proben

 

 

Dieses Tier, das man hier im Video erst im Wasser, dann in panischer Flucht vor den Menschen sieht, kam gestern aus dem naheliegenden Dschungel, wo es, den lokalen Vermutungen entlang, von einem Raubtier gejagt wurde. Sie nennen es einen Hirsch oder eine Rehkuh, aber ich weiß nicht wirklich, was es ist. Wir haben es zufällig vom obersten Stockwerk des Hauses aus gehört, nein, nicht das Tier, sondern das Menschengeschrei, und wie meistens war ein Smartphone zur Hand. Was mich berührt hat an der Szene war dieses weitere Beispiel des Unterschiedes zwischen einer Empfindsamkeit dem Lebendigen gegenüber und der Schaulust, die Menschen zu allem Möglichen treibt. Das ist wie auf den Autobahnen, wenn die zuhilfe Kommenden nicht durch die Meute der Schaulustigen gelangen, weil auch von allem, was die eigene Lebensödnis vertreibt, ein Schnappschuss gemacht werden muss, damit man wenigstens technisch dabei war beim Schrecken. Das scheue Tier raste also in panischer Angst durch das anhaltende Menschengekreische, und ich weiß, das kann man nicht erwarten, dass hier eine andere Einstellung vorherrscht, denn die hätte ja vorher schon stattfinden müssen, lange vorher in der relativen Zeit. Dann kamen unvermeidbar die weiteren Bilder von den verheerenden Bränden in Australien, eine geschätzte halbe Milliarde Tiere verbrannt in den Feuern, und immer mehr Menschen, die ohnmächtig zuschauen, wie ihre Häuser verbrennen. Wir sagen und fühlen ja in dieser Zeit alle immer mal wieder die Grenzen des Fassbaren und können nicht ständig von allem berührt werden. Oder kaum lässt man die auch notwendige Berührung durch das Schicksal Anderer zu, kommt schon der nächste Hammer, für den man kaum mehr Kraft aufbringen kann. Die erste Mail, die heute zu mir kam, zeigt einen derartigen Gewaltausbruch in Delhi, das ist kaum mehr zu bremsen und wirklich schon auch sehr nahe zu unserem heiliggesprochenen Örtchen, wo eh schon alles und alle im Duplikat der Illusionen leben. („Duplicate Maya“, ein von mir geschätzter Begriff indischer Seinsgrübler). Nicht, dass es zu sehr auffällt. Oder doch, es fällt schon vielen auf, aber das bewegt, wegen der vorprophezeiten Zukunft, noch keinen Strohhalm. Es ist dieses Jahr in meinem Denken öfters vorgekommen, dass mir meine eigene luxuriöse Befindlichkeit und Behausung nicht immer ausgleichend genug erscheinen zu all den weltlichen Schaurigkeiten, denen Mensch und Tier und der ganze planetarische Organismus ausgesetzt sind. Immer wieder aufs Neue weiteres Nachdenken darüber, welche Art von Beitrag wirklich erfordert und angebracht ist. Und immer noch Nelson Mandelas anregende Worte im Ohr, wie viel Mut es doch kostet, um das Gute und Schöne zu ringen, vor allem, wenn man nicht durch die unzähligen Angebote der Ichverhaftung selbst dem Einflus des Lichten, sprich: der Freiheit des geistigen Vorgangs, im Weg steht. Ja, alles war schon mal da, schon gut, schon gut, aber wer hätte gedacht, dass diese Verdichtungen des Dunklen uns einmal so viel abringen, unserem Geist, unserem Herzen, unseren Körpern. Vielleicht ist es tatsächlich eines (fernen) Tages eine Art neuer Mensch, der aus dieser Finsternis eine Geburt nimmt, die Mord und Totschlag hinter sich lassen kann. Man kann ja in der Stille der Räume schon mal mit den Proben beginnen.

One thought on “proben

  1. Anja Antworten

    Macht, Habgier, Sucht, Neid, Missgunst, Bequemlichkeit, Schaulust… alles schaurige Dramen unmenschlicher, krankhafter Veranlagung! Das Leid, dass dadurch entsteht in Familien, Städten, Völkern, Ländern, auf der ganzen Erde ist kaum zu ertragen. Ich hoffe und bete… und probe!

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