heiß

Eine meiner ganz persönlichen Theorien über die Geburtsstunde vedischer Weisheit in Indien ist, dass es diese Stunde gar nicht gab, sondern dass die extremen klimatischen Verhältnisse Menschen dazu gezwungen haben, im Sitzen den Extremen zu trotzen, mal dem Eiskalten, mal dem brütend Heißen, und dabei haben manche unter ihnen, überwältigt vom Kräfteaufwand, begonnen, nach Wegen zu suchen, wie man solche Situationen einigermaßen souverän durchlaufen kann. Und da die Berührung mit Extremen eher schweigsam macht als gesprächig, wurde irgendwann das Innen entdeckt und schien so manchem forschenden Geist als fruchtbarer Acker und lohnender Zeitvertreib.  So erleben wir auch hier im Westen während der aktuellen Hitzewelle, dass das System sich selbst herunterfährt und man sich was einfallen lassen muss, um einigermaßen erträglich durchzusegeln. Im Haus steuere ich nachmittags das kühlste Zimmer an, das Gästezimmer, das als einziges einen Fernseher hat mit einer etwas größeren Bildfläche. Wenn kein Gast den Raum bewohnt, ist dort selten jemand von uns zu finden, da jede/r Einzelne in laptopischer Ungebundenheit lebt. Ich schleppe natürlich ein Buch mit, das ich dann trotz der erfreulichen Kühle nicht mehr aufschlage. Da es mich auf meinem Werdegang nie in die Nähe von Fernsehern geschleust hat, fühle ich so eine Art von exotischer Neugier, auch mal ein bisschen herumzuzappen. Ich sehe ein bisschen von den letzten Tagen  des erinnerungsschwächelnden Sherlock Holmes, schaue kurz rein bei Tele5, weil ich von einem Freund weiß, dass dort nachmittags die Raumschiffe der Enterprise Crews unterwegs sind, aber auch da finde ich die Maskierungen der Frendlinge zu extrem. Dann lande ich zum Glück bei Phoenix, denn dort wird live das Verhör von Robert Mueller übertragen. Die Lauterkeit dieses Mannes ist in der Tat wie ein kühler Wind. Man weiß, dass er  nicht hinwollte, denn da sitzen zwei Rudel hungriger Wölfe sich gegenüber, alle an dem einen Mann zerrend, der gar nichts mehr sagen will, weil alles, was er sagen wollte, bereits geschrieben steht. Heute früh höre ich, dass Mueller nicht gut weggekommen ist, offensichtlich, weil keiner ihn provozieren konnte, und ja, es stimmt, er sah ermüdet aus, neun Stunden Verhör sind ja auch kein Klachs, vor allem, wenn man nichts verbrochen hat. Dann schaltete der Sender um auf Boris Johnson, der auf dem Weg war zu seiner ersten Rede. Man muss keine gewiefte Seherin sein, um das Scheitern dieser Groteske bereits vor Augen zu haben. Da ist er nun, der kleine Bruder von Trump. Es gibt ja auch diese Lust am Untergang, wo ein Abbruch gar nicht mehr möglich ist, sondern nur noch der schmerzhafte Weg durch das Verursachte und von so vielen Meinungen Ausgelöste. Und es wird Theresa May nicht schaden, Boris Johnson scheitern zu sehen, kann doch die Weltbevölkerung nun alles selbst sehen mit den vielen Augen und sich dadurch am eigenen Wesen schulen. Und ich muss schon sagen, dass das Maßhalten sich auch beim Fernsehen bewährt. Wenn man also z.B. wie ich einmal im Jahr in einer Hitzewelle durch die Sender zappt, kann man in einer Stunde mehr Welten durchkreuzen, als es einem mit irgendeinem Transportmittel möglich wäre. Nicht, dass man da irgendwo hingehen wollte, nein, es kann einfach mal eine kleine, unterhaltende Weltreise sein, wie wenn man von einem Gehirn ins andere wandert. Am liebsten hätte ich noch mehr von Robert Muellers Verhör gesehen und gehört, die Kamera bringt das Geschehen ja noch näher, als wenn man drin gesessen wäre im Raum. Da war eine stark unterkühlte Grundstimmung. Mueller war mal FBI Chef, das zeigte sich da als hilfreich. Mir kam er trotz dieser anstrengenden Zurückhaltung menschlicher vor als alle, immer lauter und intensiver werdenden Herausforderer. Beide Seiten wollten etwas von ihm, das war von vorneherein zum Scheitern verurteilt, gefolgt von unermesslichen Dummheiten und Unverfrorenheiten aus Trumps Twittermaschine. Ich war unversehens in ein antikes Theater geraten, die Masken und die Demaskierungen wie immer erschütternd und lehrreich zugleich.

 


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