nasha

„Nasha“ bedeutet Droge. Das Wort hat in Indien keineswegs so eine bedrohliche Wirkung im Ton wie sonstwo, denn auch im Westen diskutiert man nicht allzu häufig die erschreckende Macht der Gesundheitsausbeutung durch die Pharmaindustrie, vor allem wenn man von Allopathie nicht abhängig ist. Das Wort „nasha“ ist ebenfalls weit gefächert. Wenn sich einer täglich so ein Stück Betelnuss (supari) in den Mund steckt, bis in der Rachenhöhle eine rote Soße zusammenfließt, die man dann in die nächste Ecke ausspuckt, dann ist das auch nasha. Auch Tabakkauen ist nasha. Man kann die kleinen metallenen Tütchen überall kaufen, obwohl sie verboten sind. Und was im Hintergrund so alles recherchiert wird, kommt selten an die Oberfläche. Menschen gehen an so vielem zugrunde, da soll man auch noch das nasha lassen?, ist eine verbreitete Einstellung. Außerhalb von Hardwar habe ich bildschöne Marihuana-Felder gesehen, in deren Mitte eine kleine Sadhu-Siedlung angelegt war, die ein bisschen an ein Asterix Dorf erinnert hat, mit Zaun drumherum gegen die Tiere, und Wäscheleinen für die Tücher. Und jeder geht mal raus und schneidet ab, was er braucht. Der Satz dazu ist: time pass. Der Tag ist lang, das Amt vergessen, und die Droge hebt heraus aus der Schwere des Alltags. Schade, finde ich, dass Ganja als Seher-Droge nicht mehr respektiert oder als Meditationsunterstützung nicht mehr genutzt wird. Trotzdem gesünder als manches andere, zB der Konsum von schlechtem Whisky, der sich breitgemacht hat. Lalis ältester Bruder ist am Alkoholkonsum gestorben, der Nächstältere stirbt grad an Heroin langsam vor sich hin, das ist auch gräßlich. Man fasst es nicht, wieviele junge Männer hier im Dorf schon an Heroin gestorben sind. Keiner greift ein. Die Polizei hat keinen Bock, einen bakshisch-unfähigen Junkie durch seinen Entzug zu füttern. Daher sitzen sie an dunklen Zugängen zum See und ziehen sich das Zeug rein auf Silberfolie. Dann gibt es noch eine Gruppe edler freundlicher alter Männer, Freunde von Prakashs Vater, der täglich alle mit Bang versorgt hat, einer Knetmasse aus feinstem Marihuana, weibliche Blüte. Jetzt ist der respektierte Bang-Meister tot, aber sie machen weiter, jeder mit seiner ihm bekömmlichen Dosis. Die sind ganz gut und heiter drauf, die alten Herren. Ramu wiederum, der außer legalem Material unter dem Ladentisch ein bisschen Bang verkauft, hat auch eine Opium-Lizenz. Als ich in der Wüste den Tempel betreute, wurde ich mal von der Sadhu-Bruderschaft der Naths eingeladen auf ein Fest. Dort stand vor dem Oberhaupt (Mahant) eine lange Schlange Männer, die alle nach und nach ein (ganz schön großes, fand ich) Stück Opium direkt in den Mund geschenkt bekamen. Wenn die Dinge ihren adäquaten Rahmen haben und der Mißbrauch in Schach gehalten wird, ist dosiertes nasha ganz gut integrierbar im Alltag einer Gesellschaft. Wenn jeder freien Zugang zum sogenannten Verbotenen hat, zeigt sich meistens, dass eh nicht jede/r für alles geeignet oder offen ist, und ja und nein kann auch fast jeder sagen. Also ein kleiner Ausflug ins Nasha-Land. Ich kam darauf, weil ich am Abend des letzten Tages im Jahr von einigen hörte, sie hätten keine Lust auf Parties (auch ziemliches Neuland), weil so viele sich betrinken und zu viele Drogen nehmen, daher fürchte man mit Recht die Entgrenzung, da ohne tragende Ordnung.  Selbst die geistige Entgrenzung unterliegt, soll sie gelingen, einer Ordnung, oder vielmehr unterliegt eine Ordnung der geistigen Entgrenzung. Auf diesem Weg ernsthafter Bemühungen erscheint irgendwann, nun jenseits von Anstrengung, das Gefühl, wach und anwesend zu sein mit sich selbst. Das ist die Grenze, die liebend gern (auch nashalos) kooperiert mit der kosmischen Weite.

PS. An dieser Stelle fällt mir noch der Postbote ein, der früher hier Briefe ausgetragen hat. Er soll süchtig gewesen sein nach dem Gift, das sich angeblich im Kopf einer Eidechse befindet. Man muss sich ja nicht unbedingt vorstellen, wie er da rankam, aber es ist die extremste Geschichte, die ich aus der Welt der natürlichen Gifte/Medizin kenne.


Leave a Reply

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert