Carolin Emcke

Carolin Emcke: Kämpferin gegen den Hass | Bücher | DW | 22.10.2016

Normen als Normen fallen meist nur denen auf, die ihnen nicht entsprechen. Wer eine weiße Hautfarbe hat, hält die Hautfarbe schwarz für irrelevant, weil im Leben eines Weißen in Europa Hautfarbe irrelevant ist. Wer heterosexuell ist, hält die Kategorie sexuelle Orientierung für irrelevant, weil die eigene sexuelle Orientierung im Leben eines Heterosexuellen irrelevant sein kann. Wer einen Körper besitzt, in dem er oder sie sich wiedererkennt, dem erscheint die Kategorie Geschlecht selbstverständlich, weil dieser Körper niemals in Frage gestellt wird. Wer den Normen entspricht, kann es sich leisten zu bezweifeln, dass es sie gibt.

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Aber das ist es, was ich fordere: dass wir ein präziseres Vokabular entwickeln für unsere Schmerzen an und in der Demokratie, dass wir immer genauere, immer feinere, immer zartere Worte und Beschreibungen finden für das, was uns fehlt, dass wir die Begriffe, die uns verletzen, die Praktiken, die uns ausschließen, die Gesetze, die uns diskriminieren, übersetzen in Erfahrungen, die so genau, so kleinteilig ausbuchstabiert werden, dass sie auch diejenigen verstehen, die sie nicht kennen, dass wir auf diese Weise erkennen, was das Gemeinsame sein kann und muss und was das Individuelle, und dass wir auf diese Weise auch innerhalb der Kollektive, denen wir gerade zugeordnet werden, neue Verschiedenheiten und Vielheiten entdecken und zeigen können.

Aus: ‚Weil es sagbar ist‘


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