schärfen

In Joe Bidens Schuhen möchte ich auch gerade nicht stecken. Nicht, dass es jemals ratsam ist, außer in Ausnahmefällen, die gedanklichen Füße in die Schuhe eines Anderen zu senken. Auch das Herumstreifen im Weltgefüge kann unerwünschte Beklemmungen hervorbringen, obwohl man weiß, dass man gefeit sein muss gegen den möglichen Ansturm des Unfassbaren. Denn das Sortieren und Einordnen bleibt einem ja nicht erspart, und selbst die Empörung hat ihre Grenzen, wenn sie von einem selbst nicht reflektiert werden kann. Warum ich Joe Bidens schicksalshafte Position überhaupt erwähnenswert finde, ist vor allem wegen der Tragödie, die sich dort abspielt und gerade als Welttheater  einiges Lernenswerte zeigt.  Joe Biden wird als Präsident sehr lange besonderen Polizeischutz brauchen, denn fast die Hälfte des Landes wird weiterhin tobend behaupten, er hätte die Wahl gestohlen. Ein Philosoph (M. Gabriel) erwähnte neulich, die Demokraten seien genauso schlimm wie die Republikaner. Mag sein, aber diese Bemerkung fand ich im Kontext des Vorgangs überflüssig, denn Biden ist hier gerade nicht der Psychopath, dem es erfolgreich gelungen ist, die potentielle Demokratie des Landes auf Jahre hinaus zu schädigen, wenn nicht zu vernichten. Und heute scheint es erstaunlicher denn je, dass Obama das Ganze lebend überlebt hat, man hatte durchaus Zweifel, ob das gelingen würde. Dass schwarze Haut immer noch nicht viel matters merkt man auch daran, dass der White House Wüterich gerade Exekutionen anordnet. Vorgestern wurden zwei Männer durch diesen Befehl aus der Welt katapultiert, beide dunkelhäutig mit infrage stehenden Fällen. Eine der wenigen Frauen, die jemals exekutiert wurden, wurde schon benachrichtigt über ihren Sterbetag. Eine Anwältin kommentierte den Fall und meinte, diese Frau hätte von Kindauf nur Missbrauch und =Vergewaltigung erfahren, bis sie den Verstand verlor und etwas, ja, Schreckliches tat. Sie meinte, die Todesstrafe wäre für solche Fälle nicht vorgesehen, nämlich, dass man der Frau jetzt auch noch den Rest ihres Lebens nimmt. Ich fand das immer den Höchststand menschlicher Überheblichkeit, dass es die Todesstrafe gibt. Niemals würde ich das diskutieren wollen, denn ich könnte jenseits der Abschaffung der Todesstrafe für keinerlei Argument offen sein. Natürlich wäre es gut, wenn alles Mögliche für die Menschen der Welt tabu wäre, und es ist nicht immer nur der Schleier der Naivität, den es hier zu zerreißen gilt. Es wird auch grundsätzlich immer wahr bleiben, dass, wenn keiner in den Krieg geht, es keinen Krieg geben kann. Und es ist und bleibt wahrlich erstaunlich, dass es um den amerikanischen Präsidenten herum keinen einzigen Menschen gibt, der ihm gewachsen ist. Wann ist man etwas gewachsen? Auf jeden Fall, wenn man bereit ist, sich auf die beste und förderlichste Handhabung des Geschehens einzulassen, für sich selbst und für Andere. Man sieht ja, wenn das nicht funktioniert, wie niederträchtig das Ganze wird, wenn hier alles bessere Wissen wieder einmal einem Diktator geopfert wird. Man kann beobachten an manchen Gesichtern, wie das Hinunterwürgen von besserem Wissen und Gewissen eine seltsame Verzerrung hervorbringt, die sich dann langsam einnistet in das als ’normal‘ Deklarierte. Man hasst halt die Juden, und Neger gehören an den Strang. Mit solchen Fehlleitungen wird man ja nicht geboren, nein, aber man ist ihnen auch nicht verpflichtet. Zwischen dem Dort und dem Heute liegen immer die dunklen Korridore und geheimnisvollen Prüfungen an den Schaltzentralen und Hinterzimmern der Gedanken, wo die großen Entscheidungen ungesehen gefällt werden. Auch der Rückwärtsgang funktioniert da gar nicht, denn es gibt kein Zurück. Was funkionieren kann ist eine willige Einstellung des genaueren Hinschauens, die Schärfung also der eigenen Wahrnehmung.

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