systemrelevant

Immer mal wieder tauchen im Sprachgebrauch eines Landes neue Worte auf, die entweder plötzlich durch Umstände ins Licht der Aufmerksamkeit rücken, oder leicht missverständliche Modeschöpfungen sind wie „geil“ zum Beispiel, wo man sich fragen konnte, wie weit wohl der Weg war zur Deutung von „prima“. Dann wieder waren Neuheiten wie ‚Lockerungsdiskussionsorgien“ aus dem Mund der Kanzlerin erheiternd (wenn man es so empfand), und kurz danach kann man die ‚Diskussion‘ als Mitte dieses Wortes schon weglassen, denn Phase II nähert sich seinem natürlichen Ende, und die Lockerungsorgie an sich tritt in Erscheinung, und vielerorts werden auch Masken-und Distanzmaßmahmen gelockert werden, wodurch eine neue Angstwelle zu erwarten ist bei denen, die das ängstigt. In Phase II, jetzt immer entlang der Corona Dampferfahrt, hatte man ja die außergewöhnliche Gelegenheit, mit so ziemlich jedem Menschen, den man traf oder mit dem man über das Netz kommunizierte, eine Menge durchkontemplieren zu können, und ja, das Neue: dass mal keiner es besser wusste als der andere, und man somit an das Fenster der eigenen Monade zwar nicht gebunden war, aber doch angeregt durch das Welttreiben, gefiltert durch einen Virusauftritt. So viel unerwartetes Menschenwerk kam zum Zug, und wie viel Erleichterung liegt nun auch in den letzten Lockerungen, wie ein Zirkusartist es in den Nachrichten ausdrückte: gut, die Leute saßen im Autokino, aber sie, die Truppe, performte live, und wie glücklich er klang, wieder zum Geruch von Manege und Puder zurückzukehren, zusammen mit den anderen Kollegen. ‚Systemrelevantes‘ Glück, kann man das sagen? Noch nie habe ich das Wort so oft gehört oder gelesen wie zur Zeit und wollte mal schauen, was es mir sagt. Es bedeutet ja einfach, dass etwas für ein System bedeutsam ist. Während der Krise aber ist es aus wirtschaftlichen Gründen in den Sprachgebrauch gerückt, weil es Unternehmen gibt (wie Lufthansa usw), bei deren Wirtschaftskraft es sich ein Staat nicht leisten kann, sie scheitern zu lassen. Also eine Art systemrelevantes Sklavenverhältnis, dessen durchtriebener Bedeutsamkeit sich auch der kleine Bauer (auf dem Schachbrett) nicht entziehen kann. So hat natürlich auch jede/r BürgerIn die potentielle geistige Freiheit, sich von einem Wort angesprochen zu fühlen und es unter frischen Bedingungen in die persönliche Schatztruhe zu legen, oder ab damit in die inneren Archive, wo durch regelmäßige Entstaubung darauf vertraut werden kann, dass die Worte sich melden, wenn man nach ihnen sucht oder sie ruft. Finden kann man sie natürlich nur, wenn man sie wirklich in sich aufgenommen hat, die poetisch wärmenden und erweckenden, die durch dunkle Gewichte erschreckenden, die stocknüchtern wohltuenden, die, die zuweilen die Tiefe des Wesens erreichen können, wo etwa der verzweifelte Ruf einen Anderen herbeiholt, der oder die sich mit menschlichen Tonarten auskennt  und sie unter günstigen Bedingungen für einen in eine bedeutsame Resonanz bringen kann, da nämlich, wo man alleine nicht kann. Und dann: hat es uns das Virus und seine vielfältige Wirkung nicht ermöglicht, etwas näher, eben s o nah, wie wir können, an unser eigenes System heranzurücken, oder auch von innen her auf es zu schauen, um vielleicht zu bemerken, wie ganz und gar irrelevant so manches Welttreiben auch für uns selbst ist, und dass das Tröpfchen Wahrheit der Anderen nicht immer ausreicht, um den eigenen Ozean in gutem Schuss zu halten, also auf die unauffälligen aber systemgefährdenden  Plastikteilchen, vor allem die ganz winzigen, achten, damit der Grund des/r Wesen/s nicht völlig zerstört, beziehungsweise fremdbestimmt wird.

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