menschenmöglich

Gerade hatte ich noch vor den 7 Uhr Nachrichten den letzten Satz des Priesters mitbekommen, der meinte, Gott möchte keinen einzigen Menschen verlieren. Woher weiß er das? Wie weit muss ein Glaube gehen, um im absoluten Illusionsdunst zu landen?
Ich weiß von Indien und  der meditativen Praxis, dass hinter jeder Lehre und jeder Schulung riesige Geschichten und Epen sich immer wieder neu erfinden, wenn auch auf ähnliche Weise, denn sonst könnte der religiöse Apparat gar nicht funktionieren. Erst gründet eine kleine Gruppe was, dann werden es immer mehr, und bald kann der simple und wirkungsvolle Grund des Zusammenkommens gar nicht mehr ausgeübt werden, weil so viel anderes auftaucht, um was sich gekümmert werden muss. Natürlich kann sich nichts ständig so erhalten, wie es konzipiert wurde, und jedes Konzept wird früher oder später von anderen Ideen überholt. Und was sich durchsetzt, jenseits von Gut und Böse, bleibt eine Weile da, eben so lange, wie es weiterhin aufrecht erhalten wird, wie auch immer, als was auch immer. Und Ideen können in ihrer Lebenszeit wahrlich sehr fruchtbar sein, und Anekdoten auch, selbst wenn ihr Wahrheitsgehalt meist sehr fraglich ist. Ist der Buddha tatsächlich so tief erschrocken, als er mal sah, wie schlecht es vielen Anderen geht, und er saß bislang herum auf seidenen Kissen und wusste das alles gar nicht. Vielleicht war es noch schlimmer und man hat es bewusst von ihm ferngehalten, und er hatte keine Internetverbindung. Prinzenfrau und Kind ließ er dann einfach zurück und wanderte durch seine Welt, bis ihm einiges klar wurde, was er gerne mitteilte. Er konnte ja nicht ahnen, was seine Followers später alles als seine Weisheit ihm in den bereits verstummten Mund legen würden, und die vielen verschiedenen Mützenfarben usw. Wer bleibt schon 20 Jahre lang irgendwo sitzen und  kontempliert immer nur einen einzigen Satz, wie etwa ‚Das Juwel liegt in der Lotus‘, so als könnten Andere, die noch nie eine Lotusblüte gesehen haben, wissen, aus welcher Quelle das stammt. Oder die unerschütterliche Überzeugungsakrobatik vieler Religionen, die dafür sorgen müssen, dass möglichst ein Hinterfragen nicht erwünscht ist oder gar gefördert wird, sonst wäre das ganze Konstrukt in Gefahr. Es ist ja auch nicht so, dass irgendein Wissen die letzten oder die ersten Fragen löst, nein. Das Wissen, oder der Wissensdurst oder der Wissenshunger oder die Wissbegierde, die halten das Ganze im lebendigen Strom, denn ohne die für einen selbst wesentlichen Fragen zu ergründen und immer wieder neu zu beantworten, das ist die Bewegung, die günstigerweise zur Selbsterkenntnis führt. Nicht nur der Hunger, sondern auch das Sattwerden dienen dem ganzen Vorgang. Auch die religiöse Symbolik dient ohne Vorbehalt zu gewünschtem Erkennen. Das kann natürlich auch der Maulwurf, der außerdem darüber nicht nachdenken muss und nicht weiß, dass er das Tier des menschlichen Jahres sein wird, soweit ich das während der Fahrt richtig verstanden habe. Wenn ich allerdings keine Herberge habe und keine Freunde, die sich kümmern, dann ist es verständlicherweise tröstlich, dass ein Irgendwo eingerichtet wurde, wo Einer, der eben kein Mensch ist, auf einen achtet, damit man nicht verloren geht. Bei allem Respekt für Epik und Symbolik kann ich sagen, dass ich mich schon eine ganze Weile lang mehr auf das Menschenmögliche konzentriere als auf das, was den vielen Göttern möglich sein soll, oder auch nur dem Einen. Insofern stört es mich auch nicht, wenn ich bereit bin, mitzufeiern, denn ja, der Winter ist dunkel und still, und jedes Licht ist willkommen.

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