9 (Neun)

„Wir“ Milliarden von Menschen hatten also ein paar kurze Momente eine global und digital gesteuerte Ausrichtung, nämlich (wohl oder übel) die jeweilige Mitte der Nacht zu erwarten, um die Ankunft des Neuen Jahres zu begrüßen, das sich diesmal als eine Neun vorstellt. Auch am nächsten Tag sind Bilder dafür ja nicht zu erstellen, da die eigenen Feuerwerkkörperbilder meist langweilig sind, und auf allen Kanälen massiv gebildert wird. Ich habe diese zwei oben gewählt. Das linke ist von einer Wand, an der ich täglich vorbeikomme, und es eignet sich als freies Feld, denn man kann sehen, was man möchte, oder auch gar nicht(s). Das rechte habe ich mal aus der Times photographiert, weil es so schön zeigt, wie gut und diszipliniert Frauen Bürden tragen können, während die Götter das tiefe Wissen der ursprünglichen Entspannung weiterleiten. Auch die Geburt der Neun kann nicht ohne Komplikationen ablaufen, manchmal braucht es einen Kaiserschnitt. Auch kann man in solchen Nächten etwas lernen, warum nicht. Wie schon erwähnt, hatte ich keine Pläne.  Doch die Technofronten entwickelten sich und der Gemüsehändler riet mir, abends auf den Marktplatz zu kommen, denn da würden „Bacchans“, heilige Gesänge, stattfinden. Da diese Performer auch nicht mehr ohne Lautsprecher und Mikrofone auskommen, war auch an eine kurze Zwischenruhe nicht mehr zu denken. Ich denke, also bin ich? Nein! Ich bin, also kann ich auch meinen Denkapparat einsetzen, um aus dem, was da ist, das mir Bestmögliche zu machen. Ich pilgerte hinüber zu meinen Freunden im Nachbarhaus. Da waren Sänger eines Gurus zugange, die sich im Kreis formierten, mit einer Kerze in der Mitte, Harmonium und Gitarre, alles da. Ich freute mich ein bisschen über mich selbst, dass  keine aggressiven Gedanken in mir aufstiegen, denn ich kann bleiben oder gehen, ganz, wie ich möchte. Ich kehre also ein in meine Räumlichkeit und bemerke, dass sie mir wohlgesinnt ist. Meine Fenster führen hinaus zu den Feuerwerken, alles ist da, was ich brauche. Um das indische Mitternacht herum whatsappe ich ziemlich viel mit denen, die mir am Herzen liegen. Whatsapp macht’s möglich, vor allem in so einer Nacht, wo man davon ausgehen kann, dass Freunde zuhause sind und es sich schön machen für ihren Mitternachtsdurchgang. Und sich um die Tiere kümmern, damit die vor lauter Menschenfreude nicht traumatisiert werden. Hier in Indien ist aber auch alles wirklich sehr laut geworden. Vielleicht ist es ein Bedürfnis, zu erwachen von dem, was jahrtausendelang war, ohne dass irgend jemand es anfechten wollte. Der Weg zum sogenannten Göttlichen war nicht versperrt und nicht verboten. Ein gigantischer Olymp wurde erschaffen, wo jeder und jede seinen und ihren Gott haben konnte, das funktionierte wohl eine lange Zeit ganz gut. Doch welche Göttlichkeit ist dadurch entstanden und zu beobachten? Was ist passiert? Die Notwendigkeit des Beisichseins hat sich eingeschlichen als ein Gedanke, doch noch wird weltweit nicht gelehrt, wie man den Unterschied erkennt. Ich denke, also bin ich? Nein! Ich bin, daher trage ich die Verantwortung für mein Denken. Und wenn ich nicht weiß, wer ich bin, was kann ich dann denken…

Leave a Reply

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert