Gestern stand neben meinem Sitz am Wasser ein Paar Schuhe, die ich beinahe einem Sadhu angeboten hätte, da ich dachte, sie wären liegen geblieben. Sie gehörten aber einem Musiker, der auf dem Literature Festival in Jaipur gespielt hatte und nun ein paar Tage hier Ferien macht. Heute brachte er seine kleine Flöte mit und spielte so herzergreifend, dass alle Vorübergehenden stehen blieben und lauschten. „Vrindaban!“, sagte mein Mund als Dank. „Sangit Bhagwan hai! Musik ist göttlich. Und ich dachte: ja, die Kunst kann mehr berühren als alle Götter. Vielleicht gab es auch die höchste Kunst derer, die sie den Göttern angeboten haben, wie es so viel Sakrales in der Welt gibt, dessen Schöpfer nie genannt oder gekannt wurden. In jedem Fall ist es egal, wieviel wir durch Bücher und Dialoge und Monologe und Vorträge und Lehrer und Götter etc verstanden zu haben glauben, nie führt es zum „Das bin ich“, wenn wir nicht durch eigene Erfahrungen, Gedanken, Irrwege, lichte Momente und unerschütterliches Vetrauen in den eigenen Weg navigiert sind. Ich denke auch, dass es eine Schulung braucht, um auf dem Weg die Kraft zu haben, sich letztendlich dem vollkommen Ungewissen anvertrauen und überlassen zu können. In der Kinder -und Jugendzeit dient die Schule vor allem der Ingangsetzung des persönlichen Lernvermögens. In der geistigen Schulung geht es mehr darum, Klarheit für mich selbst zu erringen darüber, was universelle Gesetze, ihre Realität und ihre Erscheinungsformen für mich bedeuten und welche Mittel für mich akzeptabel und glaubwürdig sind, mein eigenes Wesen zu verstehen bzw. zu sein. Nach Jahren des Praktizierens von was auch immer können wir günstigerweise erkennen, dass es tatsächlich eine allen und allem gemeinsame Quelle gibt, dass aber die Ausstrahlungen davon vielseitig und sehr unterschiedlich und widersprüchlich, paradox und irreführend sind, sodass das ganze Glaubens-und Wissenskonstrukt in einem zu einem knirschenden Halt kommt. An diesem kritischen Punkt kann einem sonnenklar werden: man ist allein. Jetzt nicht allein auf Erden auf das Ego fixiert, und nicht ohne gute Freunde, ohne die man nicht gedeihen kann, sondern allein im Sinn vollständiger Verantwortung, die man bereit ist, für sich selbst zu übernehmen. Das ist die Freiheit, die es zu erkennen und zu erleben, auszuhalten und zu ertragen gilt. Als Jugendliche hatte ich schon manchmal den Verdacht, dass alle Menschen in Wirklichkeit frei sind, und wenn sie es wüssten, würde auch nicht viel mehr passieren als das, was bereits passiert, denn diejenigen, die der Weg zu sich selbst anspricht, haben sich ja bereits aufgemacht, um eigene und manchmal sehr neue Wege zu gehen. In der Zwischenzeit wissen wir auch, wieviele Zugänge es gibt zu sich selbst und zu der Quelle. Alles ist Zugang. Es braucht eine Akzeptanz alles Daseienden, da jedes Trennenwollen von der Quelle in den dualen Aufenthalt führt. Dann ist man gefangen zwischen gut und böse, schön und hässlich, richtig und falsch. Das gibt es alles, kein Zweifel, es ist die Natur des Weltendramas. Das Spiel erhält sein Spannungsfeld durch das Duale. So übernehme ich Verantwortung für den eigenen Blick. Hinter diesem Blick lagert mein Wesen in seiner ganzen, ja was, ständigen Offenheit zur Neuheit des Nus. Und dieses ganz persönliche Ich, an dem wir uns entlanggetastet haben, hat es uns nicht dorthin geführt, wo ein anderes Ich auf uns gewartet hat, ein Ich, das sich von Druck und Drang des Wissens über sich selbst entlastet hat. Und siehe da: es lächelt.