Witz

 

Dieses Bild kam gestern aus Indien zu mir, und ich brauchte drei Minuten, um den Witz, also nicht nur als Bild, sondern im Kontext der Worte, zu erfassen bevor das gesunde Lachen sich Bahn brach. Sicherlich liegt in dem Satz ‚hinter jedem Witz lauert der Tod‘ ein Körnchen Wahrheit, und so lauert auch hier ein Tod, aber wo lauert er. FernsehzuschauerInnen haben sicherlich schon von diesem indischen Mega Event der Kumbha Mela gehört, bislang unübertroffen auf dem Planeten in seiner gehirnerschütternden Einzigartigkeit, denn hier treffen sich Tausende von sogenannten Heiligen im Zusammenprall mit immer mehr TouristInnen und Kameraleuten, die einzufangen bemüht sind, was nicht einzufangen ist. Denn natürlich ist sowieso nichts mehr erkennbar von der Uridee des Ganzen, was immer sie gewesen sein möge, bevor sie ein Jahrmarkt grandioser Eitelkeiten wurde. Die Herren auf dem Bild haben auf jeden Fall seit Beginn dieses Festes eine ihnen zugestandene Aufgabe, nämlich die Ehre, das Ganze mit dem ersten Bad im Ganges zu eröffnen. Eigentlich müsste man ‚in der Ganga ‚ sagen, denn dort ist der Ganges weiblich, eine Göttin, und eine der vielen Lebensgefährtinnen von Shiva, aus dessen Haar sie fließt. Wir sehen also hier einen sehr kleinen Ausschnitt der Bruderschaft der ‚Nagas‘. Naga heißt ’nackt‘, und bei den beiden Malen, als ich dabei war, habe ich nie einen angezogenen Naga gesehen, denn wenn man was anhat, ist man ja nicht mehr nackt. Sie sind mit Asche bekleidet und tragen speerartige Geräte, mit denen sie gerne die aufgeregten ZuschauerInnen bedrohen. Auch ich kam einmal, ohne geringstes Interesse daran, ihrer Wahrnehmung nach zu nah an ihren Badeplatz heran und wurde mit einem Speer gewarnt. Wer nun aber verordnet hat, dass die Herren dieses Mal ein Schutzschild oder wie auch immer man es nennen könnte, über ihrem, wie heißt doch das seltsame Wort, über ihrem Gemächt also tragen zu müssen, das kann zumindest ich mir nicht vorstellen. Und ebenda kommen wir, es ist ja Samstag, an die Basis des Witzes, der notgedrungenerweise dadurch, dass er vorerklärt wird, an spontaner Witzwirkung verliert. Nun zu den Worten, die den Witz ja meist hervorlocken. ‚Auf der Kumbh Mela‘, sagt also der Witzgestalter, ‚waren die Ausländer entsetzt darüber, wie tief wir unsere Masken tragen‘. Da ich schon in einer Art Spätzündung herzlich bzw hemmungslos gelacht habe, komme ich nun zu dem Fleck des Witzes, wo der Tod lauert. Denn ehrlich: wenn einer, der sich nackt nennt, nicht nackt ist, dann stimmt doch was nicht, und nichts wirkt so nackt wie wenn man  das als nackt Deklarierte mit einer Kostümierung zerstört. Und wenn die Regierung, aus welchen Gründen auch immer, die Macht hat, die nackte Bruderschaft in ein Kostüm zu zwingen, dann gibt es die Nagas nicht mehr. Dass ich d a s von meinem Fenster aus kurz mal so sehen kann, löst eine gewisse Heiterkeit in mir aus, die jeder Samstag gut gebrauchen kann. Denn, wie wir wissen, ballen sich samstags gerne Stürme zusammen und explodieren, vor allem natürlich im Lockdown, denn auch die Samstage sind nicht mehr, was sie mal waren. Was waren sie denn?


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