Da unten am Ghat schreit eine Frau so herzzerreißend, dass mein Denken erschrocken einhält. Hinstarren. Der Mann, der sie am Arm zum Wasser führt, scheint freundlich und besorgt. Sie lässt sich willenlos ins kalte Wasser führen. Sie ist außer sich. Kaum ist sie eingetaucht, hört ihr Schreien auf. Sie taucht selbst ein paa Mal unter und scheint zu sich zu kommen. Alles wird still. Er reicht ihr trockene Kleider. Sie ist beschäftigt. Weiß noch, wie alles geht. Sie zünden Öllichter an, murmeln Mantras. Sie scheint verändert und bewegt sich jetzt alleine und gefasst. Unglaublich, was das für eine Wirkung hatte. Rituale können so hilfreich sein für den Umgang mit Schmerz und Verlust. Haben wir welche? Die uns helfen?
Dann beobachte ich, dass eigentlich alles und alle für Ordnung sorgt/en, jede/r auf seine und ihre Weise. Das läuft alles gleichzeitig. Alle mit eigener Ordnung beschäftigt. Jeder froh, wenn das, was zu tun ist, reibungslos abläuft. Da, wo Reibung passiert, wird die Ordnung unterbrochen. Da, wo Explosion stattfindet, wird sie zerstört. Dann muss man schauen, ob neue Ordnung möglich ist. Meistens taucht wieder etwas auf und ordnet sich. Man staunt, wenn irrsinnige Mengen von zerstörtem Material in zerstörten Welten, zB. von Erdbeben oder Kriegen, wieder aus dem Weg geräumt werden konnte und neue Formen und Welten sich bilden. Auch beim Hineinschauen in persönliche Zimmer kann man staunen, mit welchem Ausmaß an Unordnung manche leben können. Vom Chaos kann man nicht sagen, dass es eigene Ordnung hat, obwohl es Teil der universellen Ordnung ist. An manchen Straßen hier im Dorf kann man sehen, dass niemand um Ordnung bemüht ist. Dann fügen alle immer nur Unordnung dazu. Es gibt einen kleinen Teich, auf dem nur noch Plastiktüten schwimmen. Ein Sumpf. Ein Ort der Hoffnungslosigkeit. Eine Quelle der Ansteckung von Krankheiten.
Ich weiß gerne, wo die Dinge sind, mit denen ich lebe. Beim Umzug in einen neuen Wohnort, wie ich ihn gerade hinter mir habe, dauert es ein paar Tage, bis Dinge sich ordnen. Es scheint, als ginge es wie von selbst, aber es ist der eigene Geist, der sich der Sache annimmt. Er schaut, was praktisch ist und förderlich für den täglichen Ablauf. Ich kümmere mich um die Beleuchtung und die Farbtöne.
Am See arbeiten gerade ungefähr 100 Männer und Frauen leise und fast unbemerkbar an der Renovierung der Seeumwandlungs-Struktur. Hellrosa Stein wird eingesetzt. Alle wissen, dass es schlechte, brüchige Qualität ist, die schnell wieder zerbricht. Das hat mit umgepoltem Geld zu tun, das trotzdem noch eine gewisse Ordnung zeigen muss. Die Ordnung akzeptierter Ausbeuter. Wie die Brahmanenkaste, deren Vorstellung von Ordnung immer noch uneingeschränkte Macht genießt und beansprucht. Ein paar Wenige von ihnen sprechen noch das erhabene Sanskrit, eine Sprache höchster Ordnung, das allerdings einst für bestimmte Ohren verboten war zu hören. Niedrigen Kasten war es auch verboten, den Schatten eines Brahmanen zu kreuzen. Gut, dass sich Ordnungen auch wieder auflösen und aufheben lassen.
Auf dem Photo oben sieht man eine Gruppe von Foreigners, die sich haben einreihen lassen in die übliche Ordnung einer Puja, eines meist teuren Rituals, das der Fremdenführer mit dem Priester abgesprochen hat. Geld wechselt Hände. Es gibt Ordnungen mit hellen und dunklen Schattierungen.
Am Brahmghat erklärt mir Ashok, dass nun leider die Saison für Rosen beendet ist. Ach ja?, frage ich, warum? Wachsen sie nicht mehr? Doch, sagt er, das schon, aber jetzt kommt Shiva Ratri, da brauchen wir andere Blumen. Wir haben ja, meint er lächelnd, so viele Götter, die brauchen alle was anderes. Durga und Kali brauchen Rosen (!!??), Shiva braucht Kushi Gras etcetera. Das sind Ordnungen, die den Geist des Hindu in Bewegung halten.
Ich bewege mich durch das Ganze in meiner eigenen Ordnung, die mit ihrer Ordnung nicht mehr allzu viel gemein hat. Ich achte sie, wo ich sie achtenswert finde, denn auch mir gibt sie oft Rahmen und Schutz.
Die Gestirne spielen auch noch mit mit ihrer eigenen Ordnung. Heute ist Vollmond mit high level Pilgertum. Die Atmosphäre ist aufgeladen mit sehr viel Tun. Beten. Opfern. Schenken. Baden. Einschreiben in das Ahnenbuch. Tagesordnung als Höchstleistung. Wie überall. Nur anders.