Ära

Wenn man den Beginn oder das Ende einer Ära miterlebt, weiß man, dass es dafür auch präzise Daten gibt, die dann in die Geschichtsbücher eingehen und Teil der Menschheitshistorie werden. Insofern war gestern, hineinreichend in das Heute, ein ziemlich gewichtiger Tag. Es werden  Plätze erst einmal geleert, dann neu besetzt. Angela Merkel empfängt ihre Entlassungsurkunde und wird (noch einmal) geehrt von Walter Steinmeier, der das sehr gut kann. Wolfgang Schäubles letzte Rede im Bundestag. Eine Frau, die vorher kaum einer kannte, wird neue Parlamentspräsidentin. Ich habe mir dafür die sichtbaren (statt den hörbaren) Nachrichten eingestellt, damit ich mir einen eigenen Eindruck ermöglichen kann. Bärbel Bas machte einen ziemlich souveränen Eindruck, und auch ihre Stimme kann man leicht aushalten. Sie wirkte keineswegs wie eine Notlösung und kann sich da eher eine nervös wartende Schlange von potentiellen Notlösern vorstellen, die sich meist grundsätzlich als fähiger empfinden (als Frauen). Sie erwähnte aber dann doch das leidige Frauenthema. Nun  soll es ja in den ganzen neuen Gruppierungen, die hier in großer Anzahl den neuen Bundestag besetzen, zumindest mehr Frauen als vorher geben, Auch der Migrantenhintergrund fehlt nicht, obwohl die Betonung darauf leicht peinlich werden kann, wenn die meisten, die in solche Positionen gelangen, wahrscheinlich schon in dritter oder vierter Generation hier leben. Und jünger sollen viele sein, als was man sonst gewohnt ist, eine gute Nachricht. Nun  kann man sich natürlich vorstellen, wie die Rige der politischen Exoten weltweit auf diesen Neuanfang blicken: Russland, China und Nord Korea zum Beispiel, und wie sie, an den Bildschirmen klebend, erwägen, was das bedeuten wird oder würde oder könnte. Weggefegt der geheimnisumrankte, beziehungsweise stocknüchterne Führungsstil von Frau Merkel, der es gelungen war, den hämischen Diktatoren schlichtweg zu trotzen, oder ihnen gar ein Häuchlein Respekt abtrotzen konnte, weil da jemand war, wie sie, vor allem einst als Buben, selber gern geworden wären, nämlich glaubwürdige Männer, bevor sie so kläglich an allem Möglichen gescheitert sind, und nun nur noch ein Abziehbild auf einem eiskalten Schlitten, der in den sicheren, menschlichen Abgrund führt. Was sie hier gerade in Deutschland sehen, ist allerdings auch etwas erstaunlich. Man traut also dem politischen Neugewusel zu, die schwerwiegenden Entscheidungen, die bereits im Anrollen sind, demnächst in diesem Theater zu bewältigen. Wenn Frau Merkel vielleicht bereits zu mehr Lesen oder Reisen kommt und ihren angenehmen Lebenspartner öfters mal sieht. Das fühlt sich nicht schlecht an, so eine frische und leicht aufgewühlte Stimmung, die neue Ordnungen erfordert und eine extra Anstrengung im Zuhören. Man kennt das ja selbst, wie unüberprüfbar das Zuhören der Anderen oder das eigene sein kann, und weit entfernt ist das auch von einem Zuhören, das tatsächlich ein Interesse in sich birgt wissen zu wollen, was ein Anderer oder eine Andere wirklich sagt oder meint, da bleibt im Lernprozess immer genug Luft nach oben. Verstanden habe ich auch, dass Systeme, in denen wir leben, immer mit Politik zu tun haben. So muss einerseits unser Interesse selbstverständlich nicht nur auf ein einziges System gerichtet  sein, wobei andrerseits die Frage offen bleibt, ob es überhaupt einen Ort gibt, wo Systeme keine Rolle mehr spielen. Oder ob ein Drama eine unbegrenzte Anzahl von Akten haben kann, oder ob immer irgendwann ein Gongschlag das Ende einläutet. Oder den Anfang.

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