Drachen-Fest

Es ist erst 7 Uhr morgens, doch schon werden auf verschiedenen Dächern der jeweiligen Umgebung die Lautsprecher aufgestellt und auf höchste Lautstärke eingetuned. Man zuckt zusammen, obwohl man weiß, dass heute Sankranti ist, das Drachenfest. Tierliebhaber und Tierärzte-und Ärztinnen rüsten sich seit Tagen, vor allem für verwundete Vögel, die im Gewirr der Fäden hängenbleiben. Andere Ärzte kümmern sich um Motorradfahrer, deren Nasen unterwegs verletzt wurden, und man muss tagelang tierisch aufpassen, um nicht mit den Füßen in überall herumliegenden Fadennestern hängenzubleiben. Die Zeitungen berichten von den „Killer-Manjhas“ aus China (die verboten sind und überall unter dem Ladentisch verkauft werden), das sind Strings mit winzigen Glasscherben, mit denen man den Feindesdrachen aus dem Spiel schneidet. Jahrelang ließ ich mir bis zu hundert Drachen-Prachtexemplare aus Jaipur bringen und verteilte sie einen Tag vor dem Fest in einem bestimmten Gebiet, wo mehr Hütten stehen als Häuser. Aber seit ein kleines Mädchen, die vorne, wie hier üblich, auf dem Motorrad ihres Vaters saß und durch eine quergespannte Schnur geköpft wurde, habe ich keine Lust mehr auf das Fest. Im Laufe des Tages füllen sich die Krankenhäuser mit von Terrassen und Balkonen gefallenen Kindern, und alle sind froh über die, die lebend davonkommen. Als ich das gestern erwähnte, sagte jemand, na ja, das ist ja jedes Jahr so, das gehört eben auch dazu. Klar, auch das Oktoberfest würde niemals abgeschafft werden, „nur“ weil ein paar Frauen von Besoffenen belästigt oder vergewaltigt werden. Man kann sich über alles eine Meinung bilden und es auch wieder lassen, oder Konsequenzen ziehen, wenn angebracht. Leider kann man auch die Mütter nicht warnen, denn man weiß nicht, und auch sie wissen es noch nicht, wen es dieses Jahr treffen wird, weil man das Kind nicht vom Spiel zurückhalten wollte. Auch die Affenherde, die jeden Tag an meinem Fenster vorbeizieht, hat sich schon aus dem Staub gemacht. Ich bin auch gleich unterwegs, mit wenig Aussicht auf leisere Töne. Aber draußen gibt es überall super leckere Pakoras, und alle, wirklich alle, laben sich an dem köstlichen Zeug, manche süß, manche gewürzt. Das gleicht zumindet die unmenschliche Bedröhnung etwas aus. Und los geht’s.

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