Govardhan

 

Gut, denke ich mir, sie haben halt i h r e Geschichten, ich habe meine. Man sieht an den Bildern, dass das ganz gut zusammenpassen kann, allerdings nur über die Anwendung einer weiteren Kunstform, der Photographie, die wiederum die unglaubliche Präsenz des Rituals nicht erfassen kann, von dem wir rechts im Bild einen Ausschnitt sehen, nämlich ungefähr hundert kleine Kuhdungfiguren in Menschengestalt, die vermutlich die Leute darstellen, die Krishna rettete vor der Eifersucht des Bruders seiner Mutter. Diese Geschichte lasse ich mir (nochmals) von zwei indischen Touristen erklären, denen nichts lieber ist, als einem Fremdling ihr Wissen weiterzugeben. Mich verblüfft, mit welchem Leuchten in den Augen der Eine von Krishna spricht, als hätte er ihn gerade erst verlassen und wäre noch ganz durchglüht von seiner Präsenz. Nicht der Hauch eines Zweifels darüber strömt durch seine Stimme, dass Krishna, der Gott der Liebe, diesen Berg Govardhan auf seinem kleinen Finger mit allem Drum und Drauf aus dem gegen ihn erzeugten Unwetter getragen hat. Auf der anderen Seite dieser von wilden Abenteuern durchwogten Epen der erweiterte Körpertei des neuen Inders: das Smartphone als purer Machtfaktor einer sich selbst langsam aber sicher entfremdenden Welt. Noch nie habe ich so viele Menschen anderen Menschen Befehle geben sehen, es sind Selfie-Befehle, unter denen jede/r zu der vom photographierenden Diktator gewünschten Maske erstarrt, und das vielfach geübte Gruppenselfiegesicht prägt sich ein in die Lebensspur. Manchmal sehen Menschen auf ihren Bildern so pepostet aus, dass sie sich gar nicht mehr ähnlich sehen. Ja und dann diese alten Geschichten, sie sind noch ganz. Darin ist der ganze Mensch noch enthalten. Das ist Stoff, der nahtlos durch die Ahnengalerien gerieselt ist, das geistige Band, das ein Volk lange zusammenhalten kann, bis eines Tages….ja was?…am Netzwerk rüttelt und sagt: wach auf? Wach auf zu was? Kein Gott der Liebe mehr weit und breit? Da sieht man erst, wie weit der Weg sein kann zu sich selber. Das macht selbst den kühnsten Wanderern zu schaffen. Wanderer aber können auch Krishnas Hand annehmen und weitergehen, denn er war ja nie weg, genau wie die Anderen auch nie weg waren. Alles und alle waren immer da, und so entstand wahrscheinlich diese Idee von einem Kreislauf, in dem bestimmte Dinge vorkommen zu bestimmten Zeiten, und wenn man die Zeichen erkennt, kann man sich wachsam um den Umgang damit kümmern.

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