geschehen


Entschwundenes Reisen
Ich liebe den indischen Begriff ‚Maha Lila‘, das ‚Große Spiel‘, der das ganze Weltengetümmel auch als ein gigantisches Drama bezeichnet, und in einem indischen Zug kann man so gut wie mit jedem Reisenden dieses Verständnis abnicken. Oder sollte ich ‚konnte man‘ sagen, da auch in den Zügen nun eher die Besessenheit mit dem Smartphone vorherrscht als die Freude an gelingendem Gespräch. In Deutschland bin ich aber doch sehr vorsichtig geworden, dieses glückhafte Konzept z u sorglos zu erwähnen, denn mit Recht wird eine reale Einschätzung des Leidens erwartet, die sich mit ‚Spiel‘ schlecht verträgt. Natürlich wird es dort gar nicht als oberflächliche Sichtweise betrachtet, sondern als kaum auslotbare Tiefe, wenn man in sich selbst zu dem Ort gelangt, wo man wahrnehmen kann,  dass es durchaus um den eigenen Spielstand geht, also da, wo gar nicht mehr (viel) gezockt werden kann, sondern man gar keine Wahl hat, als den persönlichen Einsatz zu geben, ohne auf das Klimpern der Münzen zu warten. Nein, einfach weil man ins Spiel gesetzt wurde und dann herausfinden muss oder kann, wie es geht. Mit ‚groß‘ ist in Indien natürlich die Götterwelt gemeint, denn offensichtlich traut man den Menschen gar nicht zu, dass sie die Verantwortung für sich selbst übernehmen können, wollen sie doch vorrangig von all den Anderen, die im persönlichen Umfeld auftauchen, bestimmt werden. In der Covid-Krise kann man sehr gut beobachten, wie selbstverständlcih es ist für die meisten Menschen, sich von einem Oben bestimmen zu lassen. Dann ist mein Spiel immer mit dieser Außenbestimmung verhaftet, und die automatisch in Bewegung kommende, ungünstige Form der Abhängigkeit kommt ins Rollen. Gibt es eine günstige?  Und so schaue ich zur Zeit mit trauerbeladenem Blick auf mein Indien, so herzensnah in der eigenen Spielweise, so lange verständlich im Ungreifbaren, so mitreißend wirklich und ausgeliefert im direkten Kontakt, im lebendigen Nu, oft kostbar durch seinen noch spürbaren Ernst des Hineingeworfenen mit all seinen dramatischen Auswirkungen des Schicksals, ja, klar, selbst erzeugt durch viele Leben hindurch (nicht (mehr) meine Auffassung) und dadurch am Anfang und am Ende des Tunnels ein Lichtblick, eine weitere Chance für Vermasseltes. Und überhaupt weiß man es ja selbst gar nicht besser, und so schliddert der Hindu zum Guru hin, wie so viele Foreigners auch zu dem sogenannten Wissen hingeschliddert sind, und manche sind davon ein Stück mehr erwacht, und manche ein Stück mehr eingeschlafen. Viel ging es darum, wie man den Turbulenzen des Spiels gewachsen sein kann, wie das Unvermeidliche handhaben, wie die natürliche Souveränität des Selbstseins erringen, da niemand sie anbietet und man damit ziemlich allein ist. Wenn ich also heute das indische Verständnis des Spiels bedenke, so kommt es trotz der erschreckenden Lage des neuen indischen Virus-Tsunamis in mir zu einem Lächeln. Denn auf der indo-germanischen Straße ist wieder ein Austausch geschehen. Indien, das Land, wo viele von uns das Atmen gelernt haben, bittet Deutschland um Sauerstoff, weil die Regierung verpasst hat, sich um das eigenen Volk rechtzeitig zu kümmern. Die Höhe des kollektiv verbreiteten Wissens, also bis zum kleinen Teashop hin, hat auf einmal die große Grenze des Spiels erreicht (wenn es denn eine gibt). Die Unverhältnismäßigkeit zwischen Unmenschlichkeit und Waffenkauf kann (zum Beispiel) durchaus in Frage gestellt werden und erfasst als bedrohlichen Schicksalsschatten. Was ist geschehen?

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