet, die unvergleichlich ist, war und sein wird, mit allem, was Menschengehirne ausbrüten konnten und weiterhin werden. Und selbst wenn Roboter so „hoch entwickelt“ werden könnten, dass sie die Gurus der verbleibenden Menschheit werden würden, wäre es nur ein Ausdruck des menschlichen Gehirns, das sich an diesem Punkt der global fehlgeleiteten Impulse (und als solche von der Menschheit erkannt) entscheiden könnte, sich selbst durch sich selbst zu erlösen, um Platz zu machen für neue Impulse.

esoterisch


Kiesel IV
Das Wort „esoterisch“ hatte sicherlich einst einen würdigen Klang, denn es weist ins Innen, dagegen ist nichts einzuwenden. Was Menschen, die angeregt sind oder dazu angeregt werden, ins Innere zu schauen, versuchen dann, sich mit Begriffen verständlich zu machen, so, wie man auch nach Worten angelt, wenn man einen starken Traum beschreibt. Wo ist überhaupt „innen“ in diesem mächtigen Körperreich, und was sieht und erlebt man da, wenn man sich dorthin aufmacht. Meist braucht man beim Beginn dieser Reise erst einmal ein geistiges Rückgrat, um unterscheiden zu können, was an all den angebotenen Innenschaus für mich selbst geeignet ist. Schon immer gab es geheime Schulen, die ein bestimmtes Wissen weitergeben und damit Eingeweihte erschaffen, die sich untereinander prächtig verstehen, eben weil sie beim Durchtüfteln des Unsichtbaren eine Sprache erschaffen mussten, die dem angeblich Gefundenen Rechnung trägt, das nennt man dann Geheimsprache. Überall, wo man viel glauben muss, ohne auf die ureigene Erfahrung hingewiesen zu werden, wuchert die Esoterik. Männer haben es dort besonders leicht, in hohe, niemals nachweisbare Rollen zu schlüpfen, denn sehr schnell haften sich an Machtliebende diejenigen, die von dieser angeblichen Macht auch ein Schlückchen haben möchten, nicht durch sich selbst, wohlbemerkt, sondern durch den Machthaber. Einmal habe ich mir eine Lupe geholt, um genau  d i e um einen Machthaber Herumstehenden genauer zu  betrachten, und man sieht um Kim Jong-un herum ähnlichen Gesichtsausdruck und Verhaltensweise wie um einen indischen Guru (z.B.). Zwischen Himmel und Hölle gibt es viel Käufliches, das in letzter Konsequenz einen hohen Preis hat, wenn man nicht gelernt hat, auf sich selbst aufzupassen, sodass man sich die jeweils angemessene Urteilskraft zutraut. Und wo oder wie lernt man das. Gestern kam Hilde zu Besuch, die wir alle nicht kannten, die aber über eine gemeinsame Bekannte gehört hatte, dass hier einem sehr kranken Menschen geholfen werden könnte. Sie brachte auch gleich etwas Werkzeug mit, eine Matte und einen Stab aus der Ceragem Gemeinschaft, die ich in Indien kennen gelernt habe, als ich mir dort einen ihrer Massagestühle anschauen wollte. Kaum saß Hilde, hörten wir schon (von ihr), dass sie von Geburt aus hellsichtig war, und dass sie, ihre Arme flogen öfters hoch in die Lüfte, alles von uns und jedem sehen könnte und auch heilen. Aufmerksam verfolgte sie jede Bewegung, um Stoff zu sammeln für ihre Prophezeiungen. Hilde hatte sehr, sehr viel gelitten, fühlte sich aber nun frei davon. Dankbar blickte sie in den Kosmos, wo die Eingebungen herkamen, direktemang an ihr vorbei. Jetzt geht mir leider der Atem aus, und ich fürchte, mir mit Hilde zu viel vorgenommen zu haben. Vielleicht hatte ich auch einfach Angst vor dem kleinen Sublimationshändchen, das sich an mein Steuerrad heranpirschte in der dumpfen Gewissheit, mir würde der eingegebene Kurswechsel guttun.

Dachboden


Kiesel III
Wir haben einen sehr großen und geräumigen Dachboden, der allerdings nur über eine Leiter zu erreichen ist, die wiederum keinen so festgelegten Platz hat, dass man sofort weiß, wo sie ist, und deswegen ist es selten, dass jemand sie holt und nach oben klettert. Nun war es wieder soweit. Man vergisst verdammt leicht, was man so alles im Leben angefertigt, geschrieben oder gemalt hat, oder einfach nur aufbewahrt für die Okkasionen, die (das müsste man eigentlich schon beim Verstauen wissen) nie kommen werden, und da steht er halt noch, der alte Rechner, oder der Waschkorb mit den Text-Papieren, oder der sehr schöne Zeichentisch, handgefertigt von „Wie hieß er doch noch“, der geniale Bastler, dem ich auch mal (m)einen Wanderstab abgekauft habe. Dann fanden wir noch viele, pralle Notizbücher in Din A4 Format aus der Zeit der Schweigetage und der daraus hervorgegangen Reflektionen. Staunen soll ja gesund sein, und das darf man hier nochmal, denn siehe: alles, was ich gerade frisch durchgrüble, liegt da schon schonungslos und breit angelegt, und man gerät in Versuchung, Löcher in Nebelschwaden zu bohren und den Weg zurückzufinden aus dem Labyrinth der Erinnerungen. In unserem Haus lebt ein sterbenskranker Mensch, die sich auf den Ausgang zubewegt, auf das Finale. Für alle daran Beteiligten rückt dadurch die Bewusstwerdung der menschlichen Vergänglichkeit näher. Durch die Exzellenz der Poesie kann man furchtlos durch das Tal des Leidens und der Liebe geführt werden. Aber dann, sozusagen in vorletzter Minute, kann man all das, was man tatsächlich selbst war und ist, bei sich versammeln, und es ist sicherlich hilfreich, es wohlwollend zu betrachten, denn das ist es jetzt, was man mitnimmt: sich selbst. Auch die Anderen können verstehen, dass hier jemand vor allem sich selbst braucht, damit möglichst viel vom eigenen Wesen nach außen ins Irgendwo befördert wird und dort seine Wirkung entfaltet. Kulturen- und glaubensbedingt hört dann das Leben auf, oder es fängt genau da erst richtig an, who knows. Die Kiesel (Bild) kommen übrigens auch vom Dachboden. Dunstig schwebte die Erinnerung durch den Raum, dass wir sie alle mal bepinselt haben.

Pipifatz


Kiesel II
„Das ist doch Pipifatz!“, meinte jemand in der Frühstücksrunde, und kurz wehte der Gedanke durch mein Gehirn, dass gegen Ende eines Lebens vor allem für den oder die Reisende/n sehr vieles blitzschnell als Pipifatz erscheinen kann. Denn das alles, was jetzt noch da ist, wird dann wie von Zauberhand ausgelöscht sein. Eine wünschenswert sanfte, aber gleichzeitig sehr radikale Form der Verabschiedung, also: in dieser höchstpersönlichen, individuell gestalteten Erscheinungform gar nicht mehr aufzutreten. Und ihr, denkt vielleicht der oder die inzwischen soloperformende Traveller/in, könnt gar nicht wissen, wie das ist, denn nur eine/r macht es jeweils, und jede/r macht es anders. Nun ist es aber auch so, dass sich öfters mal hinter einem als Pipifatz deklarierten Ereignis sich anderes Erleben angestaut hat, das nun als scheinbar unüberwindbares Hindernis ein Baustamm geworden ist auf dem Waldpfad, sodass es dann wünschenswert ist, die Sachlage durchtüfteln zu können, dh. in bewusstseinsfähigem Environment Worte dafür zu finden, die dem inneren Erleben entsprechen, dessen verbaler Ausdruck zu Heilungsprozessen beitragen kann. Selbst der gewagte Ausspruch (hier als Anregung für Reden) „Alles ist (letztendlich?) Pipifax“ könnte von vielen Menschen verstanden werden und nähert sich auf eher unterer Ebene dem buddhistischen Satz „Alles ist leer und bedeutungslos“. Wenn allerdings ein Pipifax schnell und mühelos aus dem Weg geräumt werden kann, sollte man nicht zögern, denn in ungünstigen Momenten kann ein Zögern zu absolut seinsbehindernden Streitgelagen führen, oder gar zu S.d.P. (Self-damaging Pipifax).

 

lachen


Kiesel I
Harald Martenstein hat diese Woche eine Kolumne über „zeitgemäße Beerdigungen“ im Zeit-Magazin der „Zeit“, wie stets begleitet von einer der sehenswerten Illustrationen von Martin Fengel, wo diesmal eine seiner im absoluten Minimum gehaltenen Figuren in einem Blumenkasten was beerdigt hat und das nun gießt. Am meisten ist mir beim Lesen aufgefallen, dass ich ein paarmal herzlich gelacht habe, was einen immer zu natürlichem Dank verpflichtet, denn im herzlichen Lachen vebirgt sich oft genug eine Medizin, die herausgelockt werden muss durch einen Treffer, am besten ins Herz, von wo aus dann ein Freiraum sich gestaltet, innerhalb dessen Liebe einem vorkommt wie die natürlichste aller Empfindungen. Aber (soweit meine Erfahrungen reichen) steht die Liebe (oder das, was man dafür hält) öfters mal am Tor und wartet mit der ihr zugemuteten Sehnsucht auf etwas, was nie ganz klar werden darf, damit es überhaupt stattfinden kann. Plötzlich zittert die Erde, und aus dem  aufgewirbelten Wüstenstaub prescht ein Hengst heran, der von einem maskierten Maskulinum meisterhaft gebändigt wird, kommt heran und gewinnt im Nu die Liebe für sich. Ich löse das spannende Rätsel selbst, jaja: es ist der Humor, der die Liebe ergreift und sie vor sich selbst rettet. Gelacht habe ich zum Beispiel über Martensteins Reflektion, welche Musik (gemäß der zeitgemäßen Beerdigungsrituale) er wohl für seinen Abgang ersinnen könnte, und erwähnte „Junge, komm bald wieder“. Ich merke, der Witz ist so grotesk tief, dass ich schon wieder lache.

bedenken

*

Man kann ruhig dem Gedanken mal Raum geben, dass auch eine gewisse Freiheit darin liegt, auf der Ebene des Ungefähren zu wissen, dass das Sterben angesagt ist, wann auch immer es tatsächlich eintritt, beziehungsweise der Tod  der vertrauten Form des Lebens ein Ende setzt. Wir gehen doch alle ständig darauf zu, aber man kann ja die Lebensqualitäten gar nicht erforschen, wenn man ständig auf den schwarzen Tunnel starrt, an dessen Ende hier als Licht das ganz und gar Ungewisse blinkt, zuweilen (von sich selbst) Befreiungsverlockung genannt. In der Welt nehmen sich jährlich (nach Schätzungen der WHO) 700 000 Menschen das Leben, die man leider nicht mehr befragen kann, was zu ihrem Entschluss geführt hat. Man bräuchte sehr viel Kraft für die Erzählungen. Ob wohl auch welche dabei waren, die gefeiert haben, dass sie bald erlöst sind von dieser anstrengenden Übung, die Prüfungen des Lebendigseins einigermaßen zu bestehen. Oder das Prädikat „ausgezeichnet“ hat gereicht, um voll zu sein, sodass der Absprung als Meisterprüfung gesehen werden kann. Aber von wem. Zuweilen sehe ich ein großes Tor vor mir, also vor dem geistigen Auge, da führt ein Trampelpfad hin, den man sich selbst ausdenken kann wie so ziemlich alles andere. Man nimmt also das vor einem Liegende als ein Maß und macht sich mit der angemessenen Wachsamkeit auf den Weg. Was trägt man, was fühlt man, wer ist man. Wo sind noch Feuer, Wasser, Luft und Licht und Erde die Träger:innen meiner Existenz. Wo und wann entlasse ich die Gehilf:innen aus meinem Dienstfeld, wann trink ich Champagner und proste den Göttern zu!? Der erhellte Blick folgt all den Widerständen, die sich langsam aber sicher aus dem Staub machen. Das kann man, wenn man möchte, als einen Beitrag sehen an das Weltgefüge. Oder auch nicht. (Bedenke den Preis).

 

*Aubergine

fragil

Es ist ja auch nicht so, dass „der Tod“ nur ein Gespenst ist, der die Schauermärchen in die Wohnstätten trägt. Nein, er lungert an vielen Orten herum, tanzt quer durch alle Gesellschaften hindurch, und gerne darf man mal die herrlichen Ausstaffierungen betrachten und bewundern, die er zuweilen mit sich bringt, damit den Ritualen Rechnung getragen werden kann. Dann die schwer greifbare Eleganz seiner Auftritte in diesen Gewändern, ganz souveräner Meister der jeweiligen Aufgabe. Überall sehen sich Nacken genötigt, sich dem Unausweichlichen zu beugen, am besten freiwillig, bevor das gefährliche Instrument des Widerstandes zum Scheitern der Choreographie führt. Immerhin will auch Sterben gelernt sein, scheint es doch trotz aller Widrigkeiten ganz und gar von innen her lenkbar zu sein, also höchstpersönlich. Es gibt Sammlungen von Sätzen, die Menschen gesagt haben sollen, wenn sie bereit waren für die mythenumwobene Reise. Oder man leistet sich einen Heldinnentraum, in dem man den Henker gelassen und humorvoll bittet, den Schierlingstrunk zu reichen, also danke!, ich weiß, wann ich sterbe. Aber wenn die eigene Zeit noch nicht da ist, weiß man es eben nicht. Man weiß aber, dass das sogenannte Ende mit dem sogenannten Anfang etwas zu tun hat. Etwas klärt sich auf. Man kann sich selbst die ganze Story erzählen. Oder war man etwa nicht dabei? Oder wie war man dabei oder wann fing das Dabeisein an, oder als wer war man unterwegs, oder ab wann wusste man, dass man sich selbst zuwenden kann, sich kennen lernen sozusagen. Damit es einem selbst gelingt, den Staub der Normen zu durchbrechen, und man frischen Atem in die oft dröge Erzählung zu bringen vermag.

 

Fremdling

Ein Fremdling wollte sich selbst
begegnen und fragte sich wie.
Da erschuf er einen Ort, wo nur
er war. Doch obwohl er dort nur
mit sich selbst wohnte, wusste er
nicht, wen er als sich selbst mit-
gebracht hatte. Er blieb lange, sehr
lange, Haar und Bart wurden weiß.
Seht!, sagten die Anderen, das ist
einer, der sucht nach sich selbst.
Und bauten ihm ein Denkmal, an
dem sie sich aufrichten konnten.

wortlose Saga


Das auf den weiblichen Körper aufgesetzte Ginko-Blatt symbolisiert Lebenskraft und verheißt Wunder
Diese Figur haben wir neulich in einem Irgendwo gesehen, und Lebenskraft und Wunder, die der (mir unbekannte) Künstler wohl ausdrücken wollte, sind bei uns im Haus gerade besonders willkommen. Selbst das Wunder, in kleinen Dosen empfangen und erzeugt, soll Raum haben, wann es will, aber was will es. Eine Diagnose, die wenig Raum lässt für Wunder, ist vermutlich eines der Erlebnisse, das am schwersten zu tragen ist. Da lebt sie noch mit uns, unter uns, Claudia, und die Mondfrau löst sich langsam aus ihr hervor, die Maria aus dem C.M., die Ophelia, die Hamlet entglitt, sie selbst als sich selbst. Wir sind die Begleiterinnen. Unsere Sprache weist hin auf die Gärten des Augenblicks, wo das Geliebte sich findet. Dort trifft, (endlich) ohne Widersacher, das Selbst die Vorboten des Leisen. Worte enthalten einen guten Tropfen Wahrheit, wenn sie lebendig werden und sich einordnen lassen in das Feld des Durchdrungenen. Das Sterbenmüssen ist ein schwieriges Denkfeld, eigentlich müsste man es lassen, aber dann doch nicht. Das Leben selbst hat ja Ewigkeitsgehalt, zumindest kommt es einem so vor, dass das Spiel niemals enden kann. Also das Spiel mit uns Darsteller:innen, das so dahinfließt von Montag zu Montag, und auf einmal: Dritter Akt, also doch ein Ende, während die Anderen weiterspielen, ganz skandalöse Unausweichlichkeit. Und ist das jetzt hilfreich (wenn man noch könnte), zu denken, dass es weitergeht „danach“,  es einem also gelungen ist, die Tür zu finden und zu öffnen, und tritt hinaus in den körperlosen Raum (als ein du-freier, zärtlicher Stern?), und was dann, gebündelter Geist, immense, wortlose Saga: wohin?

dankbar

Herbst. Das Ganze rinnt so dahin, eingebettet in seine eigene Wirklichkeit. Keine Götter weit und breit, wo sie doch so schön und tröstend sind, wie große Vögel oder Engel, als wir die Schwingungen noch in den Schwung der Flügel übersetzen konnten. Leicht gesagt: Die Wahrheit ist nackt. (Darf sie deshalb nicht ausgehen?) Oder sie will gar nicht auf ihrem freien Willen beharren, sondern, wie alles Lebendige, nur sich selbst sein, und damit ist man nun endgültig allein. Akela ana – akela jana (Hindi für): allein kommen, allein gehen. Aber meist sind doch die Anderen (ich schreibe die „Anderen“ immer groß, wegen der Unheimlichkeit), also die Anderen sind meist da, und da kommt es darauf an, an welchen wesentlichen Punkten Verbindungen möglich waren und sind, ohne dass sie zu Gefängnissen wurden. Es hängt ja nicht von unseren Meinungen ab, wie jemand sein oder ihr Leben einrichtet, aber dennoch ist es eine Quelle der persönlichen Freude, teilnehmen zu können an gelungener Akrobatik, ich meine im ganz allgemeinen, täglichen Sinn, dass Menschen zufrieden sind mit ihrem Konstrukt. Denn irgendwann summiert sich die Reise zu einem schwer oder leicht bezahlbaren Aufenthalt, man kommt ja nicht ohne Kosten durch und davon. Und dann auch das Kostenlose, das Unbezahlbare, die kostbare Selbstbestimmung, die einem im Rahmen des Spiels ermöglicht wird. Da kann man immer mal wieder zutiefst dankbar sein.

die Ayesha

Heute früh um 5 Uhr deutsche Uhrzeit habe ich in Indien, wo es dann 9 Uhr 30 war, bei der jungen Frau in Jodhpur angerufen, die heute ihren achtundzwanzigsten Geburtstag feiert und die ich gerne bei Gelegenheit „meine Tochter“ nenne. Vor 28 Jahren also war das, als mein Fuß auf einer staubigen Straße gegen ein weiß/graues  Bündel stieß und eine kleine Bewegung unter dem Tuch sah. Ich hielt es in erster Wahrnehmung für ein verendendes Tier, aber dann, als ich nachschaute, war es ein winziges Kind. Ich stelle fest, dass es kaum möglich ist, sich wirklich zu erinnern. Wir erinnern uns an Geschichten, eigene Konstrukte, persönliche Belichtungen. Aber trotzdem ist sichtbar und spürbar, wenn etwas gelingt: die Verbindung der Menschen untereinander, die wunderbare Mühe, um ein Herz zu ringen, und dann auch kein Ringen mehr. Selbstbestimmte und befreiende Handlungen, Pausen, Erholungen, Lehrgänge. Die junge Frau, das Geburtstagskind, ist dann kurz nach ihrer Geburt 6 Monate lang bei mir aufgewachsen. An dieser Stelle danke ich gerne den Forschungen der Bindungsanalytiker:innen, die dem Erleben dieser Kleinstkinder neues Interesse widmen, also: was erfahren die eigentlich im Mutterleib und dann draußen. Meine Mutter dachte auch noch, die, also wir Kinder, kriegen nichts mit. Ich habe das Kind dann „die Ayesha“ genannt, das war den Adoptiveltern etwas zu muslimisch, seitdem heißt sie Asha, das bedeutet Hoffnung. Die ersten sechs Monate also zusammen, sie und ich. Ich keine Ahnung von Wesen dieses Alters, aber das war dann eine wirklich schöne Überraschung, weil doch alles sehr gut ging. Es kann sie immer noch in der Tiefe schmerzen, dass sie nicht weiß, warum ihre Mutter sie derart abgelagert hat, aber wir haben zusammen eine Geschichte konstruiert, die dem wahren Vorgang entsprechen könnte. Nun ist sie verheiratet mit einem sympatisch wirkenden Mann, arbeitet als Lehrerin und ist very busy und anscheinend sehr zufrieden im Haushalt ihrer Schwiegereltern. „Machen Sie sich keine Sorgen um sie“, sagte der Hindupriester, den ich damals konsultiert hatte, „sie kommt, wo auch immer sie landet, bestens durch. Sie hat attraction power.“

spüren

Ein Gast in unserem Haus schaute neulich auf eine der Wände, auf dem zur Zeit das Wort „anfangen“ steht. Er meinte dass, wenn er es sieht, er gleichzeitig das Wort „aufhören“ sieht, und sicherlich ist es richtig, dass sich die beiden ständig begleiten. Dann gibt es die vielen Varianten, bei denen Prozesse ablaufen zwischen Anfang und Ende, da kann man dann gleich „Leben“ dazu sagen. Die Spanne kommt einem unterwegs groß vor, und sie ist es ja auch, gemäß den eigenen Kriterien, die man für sich selbst erschafft auf der Wanderung. Es ist wie das Wandern selbst: viele würden gerne, können aber nicht, oder wenden sich anderen Dingen zu, oder kommen aus irgendwelchen Gründen einfach nicht dazu, in die Bewegung also, in den Rhythmus des Ganzen. Und wo und wodurch auch immer Knechtschaft sich manifestiert hat, so ist es nie der Rhythmus des Ganzen, sondern eher die Krankheit und der Missbrauch des Angebotenen. Und das, was zur Norm hin gedeiht, kann gerne geprüft werden. Denn das Spiel kommt früher oder später todsicher zum Ende, dann will man doch spüren können, dass der Wind weht.

gelöst

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Das scheinbar Unmögliche, gelöst mit
vollendeter Eleganz
An der Glastür zu meinen Räumen hängt immer noch das inzwischen verblichene Wort: Wortfindungsamt. Es war mit der Post auf einer Karte erschienen, das Wort, und ich fühlte mich sofort angesprochen und stellte mich innerberuflich  selbst als Angestellte ein. Lange Jahre hatte ich das Praktikum durchwandert, nur Papier kannte meinen Anspruch an Worte, meine Befreiung durch sie, meine fragile, aber dennoch stabile Leiter heraus aus den Abgründen des Unbewussten, um irgendwo im Oben hinausgesprudelt zu werden an der Rundung des Wasserfalls. Dann Worte, die freiwillig zur Verfügung standen, nur in kleinsten Menschenkreisen verfügbar, da aber ordentlich. Und immer, wenn man sie wirklich suchte, die Worte, fand man sie auch, das hat sich auch nicht geändert. Was sich geändert hat ist der Antrieb zum Wort, obwohl die Schatzkiste gut angefüllt ist, das Findbare also weitgehend vorhanden und jederzeit erweiterbar, wenn so gewünscht. Nun aber, oder gerade dann, dehnt sich (sehnsüchtig?) das Wort zum Wortlosen hin. Dort lagert der Staub. Man nahm an, dort wohne die Selbstverständlichkeit in silenzio. Aber nein, dort wohnen Geschichten, die keinen Zugang fanden zum Tageslicht. Man kann sie entlassen. Der Asche den Vorrang geben, dem Gold aus dem Brutkasten des Nichts (und selbst dann noch zur Heilung geeignet).

 

Erster September


* Ein Wesen fehlet euch, und alles
ist entvölkert
Wenn einem die Notwendigkeit der Praxis des Schweigens klar wird, und man das Glück hat, sich darin wohlzufühlen (in der befruchtenden Einsamkeit), dann wird man sicherlich auch das Wort schätzen. Das quält einen dann nicht mehr, dass etwas scheinbar nicht kann, denn es kann ja. Es kann reden und verbinden und gestalten und sich in jeder Hinsicht schöpferisch betätigen. Es kann durch ein paar zusammengefügte Buchstaben ganze Welten erfassen und begreifen, von welcher Art und von welcher Weise es ist, dann gelingt der tragende Klangteppich. Das Zusammenspiel nimmt alle unnötige Schwere in sich auf. Man bleibt sich selbst mit dem persönlichen Notenblatt, oder dem Script, oder an dem Platz, an den das kosmische und oft genug auch komische Drama einen gesetzt hat, nicht ohne die eigene Zustimmung. Immer wieder sind wir es gewesen, auf jeder Etappe,  auf jedem verfügbaren Level, die (bewusst oder unbewusst) unsere Zustimmung gegeben haben zu dem, was mit uns geschieht. Ob ich nun das vorhandene Geist-Potential als etwas erkenne, mit dem ich mein Schicksal zumindest mitformen kann, das muss irgendwann einmal von einem gedacht werden, und die Möglichkeiten, die es beinhaltet, ausgelotet. Und entsprechend den Beobachtungen und der notwendigen Übung des einem Einleuchtenden kann man daraus die Konsequenzen ziehen, denn Resultate sind ja früher oder später vorhanden. Und so begleitet uns, wenn auch als Eleganz des Ungewissen an sich, der Tod die ganze Zeit. Bis es Zeit ist zu irgendeiner unverrückbaren Stunde, uns möglichst mühelos (und schmerzlos) darauf einzulassen.
* Satz: Alphonse de Lamartine

 

Weg-sein

  *
Das vorausgedachte oder  stattfindende oder schon stattgefundene Wegsein eines Menschen (vom Lebensprozess) kann so viel Verschiedenes auslösen, dass man versteht, warum auch das Verlassen des Planeten, wie ich es gerne nenne, ein sehr individueller Vorgang ist. Auch als Begleiter:innen des Vorgangs drängen sich unwillkürlich die Fragen oder die Gedanken auf, die um das unlösbare Rätsel kreisen. Was ist das Rätsel? Geht es um die vielen Einzelteile, die man zusammenfügen gelernt hat, um durch die Klarheit des entstehenden Puzzlebildes einen Überblick zu bekommen, wie denn das ganze Drama des menschlichen Erdaufenthaltes für mich persönlich gelaufen ist, oder überhaupt: der Blick! Der Blick auf diese Welt, den ich selbst gesteuert habe, da niemand anderes Zugang hatte zu diesem Sicherheitstrakt außer mir. Ich meine natürlich jedes Ich hat diese Gehirnkammer, in der die wesentlichen Dinge entschieden werden, außer man hat sich geistig in die Sphären der Anderen so eingelassen, dass man glaubt, sich in der eigenen Welt zu bewegen. Auch das birgt Gefahren, und wer weiß nicht, wie klein die Welt werden kann, wenn wir nicht aufpassen auf unsere Reichweiten. In Indien hätte man jederzeit in eienm Zugabteil den einleuchtenden Satz „Stirb, bevor du stirbst“ erwähnen können, ohne Widerstände dadurch hervorzurufen. Aber hier im Westen habe ich ihn dann wegen der Missverständnisse nicht mehr gesagt. Bewegen wir uns aber in der Nähe eines Sterbeprozesses, erkennt man durchaus den lichten Kernpunkt des Satzes. Das Überflüssige, in dessen Wasser man sich gerne bewegt, tritt hervor ohne Maske. Überhaupt fallen die Masken. Doch Krankheit und Tod sind nicht automatisch mit Liebe verbunden. So muss bzw. kann man all das, was man dachte zu wissen, noch einmal frisch bedenken, oder einfach den Blick schärfen auf das Daseiende und sich selbst vertrauen, dass einem das Angemessene nicht nur einfällt, sondern auch zufällt.

 

*C.M.Brinker

Ausdruck

Es war einmal ein Mensch, der rief
die Götter um Hilfe, da er seinen
Ausdruck suchte und ihn nicht fand.
Die Götter staunten. „Aber du bist
der Ausdruck!“ riefen sie ihm zu.
„Es gibt keinen anderen Ausdruck
von dir, es gibt nur e i n e n, und der
bist du!“ Doch obwohl die Götter
die Stimmen der Engel einsetzten,
leuchtete es dem Menschen nicht
ein. Und wenn ihr ihn trefft, erinnert
ihn daran. Unbedingt!

unbedingt

 

Wenn Menschen bewusst wird, durch eine Diagnose, die keine Strohhalme mehr zulässt, oder durch die Eingebung, dass der Aufenthalt auf dem Planeten seinem Ende zugeht, steht den Mechanismen der Veränderung nichts mehr im Wege. Auch sie müssen wahrgenommen und zugelassen werden, alle Bezeuger:innen sind beteiligt. Der eigene Tod wird fast wie nebenher erkannt als ständiger Begleiter. Nicht, dass man die Möglichkeit hat, sich ständig damit zu befassen, nein. Man muss sich früher oder später damit befassen, und wenn man einen sterbenskranken Menschen begleitet, kann man vieles lernen, was davor nicht möglich war. Heute dachte ich zum Beispiel, dass vielleicht ich es bin, die am Leben so hängt, dass sie es unbedingt erhalten möchte. Dabei kann jeden Nu der eigene Atem stocken, und dann stoppen, und dann hoffentlich den Körper nicht mehr zwanghaft halten wollen, so, als hätte uns das japanische Sprichwort nicht belehrt, dass es Wichtigeres gibt als das Leben. Aber wann ist das, und durch welche erhabene Erkenntnis wird dieser Gedanke emporgeboren? Ist nicht jeder Windhauch gerade dann besonders schön, jedes Lächeln einmalig, die Bühne noch offen für Auftritte. Dann versagt zur rechten Zeit auch die Vorstellungskraft, denn hier kommt das große Unbekannte und zeigt sich in der persönlichsten, vielleicht der intimsten Form. Man staunt, dass alles noch Überraschungen birgt: Worte, Begriffe, Persönlichkeiten, aus deren Schatztruhen das Unsterbliche fließt, denn das, was mit uns gekommen ist und mit uns geht, das hat sich gesammelt und wird wenn man Glück hat, jetzt als das Einzigartige wahrgenommen. Da hat man als Zeugin des Vorgangs keine andere Wahl, als aufmerksam zu betrachten, was auch Geschenk ist.

nachdenken

 
Saphira
Als ich vor einigen Wochen in einem Krankenhaus meine Cyborg-Identität aufbauen konnte (wobei ich körperlich herzlich wenig Wahlmöglichkeiten hatte), fiel mir ein buntes Blatt an der Wand des Krankenzimmers auf. Es zeigte eine Schmerzpyramide. Unten, auf der breitesten Ebene, waren die gelben und freundlichen Farben, und je höher es ging, desto feurig roter wurde es, der Gipfel des Schmerzes also oben und brandrot. Jeder auftauchende Arzt stellte die Frage, auf welchem Level des Schmerzes man sich befand. Das widersprach all meinen  Vorstellungen eines Pyramidenkraftfeldes, das auf der untersten Ebene das jeweilige Potential der Spieler:innen auslotet und aktivierend unterstützt, wenn sie dort ankommen, also auf dem letzten Teil der Ich-Reise, wo es (noch) auf etwas ankommt. Und dann geht es natürlich weiter bis zur Spitze, wo man sicherlich bei noch lebendigem Leib die Grenze der Materie verlassen kann und sich vertrauensvoll der Leere überlassen, die man nun als das eigentliche Potential erkennt. Trotzdem war das Modell der Schmerzpyramide durchaus hilfreich, und dankbar registrierte ich die Leichtigkeit, mit der ich zwischen Level 0 und Level 2 jonglierte. Wir können ja den Schmerz der Anderen nicht wirklich kennen, oder nur dadurch, dass wir selbst Ähnliches erlebt haben. Aber was spielt da nicht immer alles mit! Das ganze (persönliche) Leben mit all seinem von außen schwer erkennbaren Epos und zuweilen als dramatischer Opernumhang hinter einem herwehend. Die Helfer mit den Schnüren, die man vielleicht nicht zur Verfügung hatte (wie z.B. Odysseus), um den oft tödlich endenden Verlockungen des großen Gaukelspiels widerstehen zu können. Die entglittene Lenkfähigkeit, die notwendige und nüchterne Einschätzung der eigenen Bedeutung…slosigkeit, immer alles in Maßen. Zuerst also: Erkenne dich selbst, und dann (am zweiten Tor): alles in Maßen. Und ist es „nur“ Glück, dass man von den Toren, den Ebenen und den Stufen gehört hat, „nur“ Schicksal, mit dem man notgedrungener Weise umgehen muss. Und da es offensichtlich (für einen selbst und die Anderen) darauf ankommt, wie man das Ganze täglich, stündlich und sekündlich handhabt, bleibt einem praktisch nichts anderes übrig , als über das Wesen des Geistes nachzudenken.